Ist in Luxemburg die Geschenkkultur zur Unkultur verkommen?

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Weihnachten ist rum und die große Schenk-Orgie vorerst vorbei. Komplett überstanden ist das Ganze jedoch noch nicht. Wir haben uns mit den Nachwehen beschäftigt.

In den Tagen nach Weihnachten verblasst das romantische Bild des Festes der Liebe langsam, aber sicher. Falls nicht abgebrannt, ist der Adventskranz mittlerweile vom Wohnzimmertisch auf den Speicher oder in die Mülltonne umgezogen. Im Instagram-Feed müssen die letzten herzzerreißenden Fotos von Politikern, die sich mit Vorliebe in dieser kalten Jahreszeit mit Obdachlosen ablichten lassen, Urlaubsfotos aus wärmeren Gefilden weichen. Und auch wenn man das Gefühl nicht loswird, die Nachwirkungen seien noch immer zu spüren, so liegt die allerletzte mit „Bûche“ überladene Gabel, die man fast mit Gewalt beim Familienessen, das man mit etwas Glück ohne eine posttraumatische Belastungsstörung überlebt hat, in sich hineinschaufelte, schon fast eine Woche zurück.

Obwohl das Weihnachtsessen – zumindest im wohlhabenden Großherzogtum – bei vielen wahrscheinlich derart ausgiebig ausfiel, dass sie sich eigentlich in den darauf folgenden zwei Wochen gar nicht mehr ernähren müssten und technisch gesehen auch kaum bewegen können, gibt es etwas, das den Standard-Luxemburger, der in diesem Zeitraum auf keinen Fall freiwillig arbeitet, dann doch vor die Tür zwingt: nämlich die Rückgabe oder der Umtausch von Geschenken.

Kein allgemeingültiges Rückgaberecht 

In der (ungeschriebenen) Regel ist dies nur in den ersten zwei Wochen nach dem Offline-Kauf eventuell möglich. Und das auch nur, wenn die Verkäufer Kulanz zeigen, denn eine Rücknahmepflicht existiert im Gegensatz zu Käufen im Internet nicht. Oder um es mit den poetisch anmutenden (der Internetpräsenz entnommenen) Worten des luxemburgischen Konsumentenschutzes zu sagen: „Allgemein kann man sagen, dass es kein allgemeingültiges Rückgaberecht in Bezug auf den üblichen Wareneinkauf gibt.“

Nach der vorweihnachtlichen, einer Prä-Apokalypse ähnelnden Überfüllung luxemburgischer Einkaufsstraßen und -zentren ist also genau jetzt der Zeitpunkt, in dem Geschäfte erneut gestürmt werden und das Flehen um das Wohlwollen der Ladeninhaber beginnt. Auch Medien haben somit einen Seitenfüller, weil sie diesbezügliche Tipps zusammentragen und veröffentlichen können. Aber was sagt all dies über die moderne Geschenkkultur aus?

Der französische Soziologe und Ethnologe Marcel Mauss untersuchte in seinem 1923 erschienenen „Essai sur le don“, zu Deutsch „Die Gabe“, das Schenken sowie den Austausch von Gütern in sogenannten „archaischen“ Gesellschaften und kam zu dem Schluss, dass der Prozess des Schenkens, des Annehmens der Gaben sowie des Erwiderns des Schenkungsaktes einer Art Gesellschaftsvertrag gleichkommt, der den sozialen Frieden sichern soll. Er illustrierte diese Behauptung unter anderem mit einem Sprichwort des von ihm studierten Urvolkes der Maori: „Gib, so viel du empfängst, und alles wird zum Besten stehen.“

Nun sind besagte These sowie das Schriftstück, dem sie zu entnehmen ist, fast ein Jahrhundert alt und der werte Mauss hat vor rund 70 Jahren das Zeitliche gesegnet. Nichtsdestotrotz bietet es sich an, seine Reflexionen in den heutigen Kontext zu setzen und zu überdenken.

