RadsportTim Diederich vor der Gravel-WM:„Hoffe, die Top 100 sind machbar“

Radsport / Tim Diederich vor der Gravel-WM:„Hoffe, die Top 100 sind machbar“
Tim Diederich fährt am Sonntag beim Elite-Rennen der Gravel-WM mit  Fotos: Privat

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Bereits am Mittwoch hatte sich Tim Diederich, der amtierende vierfache Landesmeister auf der Straße und seit sieben Jahren im Zeitfahren (Elite ohne Vertrag), mit seinem belgischen Konkurrenten Jan-Frederik Finoulst auf den langen Weg nach Italien gemacht. Gleich nach der Ankunft am Donnerstag inspizierte der Lehrer eine erste Hälfte der 168 Kilometer langen WM-Strecke und stand dem Tageblatt anschließend Rede und Antwort.

Tageblatt: Tim Diederich, was erwarten Sie sich nach Ihrem 49. Platz 2022 von der diesjährigen WM?

Tim Diederich: Nach der Premiere im letzten Jahr ist das Niveau richtig krass nach oben gegangen. Das Gravelbike ist gekommen, um zu bleiben und es fahren auch immer mehr Profis von der Straße mit. Es macht einfach großen Spaß und ist eine andere Art, Rennen zu fahren. Dieses Mal wird auch die WM anders.

Was hat sich denn geändert?

Letztes Jahr war es nach zwei Anstiegen am Anfang über die letzten 100 Kilometer fast ein Straßenrennen. Etliche Profis fuhren sogar mit Rennrädern mit etwas breiteren Reifen. Dieses Mal muss bis zum Schluss jeder treten. Nach einer Anfangsrunde am See über 45 Kilometer geht es in der ersten Schleife von 55 Kilometern richtig zur Sache. Da sind sechs steile Anstiege mit Abschnitten von 20 Prozent, auch schnelle, kurze Abfahrten. Ich nehme an, dass eine erste Auslese nach der ersten Zieldurchfahrt so nach 90 Minuten passiert, wenn auf einen viereinhalb Kilometer langen Anstieg eine kurze Abfahrt und gleich der nächste Berg kommt. Auf der zweiten Schleife, die wir uns heute (gestern) Nachmittag anschauen, gibt es zehn Kilometer vor dem Ziel noch einen langen Anstieg, wo sich vielleicht der Sieg entscheidet. Aber das ist für mich nicht mehr so wichtig (lacht).

Wie lautet Ihr Plan für die WM?

Eine Platzierung ist bei diesem Fahrerfeld schwer vorauszusagen und selbst aus den USA ist dieses Mal ein starkes Team am Start. Aber ich will in der ersten Hälfte ankommen, ich hoffe, die Top 100 sind machbar. Für ein besseres Resultat hängt viel von der Tagesform ab, ob die Ravis klappen und man keine Probleme mit der Technik hat. Ich will die ersten 100 Kilometer alles geben und auf der zweiten Schleife dann meinen Platz halten.

Dieses Mal sind Sie auf sich gestellt?

Bei der Premiere ließ die FSCL alle Fahrer, die sich durch eine Platzierung unter den ersten 25% bei einem UCI-Rennen für die Age Group qualifizierten, bei der Elite starten. Mit Jempy Drucker als „Soigneur“ und Fahrer für den ganzen Nachhauseweg. Dieses Jahr habe ich mir meinen Startplatz mit mehr Gravelrennen, einer guten Straßenmeisterschaft und auch einer guten Europameisterschaft verdient. Bei anderen reichte es leider nicht für die Elite und ich habe zwar herumgefragt, aber konnte so kurzfristig keinen „Soigneur“ finden. Was etwas blöd ist, denn es ist ein großes Rennen und ich bin gut in Form.

Wie organisieren Sie sich denn?

Bei den verschiedenen Gravelrennen lernte ich den Belgier Jan-Frederik Finoulst kennen. Weil auch er alleine unterwegs ist, teilen wir uns das Auto und haben beide zur Sicherheit einen Camelback von zwei Litern eingepackt. Doch für Sonntag sind 28 Grad im Schatten gemeldet und wir starten um 10.30 Uhr, sodass man keinen Rucksack und kein zusätzliches Gewicht auf dem Rücken haben will. Doch wegen seiner Teamkollegen vom Team Dauner ist Noé Ury als „Soigneur“ vor Ort und wahrscheinlich wird er mir zwei große Trinkflaschen reichen können. Drei Liter sollten für rund fünf Stunden reichen und zur Not kann man unterwegs um Wasser betteln oder man bleibt kurz stehen und verliert zehn Sekunden, aber auch die Gruppe an einer Verpflegungsstelle.

