Mit seinem Schloss, den engen bepflasterten Gassen und alten Häusern wirkt das Städtchen Vianden wie aus einer anderen Zeit. Der Nationaldichter Dicks ist hier gestorben und Victor Hugo hat mehrere Monate in Vianden gelebt. Das „Stiedchen“ zählt nach der Hauptstadt und dem „Parc merveilleux“ zu den beliebtesten Touristenzielen in Luxemburg. Doch der Tourismus an der Our ist in den vergangen Jahrzehnten stark zurückgegangen. Im Jahr 2012 waren die Besucherzahlen in der Hofburg auf einen Tiefpunkt gesunken. Ein 1993 gestellter Antrag für den Titel des Unesco-Welterbes wurde 2013 wegen mangelnder Erfolgsaussichten wieder von der Regierung zurückgezogen. Seit 2015 steigen die Besucherzahlen langsam wieder an.
„Unsere Ortschaft ist gepflegt“, betont der LSAP-Politiker und Noch-Bürgermeister Marc Schaefer. Bis auf wenige Ausnahmen seien alle Häuser in einem guten Zustand. Durch eine „extrem rigorose Bautenpolitik“ habe man das schöne Erscheinungsbild des historischen Zentrums in Zusammenarbeit mit der nationalen Denkmalschutzbehörde erhalten können. „Die soziale Misere, die sich hinter den Fassaden abspielt, sehen die Besucher natürlich nicht“, bemerkt der 56-Jährige.
Rund 2.000 Menschen wohnen in Vianden. Beim kürzlich vom Statistikamt Statec veröffentlichten sozio-ökonomischen Index belegte Vianden den fünftletzten Platz. Schuld waren vor allem die hohe Arbeitslosenquote (10%) und die Anzahl der Beschäftigten im Niedriglohnsektor (31%).
Starke Immigration
„Forte immigration. C’est tout“, sagt Marc Schaefer, der seit rund 18 Jahren dem Viandener Gemeinderat angehört und im Oktober nicht mehr kandidieren wird. Laut Statec liegt der Ausländeranteil in Vianden bei um die 50 Prozent. „In der Grand-rue wohnen fast nur noch Portugiesen. Viele von denen beziehen niedrige Löhne. Das ist nun mal eine Realität.“ Dies hänge damit zusammen, dass es in Vianden noch erschwinglichen Wohnraum gebe, ergänzt Schöffe Claude Tonino, der zusammen mit dem anderen Schöffen Henri Majerus die Liste „Är Equipe fir Veinen“ anführt. Die Bausubstanz dieser Häuser sei allerdings qualitativ nicht sehr hochwertig und häufig würden die Leute von Privatpromoteuren ausgenutzt, die vier Wohnungen in einem kleinen Einfamilienhaus einrichten, erklärt Tonino. Sollte seine Liste, die vorwiegend aus LSAP-Mitgliedern und je einem Vertreter von DP und „déi gréng“ sowie einer unabhängigen „déi Lénk“-Sympathisantin besteht, die Mehrheit bei den kommenden Wahlen erhalten, wolle man entschieden gegen diese Praxis vorgehen.
Das schlechte Abschneiden beim sozio-ökonomischen Index sei „traditionell“ auch auf saisonale Arbeiter im Tourismus-Business zurückzuführen, die im Winter eben arbeitslos seien, ergänzt Schaefer, der seit 2007 Mitglied des Staatsrats ist.
Ähnlich sieht es der Radio-100,7-Journalist André Duebbers. Auch wenn er nicht der Meinung ist, dass der sozio-ökonomische Index viel über die Lebensqualität im „Stiedchen“ aussagt. Zusammen mit der Architektin Anne-Marie Holweck hat der 59-Jährige vor einigen Monaten die parteipolitisch unabhängige Gruppe „Fir e liewegt Veianen“ ins Leben gerufen. Mittlerweile sind sie zu fünft und wollen sich am 8. Oktober auf einer separaten Liste zur Wahl stellen. Im vergangenen März, nach der Protestaktion gegen die Schließung der „Spuerkeess“ in Vianden, hätten die beiden beschlossen, dass sie „nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen“ bekämpfen müssten, erzählt André Duebbers. Der neuen Gruppe gehe es nun darum, Vianden „neu zu beleben“. Dazu haben sie eine „Vision“, ein ganzheitliches Konzept zur Stadtentwicklung erarbeitet. Handel und Tourismus sollen wieder zum Motor der wirtschaftlichen Entwicklung werden. Doch die Lebensqualität der Viandener darf nicht darunter leiden.
