„Ich kann nicht“

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(dpa)

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Südafrikas Sportstar Pistorius wartet zurückgezogen auf den Beginn seines Prozesses. Er ist des Mordes an seiner Freundin angeklagt. Südafrika sieht mit Bangen dem Jahrhundertprozess entgegen.

Oscar Pistorius hat es versucht. Der beinamputierte Profisportler ist mit seinem Trainer Ampie Louw zum Trainingsgelände der Universität in Pretoria gefahren. Er schnallte sich die Karbonprothesen an und betrat die Tartanbahn – um dann sogleich wieder umzukehren. „Ich kann nicht“, seien seine Worte gewesen, berichtet sein Trainer. Der mordverdächtige Paralympics-Star habe an diesem Tag Ende März sehr bedrückt den Sportplatz verlassen. „Er ist auch nur ein Mensch, er könnte jetzt gar nicht an einem Rennen teilnehmen, selbst wenn er wollte“, betont Louw.

Es war ein ganz seltener Ausflug des Profisportlers, der früher so sehr die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, die Kameras und die Scheinwerfer liebte. Knapp zwei Monate vor der geplanten Prozesseröffnung (4. Juni) lebt er völlig zurückgezogen im Haus seine Onkels in Pretoria. Der Staatsanwalt will vor Gericht beweisen, dass Pistorius in der Nacht zum 14. Februar vorsätzlich seine Freundin Reeva Steenkamp ermordet habe.

Warten auf den Prozess

Der behinderte Profisportler beteuert, er habe die tödlichen Schüsse durch die Toilettentür seines Hauses nur abgegeben, weil er dahinter einen Einbrecher vermutete. Experten bezweifeln, dass der Prozess wirklich im Juni beginnen werde – wahrscheinlicher sei der Spätsommer oder Herbst, betonte der Jurist Prof. Stephen Tuson.

Oskar Pistorius steht vor den Trümmern seines Lebens. Sponsoren und Werbepartner haben sich zurückgezogen. An eine Fortsetzung seiner Sportler-Karriere ist erst einmal nicht zu denken. Zwar hat ein Richter die Aufhebung der Kautions-Auflagen – wie die des Reiseverbots – angeordnet. Auch hat der internationale Leichtathletikverband bestätigt, dass Pistorius an internationalen Sportkämpfen teilnehmen könne. Aber wie südafrikanische Sportjournalisten berichten, sind die internationalen Veranstalter gar nicht so scharf auf eine Teilnahme des „Blade Runners“.

Solidarische Botschaften

Zwar wäre das Antreten des mordverdächtigen Südafrikaners spektakulär. Aber ein Rummel um Pistorius könnte leicht das Sportliche in den Schatten stellen, so die Befürchtungen. Zumal der 26-Jährige beim Vergleich mit nichtbehinderten Athleten kaum zur Weltspitze gehört. Bei der Leichtathletik-WM in Moskau im August hätte er schon mangels ausreichendem Training kaum Erfolgschancen.

Noch immer bekommt das Idol vieler Menschen, vor allem auch Menschen mit Behinderungen, Tausende solidarische, aufmunternde Botschaften. Seine Website ist voll davon. „Ich stehe hinter Dir wie viele Millionen“, schreibt Rowena Swanepoel aus Bromley (Großbritannien).“Du bist eine Inspiration für Millionen rund um den Globus. Du wirst immer mein Mega-Star sein“, so Bianca Terblanche.

Der „Blade Runner“ schweigt

Allerdings sorgt sich die Pistorius-Familie auch über manche üblen Anfeindungen von Pistorius-Fans gegen die Familie des Opfers, des Models Reeva Steenkamp. „Wir sind entsetzt über die Missachtung von einigen über den tiefen Schmerz der Familie und Freunde Reevas“, heißt es in einer Stellungnahme der Pistorius-Familie. Es vergehe „kein Moment am Tag, an dem Oscar nicht um seine Freundin und Reevas Familie trauert“.

Der gefallene Held selbst äußert sich konsequent nicht, kein Wort ist seit den tragischen Ereignissen öffentlich über seine Lippen gekommen. Er lebt seit der Haftentlassung völlig abgeschirmt in der Villa seines Onkels Arnold. Er liege am Pool, lese viel, auch in der Bibel, berichten südafrikanische Zeitungen. Seine Familie bestreitet, dass er selbstmordgefährdet sei – wie ein BBC-Bericht jüngst suggeriert hatte. „Oscar, niedergeschlagen wie er derzeit ist, glaubt ungeachtet der tragischen Ereignisse an einen Sinn in seinem Leben“, betonte sein Onkel.

Schaden für die Marke Südafrika

Der Mordfall deprimiert nicht nur die Betroffenen, auch die Südafrikaner sehen mit Bangen dem spektakulären Prozess entgegen. Kaum eine Party oder ein Empfang, bei dem nicht die Frage diskutiert wird, „wie sehr Pistorius unseren Ruf als Land der Gewalt weiter verstärkt“. „Wir werden Jahre brauchen, um das ganze Ausmaß des Schadens für die Marke Südafrika zu erkennen, den Oscar Pistorius mit seinen vier Schüssen angerichtet hat“, schrieb zornig der Kolumnist Mndli Makhanya in der „Sunday Times“.

Die tragischen Ereignisse im Hause von Pistorius konfrontiert die Südafrikaner wieder einmal mit dem Dauerthema der ausufernden Gewalt. Der Tod einer schönen Frau und die Verwicklung eines Sport-Superstars in einen Mordprozess wären schon alleine genug für einen Sensationsprozess. In Südafrika kommt auch 19 Jahre nach dem Ende des Apartheid-System noch das Thema Rassismus hinzu. Frauenverbände der Regierungspartei ANC hatten Pistorius schon früh verurteilt und unterstellt, er bekomme als reicher, weißer „Promi“ eine Spezialbehandlung. Der Vater des Profis heizte das Thema weiter an, indem er behauptete, die weiße Minderheit werde nicht ausreichend von der Polizei geschützt und müsse sich deshalb bewaffnen und wehren.