BGL LigueWarum Loris Tinelli nach anderthalb Jahren in Japan jetzt Stürmerqualitäten beweisen muss

BGL Ligue / Warum Loris Tinelli nach anderthalb Jahren in Japan jetzt Stürmerqualitäten beweisen muss
Loris Tinelli will mit dem Racing zurück auf die Siegerstraße Foto: Editpress/Jeff Lahr

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Es ist wohl mehr als ein reiner Tapetenwechsel. Vielmehr gleicht die Rückkehr zu seinem Heimatverein RFCU Lëtzebuerg für Loris Tinelli einem (weiteren) Kulturschock. Was der 25-Jährige in anderthalb Jahren in Yokohoma gelernt hat – und warum genau das dem Racing dazu verhelfen soll, das Punktekonto 2024 zu eröffnen, erzählte er am Donnerstagmorgen im Gespräch.

Ernüchterung machte sich in den ersten beiden Spieltagen beim Racing breit. Zehn Gegentore, null Punkte – und offensiv fand der Hauptstadtklub bisher gar nicht statt: Der RFCUL ist nach dem Abgang von FLF-Nationalstürmer Edvin Muratovic noch auf der Suche nach sich selbst. Und mittendrin ein Rückkehrer, der unerwartet neue Aufgaben übernehmen muss: Loris Tinelli. „Eigentlich hatte der Trainer mich für die Seite vorgesehen. Doch wir mussten aus bekannten Gründen umstellen. Gegen Düdelingen spielte ich neben Andreas Buch im Sturm. Die Position ist nicht unbedingt komplett neu für mich, aber ich muss mein Spiel ein wenig anpassen.“ Der gelernte Flügelspieler muss nämlich jetzt andere „Lösungen finden, da ich nicht unbedingt jemand bin, der 90 Kilogramm wiegt und vorne drin mit dem Ball auf die andern warten kann“.

Die Trainingswoche nach dem 0:3 gegen den Tabellenzweiten wurde genutzt, um weitere Optionen auszutesten, Automatismen einzustudieren und wieder optimistischer in die nächsten Wochen blicken zu können: „Ich hoffe, dass sich das schnell einpendelt. Was wir bisher gebracht haben, war enttäuschend für den Trainer (Marco Martino, d.Red.). Wir haben es nicht hinbekommen, seine Vorgaben umzusetzen. Ich hoffe, dass wir am Samstag gegen die Jeunesse zeigen können, wozu wir in der Lage sind.“

Sich aus seiner Komfortzone herauszubewegen und seine Horizonte zu erweitern, gehörte eigentlich schon immer zu der Lebensphilosophie des 25-Jährigen. 2015 verließ er das Elternhaus ein erstes Mal, nachdem Scouts aus Anderlecht auf ihn aufmerksam geworden waren. Der damals 16-jährige Jugendspieler der Union Kayl/Tetingen durchlief später sämtliche Nachwuchsmannschaften der Talentschmiede in Brüssel und versuchte es danach bei der U21 des Excelsior Virton. Nachdem er sich nicht etablieren konnte, schloss er sich dem Racing im Sommer 2019 ein erstes Mal an.

Auf sich alleine gestellt

Durch die Kontakte seiner Agenten ging es drei Jahre später zurück ins Ausland – nach Yokohama. „Als ich damals mit meinem Arbeitsvisum in Japan ankam, waren kaum andere Ausländer vor Ort. Die Grenzen waren aufgrund der Pandemie noch geschlossen“, erinnerte sich Tinelli. „Ich hatte mich im Vorfeld besonders wegen der Sprachbarriere erkundigt und auf eigene Faust die wichtigsten Wörter gelernt, die ich brauchte, um beispielsweise einkaufen zu gehen.“ Vereinfacht hat ihm in den ersten sechs Monaten aber ein anderer Teamkollege die Eingewöhnung: „Im Team spielte ein Brasilianer, der mit seinem Übersetzer in einer Wohnung lebte. Er besaß ein Auto und hat mir in dieser Phase enorm viel geholfen.“

Insgesamt war es ein kompliziertes Jahr für mich, ohne Urlaub, ohne Pause und ohne Möglichkeit, für ein paar Tage nach Hause zu kommen