Ein lebendiges Vianden
„Fir e liewegt Veianen“ will neue Wege gehen. „Der Motorradtourismus funktioniert nicht so gut wie gedacht und verursacht viel Lärm, was die Einwohner stört“, sagt Duebbers. Deshalb will man auf eine andere Kundschaft setzen. Mit Kultur-, Kongress- und Businesstourismus sollen das ganze Jahr über Touristen angezogen werden. Das Kulturzentrum Larei eigne sich gut für Kongresse und Konferenzen.
Diese Art des Tourismus könnte laut Duebbers auch der fortwährenden Schließung von Hotels und Restaurants entgegenwirken und den Einzelhandel in der Stadt neu beleben. „Wir haben einen jungen Bäcker, der Neues ausprobiert. Es fehlt vielleicht noch ein Metzger, eine „Epicerie“, ein Bioladen“. Doch die Gemeinde könne in diesem Prozess nur eine Vermittlerrolle einnehmen. Sie müsse Investoren finden, die das Risiko eingehen, ein Geschäft zu eröffnen.
Für Marc Schaefer sind die Tage der kleinen Geschäfte gezählt. Er selbst musste den Zeitungs- und Souvenirladen, den er von seiner Familie übernommen und rund 20 Jahre lang geführt hatte, vor einigen Jahren schließen. Das sei kein Viandener, sondern ein europäisches Problem. „In keinem Land in Europa gibt es in einer Stadt von 1.900 Einwohnern noch Geschäfte. Die Leute gehen einfach nicht mehr in kleine Läden. Wer schickt denn heute noch Postkarten oder bringt Geschenke aus dem Urlaub mit? Fotofilme gibt es nicht mehr und Tabak kann man an jeder Tankstelle kaufen. Die großen Marken liefern nicht mehr an kleine Läden. Diese Zeiten sind vorbei.“
Tourismus ist wichtig
„Är Equipe fir Veinen“ hat eine bodenständigere Vorstellung vom Tourismus. Sie setzt auf das Freizeitangebot. Mit Projekten wie der neuen Ourdall-Promenade oder der vom Staat geplanten Jugendherberge im ehemaligen Altersheim sollen Wanderer und Fahrradfahrer angezogen werden. Der alte Campingplatz wurde für Wohnmobile umgebaut. Das Mittelalterfest und der „Nëssmoort“ sind die Höhepunkte des Jahres, die tausende Besucher nach Vianden locken.
Doch viele der Freizeittouristen kommen mit dem Auto. Manchen Einwohnern gefällt das gar nicht. „Im Sommer herrscht hier Anarchie“, meint André Duebbers. „Die Straßen und Bürgersteige werden zugeparkt, was für die Einwohner sehr unangenehm ist. Wir sind kurzfristig für ein Shared Space in der Grand’rue. Langfristig wollen wir die Stadt relativ autofrei bekommen, indem wir ein Parkhaus bei der Larei und weitere große Parkplätze in Richtung Bettel schaffen. Elektrisch betriebene Busse sollen die Besucher von den Parkplätzen ins Stadtzentrum bringen. Anwohnerparken gilt weiterhin mit Vignette“.
Die Idee eines Parkhauses, damals im zentral gelegenen „Neipiertchen“, gab es schon vor Jahren. Doch sie war an den Bau einer Umgehungsstraße geknüpft. Dieses Vorhaben ist aber mittlerweile vom Tisch.
„An diesem Projekt hätte die Gemeinde unbedingt festhalten müssen“, sagt Tonino. Ohne die Umgehungsstraße lohne es sich nicht, das Parkhaus zu errichten. Ein neues Projekt im „Neipiertchen“ sieht vor, die öffentlichen Stellplätze unterirdisch anzulegen und ihre Zahl auf 30 bis 40 zu begrenzen. Statt eines Parkhauses sollen nun Einfamilienhäuser und Wohnungen für „Leute, die sich besser stehen“ dort gebaut werden, um soziale Vermischung zu erreichen, meint Tonino.
Mit der Straßenbauverwaltung habe der Schöffenrat vereinbart, dass der Großteil des Verkehrs über Bettel umgeleitet werde, um die Grand’rue zu entlasten, die zu einer „Zone de rencontre“ umgestaltet werden soll. Von einer autofreien Stadt hält Schaefer nach wie vor nichts. Die Umwege über Bettel seien zu groß. Es sei zu einfach, immer nach der Gemeinde zu rufen, wenn man keinen Parkplatz finde.
Claude Tonino beteuert, seine Mannschaft arbeite daran. Dezentrale Parkplätze sollen ausgebaut und besser miteinander verbunden werden. Ein geplantes Leit- und Orientierungssystem mit neuer Beschilderung soll die Besucher nicht nur zu den Parkplätzen, sondern auch zu den Sehenswürdigkeiten lotsen. Und nicht zuletzt sollen interaktive Bildschirme die Kommunikation mit den Bürgern verbessern.
De Maart

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