SchwimmenRaphaël Stacchiotti: „Tokio wird meine letzte große Etappe“

Schwimmen / Raphaël Stacchiotti: „Tokio wird meine letzte große Etappe“
Raphaël Stacchiotti wird nach seiner Erkältung beim Euro Meet über 200 und 400 m Lagen an den Start gehen  Foto: Julien Garroy

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Wie lange braucht man, um vom „Drillicht“ zum Sportoutfit zu wechseln? Wie schnell schwimmt man 200 m Lagen in der Coque? Fragen, auf die es vor dem Euro-Meet-Startschuss Antworten vom gewohnt gut gelaunten Luxemburger Olympia-Teilnehmer Raphaël Stacchiotti gab. 

Tageblatt: Wie gehen Sie damit um, in der Coque auf riesige Plakate mit Ihrem Gesicht zu stoßen? Gefallen Sie sich eigentlich auf diesen Fotos?

Raphaël Stacchiotti: Am Anfang habe ich viele Fotos dieser Plakate von Kollegen geschickt bekommen, mit dem Kommentar, dass ich jetzt berühmt sei. Es bedeutet, dass ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen ist. Nach all den Jahren bekommt man Anerkennung für die vielen Strapazen. Das ist ein schönes Gefühl und hilft einem über die schlechten Tage hinweg. Wenn man sein Bild mit dem Titel „Home of Athletes“ sieht, kann man stolz sein. Und ja, sie gefallen mir. Ich bin nicht kritisch, ein Foto ist ein Foto.  

Sehen Sie sich selbst als einen der lustigsten Luxemburger Sportler?

Gibt es denn so ein Gerücht? (lacht) Ich sehe mich beispielsweise bei den Spielen der Kleinen Staaten eher als jemanden in einer Leaderposition – sei es beim Bekanntheitsgrad oder bei kleinen Späßchen. Ich habe viel Erfahrung und weiß, dass die Menschen Schwimmen mit mir in Verbindung bringen. Das macht mich stolz. Aber als den lustigsten Athleten sehe ich mich nicht. Das Auftreten mit der ganzen Mannschaft ist wichtig. Ich möchte, dass sich die jungen Sportler für andere Disziplinen interessieren und in der Lage sind, die Leistung abzurufen, wenn es darauf ankommt. Ich mag dieses Klischee nicht, dass Luxemburger keine Stimmung machen können. Das ist falsch. Deshalb will ich jeden mitreißen. 

Sie sind trotzdem sehr entspannt. Wie ist das so kurz vor dem Startschuss des Euro Meet möglich?

Ich wäre es wohl nicht, wenn ich die Olympia-Norm nicht bereits im Sommer geschafft hätte. Das hat mir enorm viel Druck genommen. Es liegt ein sehr kompliziertes Trimester hinter mir. Es lief suboptimal. Worauf es zurückzuführen ist, weiß ich nicht. Ein Grund könnte sein, dass ich acht Jahre einer Zeit hinterhergeschwommen bin, die ich jetzt im Sommer endlich erreicht habe. Es fiel derart viel Last von mir ab, dass ich mir momentan noch nicht allzu viel Stress mache. Ich wäre ein ganz anderer Mensch, wenn ich hier die Norm schwimmen müsste. Ich lag letzte Woche wegen einer Erkältung flach. Das Training wurde angepasst und ich bestreite auch nur zwei Rennen. Die Hoffnungen sind nicht die gleichen, deshalb bin ich ganz gelassen. Es ist geht an diesem Wochenende eher darum, für die Zukunft zu arbeiten, als dass die Leistung im Vordergrund steht. 

Wie lange können Sie sich denn noch erlauben, so gelassen zu bleiben?

Das Training ist nach wie vor extrem intensiv. Es ist so, dass dieser Druck, der abgefallen ist, seine Spuren hinterlässt. Ich werde seither erstaunlich oft krank. Bei der Last, die abgefallen ist, handelt es sich um eine Blockade, die jahrelang da war und endlich weg ist. Meiner Meinung nach hat mein Körper dadurch das Signal bekommen, dass sich acht Jahre Arbeit bezahlt gemacht haben. Das muss ich respektieren und akzeptieren. Das hindert mich nicht daran, sauber weiterzutrainieren wie in den letzten Jahren. 