Und auch sportlich lief es gleich gut in der dritten japanischen Liga. „In neun Spielen hatte ich zwei Tore und zwei Vorlagen gemacht. Am Ende bekam ich sogar die Trophäe des besten Treffers der Saison.“ Dann verschlechterte sich die Situation aufgrund von administrativen Angelegenheiten. Der Verein ließ sich in der Transferperiode viel Zeit und hoffte, Tinelli noch verkaufen zu können – sodass sein Arbeitsvisum erst nach der Vorbereitung vorlag. „Mit diesen sechs Wochen Rückstand gab es für den Trainer nicht viele Gründe, mich spielen zu lassen. Erst nachdem er entlassen worden war, habe ich wieder etwas mehr gespielt. Aber insgesamt war es ein kompliziertes Jahr für mich, ohne Urlaub, ohne Pause und ohne Möglichkeit, für ein paar Tage nach Hause zu kommen.“ Denn inzwischen hatte auch der brasilianische Teamkollege einen Transfer vollzogen – und Tinelli war erstmals im Leben komplett auf sich alleine gestellt. „Ich musste mich plötzlich alleine organisieren, ohne Auto einkaufen gehen und Tüten schleppen oder mit dem Zug zum Training fahren.“

Seine Familie sah er in dieser Zeit nicht. Lediglich seine Freundin hatte sich während drei Wochen in der kleinen Wohnung einquartiert. „Meine Oma wollte mich zwar besuchen, aber ich wollte ihr diese Strapazen nicht antun“, sagte Tinelli. „Ich sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen.“ Anders als zu Anderlecht-Zeiten, als ihn nur eine zweistündige Autofahrt von der Heimat trennte, war es in Japan ein 15-stündiger Flug. „In Japan reden nur die wenigsten Englisch. Sie leben auf ihrer Insel und brauchen ja eigentlich nichts anderes, um klarzukommen. Im Sommer waren es sieben Stunden Zeitunterschied, im Winter acht. Da musst du warten, bis zu Hause alle wach sind, um anzurufen …“

„Wäre gerne geblieben“

Anderthalb Jahre lebte Tinelli allein in Yokohama. Obschon die zweite Hälfte seiner Zeit sportlich nicht optimal lief, „wäre ich trotzdem gerne geblieben. Das Leben, die Menschen und der Fußball haben mir gefallen. Aber bei so vielen Opfern hätte es sich finanziell lohnen müssen, zu bleiben. Das tat es aber nicht.“ Die dritte Liga verglich er mit der NBA, einem ständigen Hin-und-her zwischen Angriff und Verteidigung. „Man hat auf dem Platz fast keine Zeit zum Atmen.“ 

Gelernt hat er in Japan aber auch andere Aspekte. Besonders die Hilfsbereitschaft der Einheimischen hat Tinelli nachhaltig geprägt: „Sie sind nett und respektvoll. Wenn man eine Flasche Wasser braucht, bringen sie dir einen Sixpack. Und sie erwarten sich absolut nichts im Gegenzug. Sie helfen, weil sie es wollen.“ 

Ich bin kein waschechter Torjäger, sondern hatte eigentlich das Ziel, für Edvin Muratovic aufzulegen …

Helfen will und muss er jetzt dem RFCU Lëtzebuerg. Vertraglich festgehalten war, dass sich Tinelli dem Hauptstadtklub anschließen müsste, wenn er zurück in die BGL Ligue kommen würde. Mit Trainer Marco Martino verstand er sich auf Anhieb und die ersten Kontakte im Winter waren positiv. „Aber inzwischen haben wir unseren Stürmer verloren. Sein Spielstil war wichtig für das Team. Ich bin kein waschechter Torjäger, sondern hatte eigentlich das Ziel, für Edvin Muratovic aufzulegen … Jetzt muss ich die Tore selbst schießen.“ 

Der erste Treffer könnte nicht nur für ihn selbst, sondern für das ganze Team eine Art Auslöser sein. „In Japan hat man uns eingetrichtert, die Aktionen zu Ende zu bringen. Das versuche ich jetzt auch hier umzusetzen und wenigstens eine Ecke, einen Pass oder einen Torschuss rauszuholen.“ Drei Monate bleiben Tinelli und Co., um das Maximum aus diesem Halbjahr zu machen. Angefangen mit einer Reise zum frischgebackenen Derbysieger an die Escher „Grenz“ am Samstagabend (17.00 Uhr).

Steckbrief

Loris Tinelli
Geboren am
2. Februar 1999
Nationalität: Luxemburger
Position: Rechtsaußen
Größe: 1,82 m
Bisherige Vereine: Kayl/Tetingen, Anderlecht (U17, U19, U21), Virton (beide B), RFCU Lëtzebuerg, Yokohama SCC (JPN), seit Januar zurück beim RFCUL