Diplomatie statt Polemik auf dem Urban Art Festival in Esch

Diplomatie statt Polemik auf dem Urban Art Festival in Esch

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Am 14. Juli ist es so weit: Das Urban Art Festival feiert sein Abschlussfest. Dann wird auf die wochenlange Arbeit von Street Artists unterschiedlichster Couleur zurückgeschaut, die das Stadtbild verändert haben. Das Tageblatt hat mit allen teilnehmenden luxemburgischen Künstlern gesprochen und stieß dabei auf Themen, welche die künstlerischen Grenzen überschreiten.

„Es gibt diesen Moment, in dem du loslassen und die Dinge ihren Lauf nehmen lassen musst“, erklärt Sandra Biewers, während sie ihre tagelang in mühevoller Kleinarbeit angefertigten Schablonen von der Wand im Tunnel an der avenue John F. Kennedy abzieht, nachdem sie auf die ausgeschnittenen Flächen gesprayt hat. Zuvor hatte Biewers ihre Vorlagen auf eine Folie projiziert, sie nachgezeichnet und dann Stück für Stück mit dem Skalpell Hunderte von kleinen Details herausseziert. „Anders wäre es zu unübersichtlich für meinen Kopf und mein räumliches Denken geworden. Wenn ich so vorgehe und später an der Mauer stehe, weiß ich, dass ich die Kontrolle habe, weil die Vorarbeit geleistet ist.“
Das mit dem Loslassen bezieht sich aber auch auf die Gefahr des Übermalens, die nun mal besteht, wenn man im öffentlichen Raum Kunst anbringt. „Wenn du nicht rechtzeitig loslässt, kannst du abends nicht mehr schlafen, denn du hast ja weder die Möglichkeit, Wache zu halten, noch kannst du vor der Mauer zelten“, fügt Sandra Biewers nicht ohne Humor hinzu. „Natürlich will eine Seite in einem, dass es bleibt, aber auf der anderen Seite übermale ich ja gerade selbst etwas. Da wäre es total hypokritisch, zu verlangen, dass es der eigenen Arbeit anders ergeht.“

Genau hier setzt die junge Künstlerin bei einem Diskussionspunkt an, der in Esch noch vor wenigen Wochen zu einer kleinen Polemik gereicht hatte. Dort, wo Biewers’ Zeichnungen nun ein Zuhause finden, hatten zuvor 20 Jahre alte Graffiti die Wände geziert. Letztere wurden jetzt aber teilweise mit weißer Farbe überstrichen. Dies hatte unter anderem in den sozialen Medien für Missmut gesorgt. Man vernichte einen Teil der Geschichte Eschs, obwohl auch etliche andere freie Flächen hätten ausgewählt werden können, hieß es in der digitalen Bubble. Der Künstlerin, welche die Stelle nicht einmal selbst ausgesucht hatte, (vielmehr hatte ihr die gigantische Fläche ziemlich Respekt eingeflößt), war nach diesen Beschwerden etwas mulmig zumute, da der Krach bereits losging, bevor sie überhaupt angefangen hatte.

Etwas Entwarnung brachte dann aber glücklicherweise ihr „Urban Talk“, also eines jener Treffen, die von der Kulturfabrik an den jeweiligen Orten organisiert werden, an denen im Rahmen des Urban Art Festival neue Kunstwerke erschaffen werden. So kann die Bevölkerung aus nächster Nähe erfahren, was vor sich geht und Input geben.

Wider der Tradition

Unter den Gesprächspartnern im Tunnel befanden sich auch Kritiker und eben dies beruhigte Sandra Biewers, da sie direkt mit ihnen in Kontakt treten konnte: „Ich war umso glücklicher, als ich feststellte, dass sie sich als sehr freundlich entpuppten. Letztendlich hatte ich das Gefühl, dass sie gehört werden wollten, und sie waren nicht zwingend gegen das, was ich da machte.“ Auf die Frage hin, ob man nicht auch gewissermaßen manchmal Konservative innerhalb von einer Subkultur auffinden könne, zieht Sandra Biewers eine Parallele zu einem ihrer Berufe, nämlich dem Tätowieren: „Im Grunde genommen ist es wie bei Tattoos, die auch mal ’underground‘ waren. Wenn etwas ’underground‘ ist, hat es nicht selten den Nachteil, dass kein anständiges Material vorhanden ist. Dann wird es nicht schön, ich bin jedoch eine Ästhetin und möchte sauber arbeiten. Außerdem finde ich, dass Traditionen da sind, um gebrochen zu werden.“