Welche Zeiten haben Sie denn anvisiert?

Ich gehe nicht mit dem Ziel ins Rennen, Bestzeiten schwimmen. Das habe ich immerhin nur einmal im Leben geschafft. Ich fühle mich derzeit auch nicht dazu in der Lage. Es kommt, wie es kommt. Wir werden sehen, wie weit mich das trägt. Ich stehe bereits im A-Finale der 400 m Lagen (am Freitag). Bei den 200 m Lagen (am Sonntag) kommen die zehn Schnellsten ins A-Finale. Dort bin ich mit der drittschnellsten Zeit gemeldet. Der Zweit- und Viertschnellste der vergangenen WM haben die besten Meldezeiten, vor mir. Mal sehen, wie wir alle drauf sind. 

Ihr Vater Marco ist Präsident des Schwimmverbandes. Haben Sie die Ruhe von ihm geerbt oder ist er derzeit gestresst?

Seit ich ausgezogen bin, sehe ich ihn nicht mehr so oft. Das hat Vor- und Nachteile. Im Moment wohl eher ein Vorteil, weil mich viele Dinge nichts angehen und mich eher ablenken würden. Es ist besser, zurzeit nur Athlet zu sein als zu versuchen, mich auf dieser Ebene ins Geschehen einzubringen. 

Wer kennt Sie als „Sir Kingfish“?

Meine früheren Kollegen aus dem LGL und dem „Sportlycée“. Ich glaube, der Name stammt von der 5e, als ich meine ersten nationalen Rekorde bei den Senioren geschwommen bin. Aber dieser Spitzname ist vom Aussterben bedroht. Es sind wirklich nur noch ganz wenige, die mich so nennen würden. „Stackes“ oder „Raph“ sind die Abkürzungen, die öfter fallen. Oder „Décken“, wie meine Freundin und ich uns gegenseitig nennen. 

Um bei der Schule zu bleiben: Was hat es mit Ihrer Vorliebe für Snooker und GTA auf der Playstation auf sich?

Damals kam die PSP, die tragbare Playstation, auf den Markt. Wenn mal wieder eine Prüfung danebenging, wurde der Kopf auf die Bank gelegt. Während die anderen auf ihre Prüfung warteten, spielte ich Playstation. Das sind die Dummheiten von früher. Snooker hatte ich extrem gern, aus familiären Gründen. Mein Schwager Jo Graff ist früher Billard-Nationalspieler gewesen.

Religion und Geschichte waren dagegen nicht so beliebt …

Ich würde es nicht bei den beiden Fächern belassen … Es gab ein paar. Ich war kein Musterschüler. Ich habe Schwimmen wohl zu oft in den Vordergrund gestellt und die Schule vernachlässigt. Ich hatte immer die nötige Unterstützung, um das Ganze über die Bühne zu bekommen. 2016, nach meiner dritten Olympia-Teilnahme, ging ich dann zur Armee. Wenn ich etwas bereuen kann, dann möglicherweise, dass ich das nicht früher gemacht habe. Andererseits hätte ich meinen Auslandstrip nach Marseille nicht machen können.

Welche lebenswichtigen Weisheiten lernt man in der Armee?

Dass man fast nichts alleine schafft und auf Hilfe von anderen angewiesen ist. Der Teamgeist ist extrem wichtig. Ein Spruch ragt heraus: „Du bist nur so stark wie dein schwächstes Glied.“ Die Disziplin, die man dort lernt, ist eine Schule für das Leben. 

Haben Sie seither auch einen Landesrekord im Betten-Beziehen?

In der Tat gibt es so etwas in der Art, den „Maskenball“. Man hat nur ein paar Minuten, um die Outfits zu wechseln. Dann liegt natürlich jede Menge Zeug auf dem Bett. Man muss alles aufräumen, denn kurz zuvor ging es darum, schnellstmöglich vom „Drillicht“ zur Kampfausrüstung zu wechseln, um dann wieder in die Sportkleidung zu springen oder in „Bottines“ und mit den Waffen bereit zu stehen. Das Ganze innerhalb weniger Minuten. Wenn es heißt, Maskenball, weiß man, dass man eine schöne Doppelstunde vor sich hat. Da lernt man, praktisch zu arbeiten und sich vorzubereiten. Ich glaube, dass meine Schränke und mein Bett immer in Ordnung waren, sodass es nie zu Eskalationen kam. Für mich waren diese 16 Wochen eine schöne Zeit.

