ParalympicsTom Habscheid, der einzige Luxemburger Athlet, peilt einen Podiumsplatz an

Paralympics / Tom Habscheid, der einzige Luxemburger Athlet, peilt einen Podiumsplatz an
Für Tom Habscheid werden die Spiele in Tokio nach Rio 2016 die zweiten Paralympischen Spiele sein Foto: Anouk Flesch

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Alles begann mit der Live-Übertragung der Olympischen und Paralympischen Spiele 2012 in London. Tom Habscheid war damals so angetan vom olympischen Sporttreiben, dass er sich noch im darauffolgenden Herbst ans Diskuswerfen heranwagte. Ein sportliches Abenteuer, das nun in Tokio, fünf Jahre nach der Premiere bei den Paralympics in Rio, einen erneuten Höhepunkt erleben wird. Hier vertritt er als einziger Athlet die Luxemburger Farben.

Mittlerweile hat Tom Habscheid den Diskus zur Seite gelegt und konzentriert sich komplett aufs Kugelstoßen. Auch hat er sich reichlich Erfahrungen in internationalen Wettbewerben angeeignet, immerhin hat der 35-Jährige seit der WM 2013 in Lyon keines der großen Ereignisse wie Europameisterschaft, Weltmeisterschaft oder Paralympics verpasst. Auf seine Resultate kann der Düdelinger stolz sein. Seine reiche Medaillensammlung enthält immerhin zweimal WM-Silber, fünfmal EM-Silber sowie eine EM-Bronzemedaille. Zudem gehört ihm seit Oktober 2019 der Weltrekord im Kugelstoßen in der Kategorie F63 mit 15,10 Metern. Jetzt würde Habscheid liebend gerne noch Edelmetall bei den Paralympics hinzufügen. Vor fünf Jahren erreichte der CAD-Athlet in Rio mit seiner damaligen Bestweite von 13,28 Metern den guten siebten Rang. Diese Leistung und Klassierung will er diesmal im Land der aufgehenden Sonne unbedingt toppen. Auf seine Erfahrungen aus der Premierenbeteiligung in Brasilien kann er allerdings in den jetzigen Pandemie-Zeiten nicht mehr zählen. „In Rio brauchte ich mich nur auf meinen Sport, auf das Kugelstoßen zu konzentrieren. Das administrative Drumherum hat Romain Fiegen damals von mir ferngehalten. In Tokio sieht das mit Corona ganz anders aus. Es gibt eine Unmasse an Papierkram zu erledigen und Informationen im Vorfeld zu verarbeiten. Ich hoffe, dass man vor Ort wieder in eine gewisse Lockerheit zurückkehren kann.“ So standen noch zahlreiche Covid-19-Tests und weitere administrative Aufgaben in Luxemburg vor dem Abflug auf dem Programm. 

In Japan wird Habscheid das Außersportliche nicht so sehr vermissen. „Genau wie in Rio findet mein Wettkampf ganz zum Schluss der Spiele statt. Damals hatte ich auch nur zwei Tage, um mich in der Stadt umzusehen. Hier wäre es genauso gewesen, denn vor dem Wettkampf sind Konzentration und Erholung angesagt. Es ist schade, dass dieser Aspekt fehlt, aber damit muss man sich abfinden.“ Habscheid gibt sich gewohnt gelassen und nimmt die Dinge, wie sie kommen. Die Pandemie hatte für den luxemburgischen Para-Athleten auch seine guten Seiten, denn im Juni 2020 verletzte er sich schwer an seinem einzigen gesunden Knie. Die Teilnahme an den Paralympics stand auf der Kippe. „Man kann sagen, dass ich Glück im Unglück hatte. Anfangs dachte ich, es würde sich um eine normale Überbeanspruchung handeln. Aber bei näherer Betrachtung hatte ich einen Knorpelriss im Knie, wo sich schon Partikel gelöst hatten, die im Knie umhergewandert sind. Von Juni bis November war an Kugelstoßen überhaupt nicht zu denken.“ Beinarbeit war in dieser Phase für Habscheid nämlich komplett ausgeschlossen. Im Vordergrund stand auf einmal Rehabilitation. Zahlreiche IRM-Untersuchungen haben schließlich ergeben, dass sich eine kleine Zyste gebildet hatte. Solange diese keine Probleme hervorruft, soll auch von einer Operation abgesehen werden. Auch diese schwierige Zeit hat Habscheid gut gemeistert. „Ich bin mental auf der Höhe und konnte andere Dinge unternehmen. So hatte ich viel mehr Zeit für meine Familie. Im Training habe ich Yoga eingebaut, was mir mehr Gelenkigkeit verliehen hat. Es hatte sicherlich auch seine positiven Punkte. Meinem Körper hat diese Erholungsphase sicherlich gutgetan.“

