„Ein Verrat an den Kurden schlechthin“: Weltweite Kritik an Erdogans Offensive, Asselborn bestellt türkische Botschafterin ein

„Ein Verrat an den Kurden schlechthin“: Weltweite Kritik an Erdogans Offensive, Asselborn bestellt türkische Botschafterin ein
Türkische Offensive in Nordsyrien: Rauch steigt in der syrischen Stadt Tal Abyad auf.  Foto: AFP

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Auch in Luxemburg regt sich der Protest gegen den Einmarsch des türkischen Militärs im Norden Syriens. Am Freitagmorgen hat Außenminister Jean Asselborn die türkische Botschafterin Fazilet Dağci Çiğlik einbestellt. Mehrere EU-Staaten hatten diese untere Stufe einer  diplomatischen Sanktion bereits am Donnerstag getätigt. Kritik am Vorgehen der Türkei gab es vor allem aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Asselborn hatte bereits am Montag in einem Interview mit dem Tageblatt schwere Bedenken geäußert für den Fall, dass die Türkei tatsächlich in Nordsyrien einmarschieren sollte. „Was Erdogan jetzt vorhat, halte ich für sehr gefährlich“, sagte Asselborn, „da habe ich sowohl menschliche wie politische Bedenken“. CSV-Politiker Laurent Mosar hatte in der Chamber am Donnerstag Jean Asselborn dafür kritisiert, die türkische Botschafterin noch nicht einbestellt zu haben.

Es ist nicht der erste Angriff des türkischen Militärs gegen Kurden im Norden Syriens. Im März 2018 hatten türkische Streitkräfte im Verbund mit islamistischen Freischärlern den autonomen kurdischen Kanton Afrin in Nordwestsyrien eingenommen. Jean Asselborn war damals der erste EU-Politiker, der die Türkei scharf kritisierte. „Das hat mit Selbstverteidigung nichts zu tun“, sagte Luxemburgs Außenminister damals gegenüber dem Tageblatt. Die Türkei hatte diesen Angriff damit begründet, sich selber schützen zu wollen.

Ungarn verhindert gemeinsame EU-Position

Eine gemeinsame Position der Europäischen Union zu diesem neuen Angriff hatte Ungarn am Mittwoch auf Botschafterebene verhindert. Wegen dieses Schrittes konnte die in außenpolitischen Fragen erforderliche Einstimmigkeit nicht erzielt werden, was eine härtere Position der EU noch vor Beginn der türkischen Militäroffensive verhinderte. Asselborn sagte gestern in der Chamber dazu, dass die „EU zurzeit leider so ist“. Eine schärfere Position der EU könnte nun am Montag folgen, wenn sich die EU-Außenminister zu ihrer Ratstagung auf Kirchberg treffen.

Frankreich hat der Türkei am Freitag auch mit EU-Sanktionen gedroht. Bei dem EU-Gipfel Ende  kommender Woche solle über Strafmaßnahmen gegen Ankara beraten werden, sagte die Europa-Staatssekretärin Amélie de Montchalin. Die fünf EU-Mitglieder im UN-Sicherheitsrat hatten Ankara zuvor zum Stopp der Offensive aufgerufen. Sie glaubten nicht, dass der Einsatz „die Sicherheitsbedenken der Türkei lösen wird“, erklärten Frankreich, Deutschland, Belgien, Großbritannien und Polen.

 

Faschistische Geste: Mit dem Wolfsgruß winkt ein türkischer Mann türkisches Militär vorbei

 

Allerdings gelang es ihnen bei einer Sondersitzung des Sicherheitsrats nicht, die Zustimmung aller Mitglieder zu gewinnen. Die EU-Staaten fürchten, dass die Offensive den Kampf der YPG gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) schwächt und den tausenden Dschihadisten in kurdischer Haft eine Chance zur Flucht gibt.

Erbitterter Widerstand der Kurden

Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) leisteten derweil erbitterten Widerstand gegen den Vorstoß der türkischen Armee. Die Offensive der Türkei zusammen mit verbündeten syrischen Milizen gegen die syrischen Kurden droht, so die Befürchtungen besonders in der Europäischen Union, zu neuen Fluchtbewegungen führen.

Kritik am türkischen Vorgehen kam aber nicht nur aus der EU. Der russische Präsident Wladimir Putin äußerte Zweifel, dass die Türkei die gefangenen IS-Kämpfer kontrollieren könne. „Dies ist eine echte Bedrohung für uns“, sagte er. Russland hat Verständnis für die Sicherheitsbedenken der Türkei geäußert und angeboten, zwischen den Regierungen in Ankara und Damaskus einerseits und Damaskus und den Kurden andererseits zu vermitteln. US-Präsident Donald Trump bot seinerseits an, einen „Deal“ zwischen der Türkei und der kurdischen YPG zu vermitteln. Ein Vertreter des US-Außenministeriums sagte, Trump habe den Diplomaten den Auftrag gegeben, die Möglichkeit einer Waffenruhe auszuloten.

Erdogan droht mit Flüchtlingen

EU-Ratspräsident Donald Tusk warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan derweil einen Erpressungsversuch vor, nachdem dieser den Europäern wegen ihrer Kritik an der Offensive mit einer Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge gedroht hatte. Die EU werde „niemals akzeptieren, dass Flüchtlinge zu Waffen gemacht und benutzt werden, um uns zu erpressen“, sagte Tusk in Nikosia.

