Obdachlosen-WM mit Luxemburger Team: Die Straßenfußballer

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Im September wird eine Luxemburger Mannschaft an einer Fußball-Weltmeisterschaft teilnehmen. Aber weder Team noch Turnier haben etwas mit dem üblichen Glanz, Glamour und Kommerz zu tun, der alle vier Jahre über die Welt hereinbricht. Es ist ein Turnier für Straßenfußballer im wahrsten Sinne des Wortes. / Kim Hermes

In Mailand steigt nämlich ab dem 6. September der „Homeless World Cup“. Zum sechsten Mal treffen sich Obdachlosen-Teams aus aller Welt, um ihre Weltmeisterschaft auszutragen. Gespielt wird auf einem „Street Soccer“-Feld (22×16 Meter). Ein Torwart, drei Feldspieler. Und mit dabei ist zum ersten Mal eine achtköpfige Luxemburger Delegation.
Die treibende Kraft, Manager, Trainer und Initiator der Idee ist Saverio Rella, Agent administratif im Foyer Ulysse. Streetworkerin Stéphanie Silva hatte eine Reportage über diese besondere WM im Fernsehen gesehen und Sav, wie ihn im Foyer alle rufen, darauf angesprochen. Der war sofort interessiert, hat eine Anfrage gestellt und am 19. März kam die Bestätigung: Luxemburg ist in Mailand dabei.
So ist Saverio Rella vom Agent administratif zum Auswahltrainer geworden, auch wenn er sich einen „richtigen Trainer“ für seine Truppe wünschen würde. Es ist eine besondere Mannschaft, die er da betreut. Teilnehmen kann jeder, der die letzten zwei Jahre auf der Straße gelebt hat oder zurzeit obdachlos ist. Treffpunkt ist immer donnerstags, bei der „Téistuff“ des Foyer Ulysse. Wie viele überhaupt erscheinen, weiß Rella nie. „Wir hatten bisher jedes Mal zwölf Leute. Aber es kann durchaus sein, dass heute gar keiner kommt“, so der 32-Jährige am vergangenen Donnerstag. Am Ende sind es immerhin zehn Leute. Auf den ersten Blick unterscheidet sie nichts von einer ganz normalen „Bolztruppe“. Es wird gefachsimpelt, über Fußball, Radsport und die Champions League. Und natürlich ist einer dabei, der ein Bayern-Trikot anhat, was in aller Regel nie unkommentiert bleibt. In Mailand würde Mike aber gerne in einem anderen Trikot auflaufen. Dem der Luxemburger Nationalmannschaft: „Die anderen Teams haben alle ihre Nationaltrikots. Die Franzosen zum Beispiel spielen im Trikot ihrer Nationalmannschaft. Wir wollen das auch.“ Ein Wunsch, dem man beim Luxemburger Fußballverband gerne nachkommen würde, wie Präsident Paul Philipp versicherte.
Eine willkommene Geste, denn das Projekt Mailand ist auch eine Sache der Mittel, und die sind gemeinhin begrenzt. Saverio Rella erklärt: „Alles, was wir an Ausrüstung besorgen, geht von unserem Budget ab. Die Schuhe, die wir haben, sind noch aus dem Winter, als wir in der Halle gespielt haben. Draußen ist das nicht ideal.“ Und so ist man auf Sponsorensuche. In Mailand hat man zwar Kost und Logis frei, doch die Anfahrt muss finanziert werden. Erste Kontakte sind bereits geknüpft.
Fußball wird im Foyer Ulysse überhaupt erst seit einem Jahr wieder angeboten. Davor war das Ganze irgendwie im Sand verlaufen. Im Winter ist es zu kalt und eine Halle hatte man mal kurz im Jahr 2002 zur Verfügung. Hinter dem Stade Josy Barthel. Aber nach ein paar Monaten war das vorbei, „obwohl wir da nichts kaputt gemacht hatten oder sonst was“, so Rella. Seit vergangenem Jahr wird aber wieder gebolzt, draußen, mit dem Ziel Mailand. Einen festen Trainingsplatz hat man nicht. „Wir müssen sehen, wo etwas frei ist“, so Rella. Zwar hat man beim „Service des sports“ der Stadt Luxemburg um Unterstützung angefragt, aber die Antwort steht offenbar noch aus.
Und so kann es sein, dass sich bei der Suche nach einem freien Fußballfeld schon mal Unmut bei den Fußballern breitmacht. „’Schlecht organisiert‘ heißt es dann“, so Rella. Auf dem Campus Geesseknäppchen wird man aber in aller Regel fündig. Und wild drauflos spielen ist unter Trainer Rella nicht. Erst wird sich warm gemacht, ein bisschen Passspiel trainiert und dann ein kleines Trainingsspiel veranstaltet. Und schnell wird klar, dass es bei den meisten eine fußballerische Vorgeschichte gibt. „Einige sind ganz gut, andere waren mal gut und haben jahrelang nichts mehr gemacht. Andere haben wahrscheinlich noch nie gespielt“, so Rella, der selber in Belgien aktiv war, weil er sich als Escher „nie zwischen Fola und Jeunesse entscheiden konnte“.

Premierenfieber

Jetzt ist er zum Trainer einer ganz besonderen Auswahl geworden, in der der Begriff Stammspieler etwas anders definiert wird. „Einige waren bisher immer dabei. Andere tauchen einmal auf, weil sie gerade nichts Besseres zu tun haben und sind dann nächstes Mal nicht mehr da. Und der eine oder andere landet zwischendurch im Gefängnis.“ Planbar ist da wenig, aber wichtig ist, „die Leute immer wieder neu zu motivieren“. Dass es ein fassbares Ziel gibt, hilft dabei sehr. Wie etwa die Weltmeisterschaft in Mailand: „Einige wollen bestimmt einfach nur nach Mailand, andere wollen wirklich diese WM erleben. Das ist schön, und es ist das erste Mal, dass Luxemburg bei so etwas dabei ist.“
Aber das Ziel Weltmeisterschaft ist nur ein Umweg zu einem anderen Ziel. „Die Leute hier im Foyer Ulysse haben ein Projekt. Sie wollen etwas machen und wir wollen helfen, sie wieder auf die Beine zu stellen.“ Ein Job, ein eigenes Dach über dem Kopf und alles, was dem Otto Normalbürger sonst noch als selbstverständlich gilt. Fußball ist da nur eines von vielen Projekten des Foyer Ulysse, allerdings eines, das sich, glaubt man den offiziellen Untersuchungen nach der Obdachlosen-WM 2007, besonders gut eignet. 93 Prozent der Teilnehmer gaben an, eine neue Motivation gefunden zu haben. 29 Prozent haben eine Arbeit gefunden und 38 Prozent ihre Wohnsituation verbessert. Auch in der Mannschaft von Saverio Rella gibt es Spieler, die mittlerweile einen Job haben und ein eigenes Apartment bewohnen.
Und damit das in Zukunft noch mehr werden, will man unter anderem das Projekt Fußball gerne nach der WM beibehalten. „Vor allem, wenn wir mit dem Pokal nach Hause kommen“, so Rella.