RadsportJungels und Geniets beim Hitzeroulette in Sanremo

Radsport / Jungels und Geniets beim Hitzeroulette in Sanremo
Julian Alaphilippe geht als Titelverteidiger an den Start Foto: AFP/Marco Bertorello

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Im zehnten Versuch will Peter Sagan heute endlich Mailand-Sanremo gewinnen. Der längste Klassiker des Radsportkalenders wird oft mit einem Roulettespiel verglichen. Neben Sagan scheinen die Franzosen Julian Alaphilippe und Arnaud Démare, der Belgier Wout Van Aert, der Italiener Elia Viviani und der Kolumbianer Fernando Gaviria die besten Jetons in der Hand zu halten.

„San Giuseppe“ (Josefstag) ist in Italien gleichbedeutend mit „Festa del papà“ (Vatertag). Am selben Tag (19. März) wurde früher Mailand-Sanremo ausgetragen, bis jemand auf die Idee kam, das erste große klassische Eintagesrennen auf den Samstag in der Woche des 19. März zu verlegen. Im Jahr 2015 wich man, angeblich wegen der Sponsoren und des verminderten Verkehrs, auf den Sonntag aus. Das Resultat war nicht zufriedenstellend. Also: „Ritorno alle radici“ (Zurück zu den Wurzeln)! Ab 2016 wurde Mailand-Sanremo wieder am dritten Samstag im März gefahren. – Bis Corona kam und den Sport auf der ganzen Welt lahmlegte.

Neue Strecke

Wegen der Pandemie findet „La Primavera“ (zweiter Beiname von Mailand-Sanremo) nun „in piena estate“ statt, aus einem Frühlingsrennen wird für ein Jahr ein Wettbewerb mitten im Sommer. Wer vorne mit dabei sein will, muss also zuerst mit den hohen Temperaturen und den neuen Gegebenheiten (nur sechs Fahrer pro Team) klarkommen. Zum Zweiten darf der Sieganwärter keine Angst vor der Kilometerzahl haben, die ab 10.50 Uhr auf ihn wartet. Mit 299 km ist Mailand-Sanremo der längste aller Klassiker, die Distanz wuchs gar um 8 km gegenüber dem Vorjahr an, weil der traditionelle Streckenverlauf geändert werden musste.
Wegen der Corona-Restriktionen sprachen sich die meisten Bürgermeister der Ortschaften an der malerischen ligurischen Küste gegen eine Passage des Rennens aus, sodass die Organisatoren auch die Anstiege Turchino, Capo Mele, Capo Cerva und Capo Berta streichen mussten.

Stattdessen wurde mit dem Colle di Nava (70 km vor dem Ziel) eine neue Schwierigkeit in den Parcours eingebaut, doch konnten die letzten 36 km mit dem traditionellen Finale über die Cipressa und den Poggio (zum 60. Mal nacheinander!) beibehalten werden. Der Sieger wird seit 2015 wieder auf der Via Roma, dem klassischsten aller Ankunftsorte, gekürt, dort also, wo Eddy Merckx mit seinen sieben Siegen Geschichte schrieb. Mailand-Sanremo endete von 1949 bis 1985 und von 1994 bis 2007 auf der Via Roma, bis 1948 und von 1986 bis 1993 auf dem Corso Cavalotti und von 2008 bis 2014 am Lungomare Italo Calvino.

Sagans 10. Versuch

Wer heute nach 18 Uhr auf dem Podium als Sieger gefeiert wird, ist schwerer vorherzusagen, als dreimal hintereinander einen „Plein“ am Roulettetisch zu treffen. Einer der großen Favoriten ist seit einem Jahrzehnt Peter Sagan. Neunmal schon war er bei der „Classicissima“ (erster Beiname von Mailand-Sanremo) am Start, sein bestes Resultat erzielte er 2013 und 2017 mit einem zweiten Rang. Bei seinem ersten Versuch (2011) hatte der Slowake den 17. Platz belegt, danach war er zweimal Vierter (2012, 2015), einmal Sechster (2018), einmal Zehnter (2014), und 2016 gar nur Vierzehnter geworden, weil er auf der Zielgeraden durch den Sturz des impulsiven Kolumbianers Fernando Gaviria ausgebremst wurde.

Vor einem Jahr fuhr Sagan, der zuvor bei Tirreno-Adriatico an einer Magen-Darm-Infektion litt, hinter Julian Alaphilippe, Oliver Naesen und Michal Kwiatkowski zum dritten Mal bei Mailand-Sanremo auf den vierten Rang. Obwohl er gesundheitlich angeschlagen war, hinterließ er im Anstieg des Poggio einen starken Eindruck, als er den vorentscheidenden Angriff von Julian Alaphilippe souverän konterte. Auf der Via Roma aber war Sagan zu schlecht platziert, um noch um den Erfolg mitreden zu können. Dagegen hatte Sieger Alaphilippe, der ein taktisch kluges Rennen fuhr, im Schlussteil immer den richtigen Riecher.