Erdogan hatte am Donnerstag  damit gedroht, die Grenzen zur EU für syrische Flüchtlinge zu öffnen, wenn die Europäer die türkische Militäroffensive in Nordsyrien weiter kritisieren. „Wenn ihr unsere Operation als Invasion darzustellen versucht, ist unsere Aufgabe einfach: Wir werden die Türen öffnen und 3,6 Millionen Menschen werden zu euch kommen“, sagte Erdogan.

Trump: Kurden haben auch nicht in der Normandie geholfen

Donald Trump hatte am Mittwoch wiederholt den Abzug von US-Soldaten aus Nordsyrien verteidigt – den Asselborn im Parlament als „Verrat an den Kurden schlechthin“ bezeichnet hatte – allerdings mit einem vielfach kritisierten historischen Vergleich: Trump sagte, die jetzt von einer türkischen Militäroffensive betroffenen Kurden hätten die USA schließlich nicht im Zweiten Weltkrieg und bei der Alliierten-Landung in der Normandie 1944 unterstützt. „Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns beispielsweise nicht mit der Normandie geholfen“, sagte Trump. Die Kurden würden vielmehr für „ihr Land“ kämpfen.

 

Mit der Türkei verbündete syrische Milizen machen ein Selfie vor der Schlacht

 

Was sie angesichts der Schlagkraft der türkischen Streitkräfte und ihrer Verbündeten auch tun müssen. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten und ihre arabischen Verbündeten würden Tunnel, Gräben und Wälle nutzen, um den Vormarsch der türkischen Armee aufzuhalten, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Es gebe heftige Kämpfe an mehreren Fronten, vor allem in den Städten Tal Abjad und Ras al-Ain.

120 Kilometer breite Front

Laut der oppositionsnahen Aktivistengruppe haben die türkische Armee und verbündete syrische Milizionäre von der sogenannten Syrische Nationalarmee elf Dörfer eingenommen, doch hätten die YPG zwei zurückerobert. Demnach konzentrieren sich die Kämpfe auf eine 120 Kilometer lange Strecke zwischen Ras al-Ain und Tal Abjad. Fast alle Einwohner seien aus den beiden Städten geflohen, teilte ein Pressezentrum der kurdischen Autonomiebehörde mit. Ihren Angaben zufolge haben sich mehrere arabische Stämme hinter der Front der türkischen Armee angeschlossen und würden nun die kurdischen Kämpfer attackieren.

Die Beobachtungsstelle bestätigte, dass sich dutzende arabische Kämpfer den türkischen Truppen angeschlossen hätten. Die Gegend, auf die sich die Kämpfe bisher konzentrieren, wird zwar von der kurdischen YPG-Miliz kontrolliert, doch ist die Bevölkerung mehrheitlich arabisch. Nach Angaben der Beobachtungsstelle wurden seit Mittwoch 29 kurdische Kämpfer und zehn Zivilisten bei der türkischen Offensive getötet. Auf türkischer Seite gab es nach Angaben der örtlichen Behörden bisher sechs zivile Todesopfer durch Beschuss der YPG. Auch ein türkischer Soldat wurde bei den Kämpfen getötet. Das türkische Verteidigungsministerium erklärte, 277 „Terroristen“ getötet, verletzt oder gefangen genommen zu haben.

(Mit Material der Agenturen AFP und Reuters)

 

 

Muller Guy
12. Oktober 2019 - 18.08

@Rene reichling; Leider kennt et souguer sou kommen wéi Dir et beschriwen hut. Aber den Putin kann ausser Waffen der Türkei neischt ubidden. Russland leit wirtschaftlich um Buedem. Awer déi 2 Despoten passen gut zesummen. D'Oppositioun geht angespart oder embruecht. Menschenrechter, wat as dat? An een dretten, den Topert Tramp mecht dat méiglech.

Jacques Zeyen
12. Oktober 2019 - 9.31

Jeder Diktator sollte einmal Krieg gemacht haben in seiner Karriere.So auch der Demokrat Erdogan. Aber haben die Türken nicht jedesmal Senge gekriegt wenn sie mit dem Säbel gerasselt haben? Also Vorsicht Erdo!

rene reichling
12. Oktober 2019 - 8.12

Mein Szenario : Die Türkei wird die Nato verlassen,die Tore öffnen,Millionen Flüchtlinge werden sich nach Europa "ergiessen" einschliesslich radikaler Islamisten und Erdogan wird sich Russland zuwenden.Putin wird das gesamte Schwarze Meer und den Bosporus kontrollieren ohne einen einzigen Schuss abzufeuern.Ein cleverer Schachzug sozusagen,und eine Folge der idiotischen EU/Usa Politik der letzten Jahrzehnte.

Den Iesel
11. Oktober 2019 - 22.01

Top Kommentar, wou dir recht huet, huet dir recht?

Fred Reinertz Barriera z.Z London
11. Oktober 2019 - 19.28

Postest und was nun, klar einfach nicht hinnehmbar das die Türkei Krieg gegen die Kurden führt, aber was wenn der Diktator am Bosporus die Schleusen öffnet und 2-3 Millionen Flüchtlinge nach Europa kommen lässt!

de Prolet
11. Oktober 2019 - 18.17

Weltweite Kritik an Erdogans Offensive. Es gab auch weltweite Kritik an Hitlers Überfall auf Polen vor 80 Jahren. Dabei blieb es dann lange, allzu lange Zeit!