Neue ethische Fragen

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Was sich in der Medizin beim Menschen bewährt hat, hält Einzug auch bei Haustieren. Sie bekommen inzwischen Prothesen und auch Chemotherapie - solange es Herrchen oder Frauchen bezahlen kann. Tierärzte geraten dabei in neue ethische Konflikte.

Mit immer neuen Behandlungsmöglichkeiten in der Tiermedizin wächst nach Ansicht des Jenaer Philosophen Peter Kunzmann die Vermenschlichung von Hund und Katze. Zudem öffnen sich neue ethische Konflikte für Tierärzte. „Es gibt Tierbesitzer, die ihren Vierbeiner nicht loslassen können und ihn so eisern durchbehandeln lassen wollen, wie es nur geht“, sagte Kunzmann im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Mitunter mutet er dann seinem Tier ein schmerzvolles Siechtum zu.“ Dabei gerieten die Veterinäre in eine Zwickmühle. Denn derjenige, der sie bezahlt, ist nicht ihr Patient.

Aber Hund und Katze haben längst soziale Funktionen übernommen und sind für manchen Tierfreund Partner- oder Kindesersatz. Aus Angst, das Tier zu verlieren, ließen manche ihren treuen Gefährten bis zuletzt intensivmedizinisch behandeln, weiß Kunzmann. Der Experte leitet am Ethikzentrum der Universität Jena das Projekt „Die Gestaltung des tiermedizinischen Fortschritts im tierärztlichen Berufsethos“.

Organtransplantation nicht möglich

Viele für den Menschen entwickelte Behandlungsmethoden halten nach seinen Angaben Einzug in die Tiermedizin. Die Palette reiche von Chemotherapie und Bestrahlung bei Krebs bis hin zu Implantaten und Prothesen. Anders als etwa in den USA seien Organtransplantationen bei Tieren hierzulande nicht möglich. „Das lässt das Tierschutzgesetz nicht zu, weil man dem Spendertier damit Schaden zufügt“, erläuterte Kunzmann. In den USA würden unter anderem Tiere in Heimen als Spender verwendet. Im Gegenzug müsse Herrchen oder Frauchen des Tieres, dem auf diese Weise geholfen wird, das Heimtier bei sich aufnehmen.

Mit dem verstärkten Einsatz von Intensivmedizin bei Haustieren werde eine neue Stufe ihrer Vermenschlichung erreicht. „Zugleich wächst die Kluft zwischen Heim- und Nutztier.“ Denn während Hund, Katze und Zwergkaninchen verhätschelt und geliebt werden, ist bei Schweinen, Hühnern und Rindern Massenhaltung gang und gäbe – ihr Wert beschränkt sich auf ihren rein ökonomischen Nutzen. „Früher hatten auch Hund und Katze eine ganz praktische Funktion“, betonte Kunzmann. „Katzen wurden zum Mäusefangen gehalten, Hunde als Jagdgehilfe oder als Wachhund.“ Waren sie dafür zu alt und nicht mehr zu gebrauchen, bekamen sie bestenfalls ihr Gnadenbrot. Ansonsten wurden sie verjagt oder getötet. Kunzmann verwies dabei auf die Geschichte der Bremer Stadtmusikanten, die dieses Schicksal deutlich vor Augen führe.

Geld für ein Haustier auszugeben, hält er allerdings nicht für unmoralisch – auch wenn damit menschliche Not gelindert werden könnte. „Wir halten es auch niemandem vor, viel Geld für einen Skiurlaub in den Rocky Mountains auszugeben, das sinnvoller für mildtätige Zwecke verwendet werden könnte“, erklärte der Philosoph. Doch sieht er durchaus ein Verteilungsproblem: Den medizinischen Fortschritt können sich nicht alle Tierhalter leisten.