Sandra Biewers sieht sich ohnehin nicht als Teil irgendeiner Szene, sondern als ihre eigene Herrin. Als Selbstdefinition hat sie für sich den Begriff des „visual poet“ gewählt: „Das setzt mir am wenigsten Grenzen. Es zeigt eigentlich nur, dass man eine Sprache gewählt hat, mit der man kommunizieren möchte, und das kann man ebenso gut auf Haut, Wänden oder auch anderen Oberflächen.“ „Wann et aus der Panz kënnt, ass et ëmmer iergendwou Poesie“, fügt sie schmunzelnd hinzu. Diese könne andere halt entweder kaltlassen oder sie eben auch berühren.

Auf der Wand der Autodidaktin fahren nun Hybriden, also Kreuzungen aus verschiedenen Tierarten, Achterbahn. Eine passgenaue Interpretation möchte die Künstlerin nicht liefern: „Du kannst einfach nur Fantasie darin sehen. Es kann etwas sein, dass Kinder und Erwachsene zum Lachen bringt. Wenn du jedoch ’Animal Farm‘ gelesen hast und weißt, was derweil in der Politik abgeht, dann kommst du fast nicht daran vorbei, auch etwas anderes herauszulesen.“ Sie wolle nicht immer zwingend politisch sein, aber sich selbst Spielraum lassen: „Es geht darum, mich und andere herauszufordern, man hinterlässt sozusagen – ein bisschen wie Hänsel und Gretel – Kunstkrümel“. Überforderung sei nicht Sinn der Sache, so Biewers: „Es soll nicht elitär sein, demnach keine Kunst, die man nur genießen kann, wenn man es sich leisten kann. Man sollte sie im besten Fall konsumieren können, ohne sie zu besitzen.“ Dementsprechend sei der öffentliche Raum genau der richtige Ort.

Auch Esch sage ihr als Schaffensort zu. Indes würde es Sandra Biewers freuen, wenn weniger Menschen die Stadt in Vorteilen untergehen lassen würden: „Esch hat zwar einen schlechten Ruf, aber wenn man erst mal hier ist, ist es durchaus spannend.“ Gerade auf künstlerischer Ebene leiste neben der Kulturfabrik beispielsweise auch das Cueva-Kollektiv (Organisator des „Lankelz“-Kunst-Projekts) eine wichtige integrative Arbeit: „Jeder kann sich darin wiederfinden, es schreckt nicht ab. Man kommuniziert den Menschen nicht etwa, dass sie die Kunst sowieso nicht verstehen werden. Manchmal hängt in einem Museum ein Faden und du verstehst nicht so recht, was das soll, und tendierst dann dazu, dich für zu dumm zu halten oder ausgeschlossen zu fühlen. Das führt eventuell dazu, dass du glaubst, Kunst ginge dich nichts an. Und genau in solch einem Fall haben wir ein Problem.“
„Es kommt selten vor, dass du mit einer neuen Idee kommst und jeder direkt drauf springt“, erklärt Fred Entringer, Hauptveranstalter des Urban Art Festival der Kulturfabrik.

Nichtsdestotrotz sei man vor wie auch nach den vergangenen Gemeindewahlen auf Zuspruch gestoßen. Das gemeinsame Ziel, das man ebenfalls mit vielen städtischen sozialen Trägern verfolge, sei es, Esch ein neues Antlitz zu verleihen. Die Stadt werde leider als negatives Gegenstück zu anderen sehr sauberen und „ordentlicheren“ Orten im Großherzogtum wahrgenommen. Man wolle daher ein Bild zeichnen (oder in diesem Fall auch sprayen), das der spannenden Realität in der „Minettemetropole“ mehr Rechnung trage und der Buntheit der Stadt gerecht werde.