Wie kamen Sie überhaupt zum Gravelbike und was gefällt Ihnen daran so gut?

Da während der Pandemie nicht klar war, wann das nächste Straßenrennen ist, der Verkehr immer aggressiver wird und ich als ambitionierter Sportler zu schnell für die Radwege mit den Hunden und Kutschen bin, habe ich mir bei Andy Schleck gleich ein Gravelbike gekauft. An der Mosel ist es mit dem MTB nicht so spannend und man ist mit dem Gravelbike sehr flexibel, kann zwischendurch Straße fahren, aber auch Wald- und Feldwege entdecken und so große Runden absolvieren. Die Rennen sind mit rund fünf Stunden oft deutlich länger als Amateurrennen und man muss ständig Druck auf der Pedale haben. Man kann sich nicht die ganze Zeit im Windschatten verstecken und danach gewinnen, was mich auf der Straße immer nervte. Als guter Zeitfahrer und mit viel Kraftausdauer passt mir der ständige Rollwiderstand im Gelände besser als auf der Straße mitzurollen und dann einige Peaks zu drücken.

Fühlt sich auf dem Gravelbike wohl: Tim Diederich
Fühlt sich auf dem Gravelbike wohl: Tim Diederich

Wie sieht es denn mit der Technik im Gelände aus?

In den zwei, drei Jahren Gravelbike habe ich viele Fortschritte gemacht. Die Technik ist noch immer nicht meine Stärke, aber auch nicht mehr die große Schwäche. Bei meinen Rennen in Schweden und Spanien konnte ich bei guten Leuten im Rad fahren, lernte ihre Linien und nehme auch ihre Geschwindigkeit in den Kurven und den Abfahrten mit. Die technischen Anforderungen sind aber nicht mit dem Mountainbike vergleichbar. Es ist wichtig, vorausschauend zu fahren. Beim Material habe ich sehr viel dazugelernt, fahre mittlerweile ein besseres Rad mit Chaincatcher und habe gelernt, dass sich Risiko meist nicht lohnt. Wenn man an der falschen Stelle versucht, zu überholen, hat man schnell einen Durchschlag und lieber verliere ich in der Abfahrt ein paar Sekunden und muss dann eine Minute etwas mehr drücken, als einen Sturz zu riskieren. An vielen Stellen pedaliert man auch besser etwas mit, damit die Kette Spannung hat und nicht runterfällt.

Bei den Landesmeisterschaften fahren Sie gegen Bob Jungels oder Kevin Geniets und auch bei der Flèche du Sud sind sehr starke, junge Fahrer. Aber wie ist es, etwa beim Ranxo, gegen einen Alejandro Valverde anzutreten?

Bei den Meisterschaften habe ich bereits gezeigt, dass ich an einem Tag auch mal ein wenig mit den Profis mithalten und sie ärgern kann. Im Gravel gibt es mir aber extra Motivation, wann man mit Fahrern wie Valverde in einer Gruppe fahren kann und ein Relais übernimmt. Diese Gelegenheit hat man als Amateur sonst nicht. Das pusht meine Leistung und motiviert mich im Training. Bei der WM hatte ich die Wahl und hätte in der Age Group um die Top 10 fahren können. Aber es motiviert mich mehr, hier mit einem Wout van Aert und vielen anderen Topfahren zu starten. Bei der EM letzte Woche schaffte ich es ja auch, mit Daniel Oss ins Ziel zu fahren. Die EM war grandios, denn in Flandern wird Radsport richtig gelebt und ich bin mit meiner Leistung auch ganz zufrieden

Generalprobe bei der EM

In Flandern fanden am letzten Wochenende die ersten Europameisterschaften mit dem Gravelbike statt. Beim Sieg vom Lidl-Trek-Profi Jasper Stuyven in Oud-Heverlee kam Tim Diederich als bester FSCL-Fahrer mit 20 Minuten Rückstand auf den 44. Platz. Knapp zwanzig Minuten dahinter erreichte der erfahrene Pol Weisgerber als 70. das Ziel und noch einmal 18 Minuten dahinter wurde Max Larry 80. Die 20-jährigen Noé Ury und Arno Wallenborn waren ebenso wie Philipp Bützow unter den rund 100 Fahrern, die es bei der Elite nicht ins Ziel schafften. Bei den Frauen gewann die Niederländerin Lorena Wiebes und Isa Klein fuhr mit gut 26 Minuten Rückstand auf den 25. Platz. Wobei die starke Triathletin wegen eines frühen Plattfußes ein paar Kilometer lief und anschließend eine Aufholjagd startete.