Das kannst du dir schenken …

Geht man also davon aus, dass eine „Gabe“ dabei helfen kann, eine Bindung zwischen zwei Menschen aufzubauen oder sie zu festigen, so unterbricht die Rückgabe eines Geschenkes einen Zyklus. Einen sozialen wohlverstanden, obschon dabei zusätzlich auch ein wirtschaftlicher Vorgang rückgängig gemacht wird. Zudem geht Mauss darauf ein, dass beispielsweise innerhalb der indischen Kultur eine Schenkung eines materiellen Gutes auch immer mit der eines immateriellen einhergeht, nämlich eines kleinen Stücks des Schenkenden selbst.

Transponiert man diesen Umstand auf die heutige Situation hier im Westen, so muss man zwar kurz bei dem Gedanken lachen, einen Teil der eigenen Oma auf eine Ladentheke zu legen und Geld dafür zurückzuverlangen, aber in einem weiteren Schritt ist dieser Vorgang doch äußerst bedenklich und ohne Zweifel traurig.

Vor allem stellt sich bei alldem die Frage, ob der Austausch-und-Rückgabe-Zirkus nach den Feiertagen nicht viel mehr für zwischenmenschliche Zerrissenheit als für Verbindungen steht. Nun sei jedem mal ein anständiger Griff ins Klo vergönnt; man kommt (unabhängig vom Glauben) sicher nicht in die Hölle (in meiner Vorstellung läuft da durchgehend Schlager und es gibt nur einen luxemburgischen Fernsehsender), wenn man einmal mit einem Geschenk danebengelegen hat.

Aber allein schon die Konvention, die leicht zum Gruppenzwang werden kann, sich gerade an Weihnachten etwas zu schenken, hilft zum Beispiel sicher nicht, gelassen und besonnen die passenden Geschenke für Freunde und Familie auszusuchen. Außerdem haben überspontane Verlegenheitsgeschenke einen ebenso faden Beigeschmack wie der noch schnell an der Tanke gekaufte teure Billigwein, der Hals über Kopf besorgt wird, weil man sich nicht traut, ohne Geschenk aufzutauchen. Zu groß die soziale Angst, unfreundlich zu wirken.

Der Mut zum Nicht-Schenken

Dazu kann man jene Fälle addieren, in denen man sich einfach nicht (mehr) genug kennt, um noch zu wissen, wie man den anderen rühren, erfreuen oder ihm neuen Input geben kann. Wunschlisten stellen hier zwar eine Hilfestellung dar, verhindern jedoch auch, dass, wie Mauss es beschreibt, ein Stück des anderen mitgeschenkt wird, und kommen gewissermaßen einem Ausverkauf der eigenen Kreativität gleich.

Letztendlich zeigen all diese Beispiele, dass das Schenken förmlich zum Scheitern verurteilt ist, wenn es nicht auf natürliche Weise vor sich geht. (Termin-)Druck von außen, veraltete Traditionen, hinter denen viele nicht mehr stehen, sie aber trotzdem mittragen, gepaart mit jeder Menge (teils importiertem) kommerziellem Firlefanz tun da ihr Übriges.

Vielleicht gehört aber zu einer gesunden Geschenkkultur auch der Mut zum Nicht-Schenken. Natürlich muss dies sich nicht über das ganze Jahr hinwegziehen, aber es sollte doch der Raum gegeben sein, sich ganz unabhängig von bestimmten Terminen einfach dann gegenseitig etwas zu schenken, wenn man vielleicht gerade zufällig auf etwas Passendes stößt. Und das wohl Essenziellste: wenn einem danach ist. Denn nur ein freier Kopf ist zu sinnvollen Überlegungen und guten Entscheidungen fähig. Und diese wirken sich auch positiv auf den Beschenkten aus.

Ob Schenken im innergesellschaftlichen Kontext noch die gleiche Bedeutung hat wie zu Mauss’ Zeiten, sei dahingestellt. Klar ist jedoch: Wer nur schenkt, weil er sich dazu gezwungen sieht, und nicht mit Kopf und Herz dabei ist, lässt das Schenken an sich in der Bedeutungslosigkeit untergehen und trägt dazu bei, dass ein Teil unserer Kultur verschwindet.

Garde-fou
3. Januar 2019 - 9.53

Interessanten Artikel. Ech hunn zwar keen Premium Account, konnt deemno just déi éischt 5 Abschnitter liesen, mais deen Deel héiert sech gut un. Luewenswaert, an dëser heiteger Zait, dëst Phänomen emol kritësch, déifgrënneg an anëscht ze beliischten.