Entringer hält die gewählte Kunstart wie geschaffen hierfür. „Ab dem Moment, in dem du den öffentlichen Raum als Fläche nutzt, um eine Art Open-Air-Galerie daraus zu machen, hast du auch mehr Raum, um eine tiefgründige Diskussion zu führen.“ Diese werde durch die totale Zugänglichkeit ermöglicht, so Entringer. „Wenn die portugiesische Oma in die Bäckerei an der Ecke Brot kaufen geht, wird sie vor sich Kunst sehen und vielleicht einen Denkanstoß bekommen. Die Demokratisierung der Kultur liegt genau hierin, das ist die Seele des Ganzen.“

Das Diskutieren spielt hierbei gleich auf mehreren Ebenen eine Rolle. Dass bei mehreren „Urban Talks“ wenig Menschen dabei waren, sieht Entringer keineswegs als Scheitern: „Es waren beispielsweise bei acht Gesprächsrunden gleich 300 Personen unterschiedlichster Alters- und Gesellschaftsgruppen präsent. Ja, man kann nicht von einer Masse sprechen und doch hat es funktioniert. Allein die Tatsache, dass Interesse geweckt wurde und die Möglichkeit bestand, sich auszutauschen, ist wertvoll. Auch der Dialog ist ein ‚work in progress‘.“

Dies habe schließlich auch Sandra Biewers’ Situation gezeigt, meint Fred Entringer: „Ich sah es nicht als Kampf, eher als Debatte, die absolut legitimerweise losgetreten wurde. Die Kritiker haben unter anderem damit recht, dass dieser Ort repräsentativ war für Esch und für seine Geschichte ist.“ Er habe Verständnis für ihre Argumente und doch stehe er auch hinter jener Entscheidung, die von der Kufa gemeinsam mit der Stadt Esch getroffen wurde: „An der Stelle, an der wir gearbeitet haben, war die Mauer in einem sehr schlechten Zustand. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde das Ganze leider nicht gut erhalten und war teilweise schon übermalt“. Trotz alledem habe man es nicht vollständig überstrichen, um Spuren der Geschichte zu hinterlassen. Außerdem sieht Entringer eine gewisse positive Kontinuität des Prozesses als gegeben: „Das, was damals entstand, war Teil eines pädagogischen Projekts und so kann man das, was nun damit passiert als eine Art Weiterführung des Ganzen verstehen.“

Meinungsfreiheit zählt

Eine weitere Debatte spielte sich eher hinter den Kulissen ab. Im Rahmen des Urban-Art-Projekts müssen Künstler Skizzen vorzeigen und können erst dann loslegen, wenn diese freigegeben werden. Es wurden Stimmen laut, dass manche Skizzen gar nicht durchgingen oder es zu Eingriffen kam, welche die künstlerische Freiheit beschneiden. Es soll laut Tageblatt-Informationen nicht das erste Mal gewesen sein, dass die Stadt sich ein derartiges Handeln herausnahm. Manche deuten dies als Zensurversuch. Darauf angesprochen betont der Kufa-Mitarbeiter sofort die Offenheit der Stadt, bevor er auf das Thema eingeht: „Ja, es gab Diskussionen um Skizzen. Dabei ging es unter anderem darum, wie weit die Stadt gehen kann, inwiefern sie eingreifen kann. Ich denke aber, dass wir dieses Jahr einen guten Weg gefunden haben. Wir haben nun eine Art „Comité artistique“ und dem Gemeinderat ist ebenfalls klar, dass wir niemals etwas Unüberlegtes tun würden.“

Bei diesem Street-Art-Projekt kämen ohnehin keine Künstler infrage, welche potenziell gewaltverherrlichende Darstellungen anbringen statt positive Botschaften verbreiten zu wollen. „Die Gemeinderatsmitglieder haben begriffen, wie wichtig es ist, die Künstler für sich sprechen zu lassen. Und dass man sich außerdem nicht in die Auswahl der Farben oder der Figuren einmischen sollte.“ Man wachse gemeinsam und vertraue sich gegenseitig. Dies ist laut Entringer der Schlüssel für eine gute Zusammenarbeit: „Wir sind alle offen für den Dialog, es ist wie mit deinem Nachbarn, wenn dieser etwas tut, das dir nicht gefällt, ist es auch besser – bevor man aus dem Fenster schreit oder gar die Polizei ruft – ihn zu einem Kaffee einzuladen. Diplomatie ist da immer besser als Polemik. Der Wille zum Dialog ist essenziell für eine Stadt wie die unsrige, die, das darf man nicht vergessen, in vier Jahren Europäische Kulturhauptstadt sein wird. So eine Stadt muss sich dazu verpflichten, die Meinungsfreiheit der Künstler hochzuhalten.“