Gilberts Traum

Der Deceuninck-Kapitän ließ sich von seinem Team den ersten Teil die Rampe hochlotsen, danach übernahm er das Ruder und forcierte das Tempo derart, dass die Rekordmarke um drei Sekunden geknackt wurde. Der Poggio ist 3,7 km lang und im Schnitt auch 3,7% steil. Seit dem Jahr 1995 hielt Laurent Jalabert mit 5:44 Minuten die Bestleistung, die oben beim Telefonhäuschen gemessen wird. Im Frühjahr 2019 passierte Michal Kwiatkowski dort als Erster in 5:41.

Alaphilippe ist natürlich Mitfavorit auf seine eigene Nachfolge. Sieganwärter aber gibt es eine ganze Menge (siehe Kasten „Unsere Favoriten“), wobei zu bemerken ist, dass einem Konkurrenten der ganz grosse Coup gelingen könnte. Falls Philippe Gilbert sich durchsetzen sollte, wäre er der vierte Fahrer, der nach Rik Van Looy, Eddy Merckx und Roger De Vlaeminck alle fünf „Monumente“ des Radsports (Mailand-Sanremo, Ronde van Vlaanderen, Paris-Roubaix, Liège-Bastogne-Liège, Il Lombardia) gewinnen würde.

Mit Bob Jungels (Startnummer 5) und Kevin Geniets (Nr. 132) sind heute auch zwei Luxemburger am Start. Beide nutzen des Rennen, um sich auf spätere Aufgaben vorzubereiten und ihren Leadern Julian Alaphilippe (Deceuninck) und Arnaud Démare (Groupama), die alle beide schon einmal Mailand-Sanremo gewonnen haben, zu helfen. Während Geniets seine ersten Erfahrungen beim italienischen Klassiker sammelt, war Jungels vorher schon einmal dabei. Im Jahre 2014, als Alexander Kristoff gewann, klassierte er sich als 87. auf 10’04“.

111. Mailand-Sanremo - Fakten 

* Erstauflage: 1907. Sieger war der Franzose Lucien Petit-Breton. Heute Samstag kommt es zur 111. Auflage.
* 51 italienische, 59 ausländische Siege, davon 20 belgische.
* Rekordsieger: Eddy Merckx (Belgien) mit 7 Erfolgen (1966, 1967, 1969, 1971, 1972, 1975, 1976).
* Schnellstes Rennen: Gianni Bugno 1990. Schnitt 45,806 km/h
* Palmarès der letzten Jahre: Julian Alaphilippe (2019), Vincenzo Nibali (2018), Michal Kwiatkowski (2017), Arnaud Démare (2016), John Degenkolb (2015), Alexander Kristoff (2014), Gerald Ciolek (2013), Simon Gerrans (2012), Matthew Goss (2011), Oscar Freire (2004, 2007, 2010), Mark Cavendish (2009), Fabian Cancellara (2008), Filippo Pozzato (2006), Alessandro Petacchi (2005).
* Letzter italienischer Sieger: Vincenzo Nibali (2018), letzter Sieger im Weltmeistertrikot: Giuseppe Saronni (1983).
* Offiziöser Start: heute Samstag um 10.50 Uhr in Mailand beim Castello Sforzesco, offizieller Start (km 0) um 11.10 Uhr in Trezzano sul Naviglio.
* Ankunft: zwischen 18.05 und 18.45 Uhr in Sanremo auf der Via Roma.
* Strecke: 299 km: Hauptschwierigkeiten: Niella Belbo (785 m, km 161,7), Colle di Nava (936 m, km 229,7), Cipressa (239 m, km 277,5), Poggio di San Remo (160 m, km 293,5).
* Am Start: 27 Mannschaften mit je 6 Fahrern (im Total 162 Fahrer): Ag2r, Alpecin-Fenix, Astana, Androni Giocattoli, Bahrain, Bardiani CSF, Bora-Hansgrohe, CCC Team, Circus Wanty-Gobert, Cofidis, Deceuninck, Education First, Gazprom-Rusvelo, Groupama FDJ, Israel Start-Up, Lotto-Soudal, Mitchelton-Scott, Movistar, NTT Pro Cycling Team, Team Arkea-Samsic, Team Ineos, Team Jumbo-Visma, Team Sunweb, Total Direct Energie, Trek-Segafredo, UAE Team Emirates, Vini Zabu KTM.
* Zwei Luxemburger Fahrer am Start: Bob Jungels (Dossard 5), Kevin Geniets (132).
* Wettquoten: Van Aert 7,00; Ewan 8,00; Van der Poel 9,00; Sagan 10.00; Démare 10,00, Bennett 17,00; Alaphilippe 19,00; Gaviria 21,00; Gilbert 21,00; Matthews 21,00 … Jungels 67,00.
* Preisgelder: Platz 1. 20.000 €, 2. 10.000 €, 3. 5.000 €, 4. 2.500 €, 5. 2.000 €., 6.+7. 1.500 €, 8.+9. 1.000 €, 10.-20. 500 €. Preisgelder bis Platz 20.
* Wetterprognose: Sonnig beim Start in Mailand (10.50 Uhr, 28 Grad), sonnig in Sanremo (nachmittags, 33 Grad).
* Direkte Fernsehübertragung: ab 15.00 Uhr bei L’Equipe TV, ab 15.30 Uhr bei Rai2, ab 15.30 Uhr bei RTL Télé Lëtzebuerg, ab 15.30 bei Eurosport, ab 15.50 Uhr bei La Une (RTBF1)
P.L.