Peking 2008, London 2012, Rio 2016 … und das Ziel in Tokio?

Mindestens das Ergebnis der WM zu wiederholen. Mit einem Landesrekord unter die Top 16, damit wäre die „mission accomplished“. Klar gibt es andere Visionen und Träume, aber der Fokus liegt wirklich darauf, das Beste aus sich herauszuholen. Man ist ja immer auch abhängig von den Resultaten der Konkurrenz. Wenn ich Bestzeit schwimme, bedeutet es ja nicht, das es reicht, um in ein Halbfinale zu kommen. 

Und Paris 2024?

Nein. Tokio wird meine letzte große internationale Etappe auf Profilevel werden. Danach hänge ich vielleicht ein Jahr dran, um mich zu amüsieren. Eine Teilnahme bei den JPEE zum Beispiel wäre toll. Danach ist definitiv Schluss. Die Jugend sitzt bereits im Nacken und man muss um einen Platz in der Staffel kämpfen. 

Was kommt denn danach?

„Nation-Branding“ ist ein Thema, das mich sehr interessiert. Das Image, das Luxemburg im Ausland hinterlässt, oder das Mindsetting, der hierzulande noch ausbaufähig ist. 

Bislang sind Sie offiziell der einzige Luxemburger Schwimmer, der sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat. 

Julie (Meynen) fehlt eine Hundertstelsekunde. Sie erfüllt die Vorgaben des COSL, um über die B-Norm nachzurücken. Aber ich bin ohnehin überzeugt davon, dass sie sich noch auf den 100 m Freistil verbessern kann. Das weiß sie auch. Zwei ist besser als einer. Jede zusätzliche Person ist hilfreich für die Moral und den Teamgeist. 

Ein Lagen-Schwimmer: In allem gut oder nicht in der Lage, sich für eine Disziplin zu entscheiden?

Hierzulande war ich immer Alles-Schwimmer und habe in jeder Disziplin mindestens einen Landesrekord. Um aber im Ausland mitzuhalten, muss man in allen vier gut sein. Beispielsweise haben Phelps und Lochte diesen Trend gesetzt. Man sieht immer öfter, dass Lagen-Schwimmer auf höchstem Niveau in zwei bis drei Disziplinen oben mithalten können. Es ist undankbar, da man immer das Gefühl hat, eine Disziplin vernachlässigt zu haben. Letztendlich ist die Kombi entscheidend – und die Transitionen beim Wechsel. Jeder Muskel wird beansprucht. Das Schwere ist, den Schmerz von der einen Disziplin mitzunehmen und auf einen anderen Muskel zu transferieren. Bei mir ist die zweite Hälfte besser (Brust, Freistil), wo ich gegenüber der Weltspitze wenig verliere. Ich habe eher Startschwierigkeiten (Schmetterling, Rücken), besonders im Rücken. Meine Stärke ist es, nirgends schwach zu sein. 

Ein Tag als …

… FLNS-Präsident: „Schwer zu sagen, ich will meinen Vater ja nicht in die Pfanne hauen. Wenn ich könnte, würde ich alle Vereine zusammentrommeln und alle Parteien ins Boot holen – um sich auszutauschen, ihnen zuzuhören, von der Schwimmschule bis zum Profilevel.“
… FLNS-Nationaltrainer: „Diese Sachen zu Papier bringen. Ich wäre die Stimme Nummer eins des Schwimmsports und könnte konkret technische Dinge präsentieren, um die Weichen für die Zukunft zu stellen. Als Nationaltrainer würde ich den Freiwilligen, die enorm viel Zeit investieren, einen Teil der Arbeit abnehmen.“
… Grand-Duc: „Ich würde gerne mal miterleben, wie die Staatschefs miteinander umgehen und sehen, wie normal sie sind. Welche Staatsgeheimnisse plaudern sie aus?“