Zurück nach einer schweren Knieverletzung

Da sich Habscheid bereits frühzeitig für Tokio qualifiziert hatte, blieb der große Stress in dieser Hinsicht aus. Ab November konnte er wieder in den gewohnten Trainingsalltag einsteigen. Was fehlt, ist allerdings der große Wettkampfrhythmus. „Diesmal blieben die internationalen Wettkämpfe etwas aus. Ich komme dieses Jahr auf knapp sechs Events, sonst standen immer weit mehr als ein Dutzend Wettbewerbe in der Vorbereitung an. Hier gibt es sicherlich ein Manko. Aber damit muss ich leben. Ein guter Athlet ist ein flexibler Athlet.“ Auch einige Tage vor dem Abflug gab sich Habscheid, wie gewohnt, ganz entspannt. Angesprochen auf seine Erwartungen, meinte er: „Ich fahre nicht nach Tokio als Tourist. Ich versuche, mein Bestes abzuliefern. Entweder springt etwas heraus oder nicht. Laut den statistischen Werten müsste ich es eigentlich aufs Podium schaffen und einen zweiten Platz erreichen. Aber es gibt viele Unbekannte. Wie wird das Wetter sein? Welche Auswirkungen wird es auf mich haben? Vieles hängt auch davon ab, ob ich einen guten Tag erwischen werde.“ Auch gilt es, noch zwölf lange Tage in Tokio zu überstehen. „Mein Trainer sagt immer, dass man mir immer erst ganz zum Schluss ansieht, ob ich fit bin oder nicht. Ich kenne diese Situation aus allen großen Wettbewerben, in denen die letzten drei Tage entscheidend sind.“

Ein guter Athlet ist ein flexibler Athlet

Tom Habscheid, über die schwierige Vorbereitung aufgrund der Corona-Pandemie

Habscheid wirkt noch stressfrei, obwohl, wie er zugibt, im Training nicht alles so geklappt hat wie erwartet. Mittlerweile sind seine Gegner bekannt. Es wird eine Konkurrenz von neun Teilnehmern geben. Bei den Paralympics sind die beiden Klassen F42 und F63 bekanntlich in einem Wettkampf vereint. Mit seiner Saisonbestleistung von 14,53 Metern, erzielt bei der EM in Bydgoszcz, befindet sich Tom Habscheid an zweiter Position, hinter seinem ewigen Rivalen Aled Davies (15,80). „Alles hängt von den Bedingungen am Wettkampftag ab. Aled liebt einen trockenen Ring. In Tokio kann es ja bekanntlich auch zu Regentagen kommen. Dann wäre ich im Vorteil, denn die Angleiter, wie ich, kommen besser mit diesen Voraussetzungen zurecht als die Drehtechniker wie Davies.“

Mit viel Optimismus und Ruhe ging Habscheid am Sonntag, zusammen mit seinem Trainer Fernand Heintz, die Reise nach Japan an, wo er am Dienstag seinen ersten Auftritt als Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier (13.00 Uhr, MESZ) hat. Sein Wettbewerb im Kugelstoßen ist für Samstag, den 4. September um 12.44 Uhr (MESZ) angesetzt. 

Tom Habscheid hat sich erst im Verlauf seiner Karriere auf das Kugelstoßen konzentriert
Tom Habscheid hat sich erst im Verlauf seiner Karriere auf das Kugelstoßen konzentriert Foto: Anouk Flesch