European Games: Karateka Jenny Warling erhält Bronze nach K.o.

European Games: Karateka Jenny Warling erhält Bronze nach K.o.

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Es wird noch ein paar Tage dauern, bis sich Karateka Jenny Warling über ihre erste Bronzemedaille bei den European Games freuen kann. Die ersten Untersuchungen in einem Krankenhaus in Minsk lassen allerdings darauf schließen, dass es sich bei ihrer Verletzung „nur“ um leichte Gehirnerschütterung handelt. Für Nationaltrainer Michael Lecaplain steht aber jetzt schon fest, dass sich die Europameisterin auch diesmal wieder schnell erholen wird.

Es ist der dritte Kampf in der Gruppe A. Auf der Matte steht Jenny Warling, Nummer 19 der Welt und derzeit auf Platz 35 des Olympia-Rankings der Gewichtsklasse -55 kg. 31 Sekunden verbleiben auf der Anzeigetafel, doch die Europameisterin aus Luxemburg geht nach einem harten Schlag ins Gesicht zu Boden und bleibt für einen Augenblick regungslos liegen. Ein Raunen geht durch die Halle. Die Mediziner werden hektisch, als sich der Unparteiische zu ihnen dreht und sie herbeiruft. Warling hat sich inzwischen aufgerappelt und steht wieder. Doch sie schwankt. Zwei Personen kümmern sich noch auf dem Tatami um die FLAM-Athletin, checken ihre Pupillenreaktion.

„Eine großartige Mentalität“

Nach ein paar Diskussionen mit den Organisatoren bricht der Schiedsrichter den Kampf ab. Er macht die „Hansoku“-Bewegung, so die Bezeichnung für den Forfait-Sieg und die Disqualifikation der Gegnerin. Warling wird, gestützt von zwei Medizinern, vom Tatami begleitet. Verbandstrainer Michael Lecaplain, der das Ganze aus seiner CoachingBox betrachten musste, eilt herbei. Die Gegnerin aus Weißrussland, Irina Sharykhina, Nummer 30 der Welt, stürmt geradezu von der Matte, um sich bei der Luxemburgerin nach deren Zustand zu erkundigen. Lecaplain bleibt etwas im Hintergrund und lässt den helfenden Händen ausreichend Platz, damit Warling auf die Trage gelegt werden kann. Unter dem Applaus der Zuschauer wird die COSL-Athletin aus der Halle gerollt und auf Drängen der Mannschaftsärztin Dr. Lara Heinz ins Krankenhaus gebracht.

„Ich habe schon mehrere K.o. miterlebt“, erinnert sich der Nationaltrainer. „Das ist zwar nie schön, doch das Risiko besteht leider immer.“ Stattdessen blickt er bereits voraus: „Ich kenne Jenny schon lange und weiß, dass sie eine großartige Mentalität hat. Sie ist eine Kämpfernatur und wird sehr schnell wieder auf den Beinen sein.“

Bewiesen hat die Sportlerin des Jahres 2014 das schon einmal in diesem Jahr: Am 28. August des vergangenen Jahres wird die Athletin wegen eines Kreuzbandrisses operiert. Acht Monate später kürt sie sich zur Europameisterin. Ein beeindruckendes Comeback. Doch die anschließenden Turniere sind nicht von Erfolg gekrönt. Das weiß sie selbst.

„Vorgaben umgesetzt“

An ihrem eisernen Willen, es trotzdem nach Tokio zu schaffen, ändert diese schwierige Phase nichts. Als 35. des bereinigten Olympiarankings muss Minsk also zum erhofften Quantensprung in der Punktejagd werden. Doch die Losfee geht wieder einmal nicht gerade zimperlich mit Warling um: Neben der amtierenden Weltmeisterin Dorota Banaszczyk (POL/Platz 6. im Olympiaranking) bekommt sie es in Gruppe A ebenfalls mit der deutschen Vizeweltmeisterin Jana Bitsch zu tun (8. im Olympiaranking). Lecaplain und seine Athletin bereiten sich auf zwei taktisch anspruchsvolle Matches vor. „Sie hat alle Vorgaben perfekt umgesetzt“, erklärt der Nationalcoach.

Zweimal nämlich gibt es am Ende ein „Hikiwake“ – ein Unentschieden. Weder die „Beste der Welt“ noch die Vizeweltmeisterin können gegen die Luxemburgerin punkten. Alles in allem dürften diese beiden Kämpfe als Gradmesser in Erinnerung bleiben und mental wichtig sein: Ihre Medaille bei der EM ist keine Eintagsfliege – Warling kann sich bei großen Rendezvous nach wie vor mit der absoluten Crème de la Crème messen.

Alles andere als angetäuscht

Danach kommt es zum besagten Kampf gegen Sharykhina, der über den Ausgang des Turniers entscheiden soll. Warling liegt mit 1:3 zurück und muss angreifen, um den Rückstand aufzuholen. Im Bruchteil einer Sekunde kommt es zum fatalen Knock-out: „Jenny greift an, doch die Weißrussin geht ihrerseits voll rein und verpasst ihr einen derart harten Schlag, dass sie nicht weitermachen kann“, erklärt Lecaplain die Situation. Die Regeln besagen, dass die Athleten ihre Gegner nicht absichtlich verletzen dürfen – heißt also im Klartext, dass man die harten Schläge am Kopf zwar antäuscht, die Berührung an sich darf nicht mit voller Kraft geschehen.

Warling ist aufgrund des 4:0-Forfaitsiegs neben Bitsch für die Halbfinals qualifiziert, an dem sie aufgrund ihrer Kopfverletzung nicht teilnimmt. Stattdessen verordnet ihr Teamärztin Dr. Lara Heinz bei der Rückkehr aus dem Krankenhaus kurz nach der Mittagsstunde erst einmal Ruhe. „Was sie geleistet hat, ist enorm. Nach ihrem Kreuzbandriss so zurückzukommen und hier eine weitere Medaille zu gewinnen, ist fantastisch“, jubelt ihr Trainer.

Keine Fahne

Eigentlich wartete das Sahnehäubchen bei der Schlusszeremonie der Spiele. Als Fahnenträgerin hätte Warling die kleine Delegation ins Stadion führen sollen. Dagegen legte verständlicherweise Dr. Heinz ihr Veto ein. Ihr Ersatz, Boxer Michel Erpelding, kennt sich ebenfalls mit den Risiken einer Gehirnerschütterung und den Folgen eines Schlags ins Gesicht aus. Dementsprechend dürfte er auf seiner Runde auch in Gedanken beim FLAM-Aushängeschild gewesen sein.


„Mir fehlen zehn Minuten“

Einer, der genau weiß, wie sich Jenny Warling gestern gefühlt haben muss, ist Teamkollege Jordan Neves. Der Karateka wurde sowohl 2017 als auch 2018 jeweils k.o. geschlagen. „Anders als Jenny, die von zwei Leuten begleitet wurde, bin ich damals irgendwie alleine in die Umkleide gekommen. Allerdings kann ich mich an rein gar nichts mehr erinnern. Mir fehlen zehn Minuten.“ Während die Helfer ihn mit Fragen bombardierten, um sich ein Bild von seinem Zustand zu machen, war Neves während fünf Minuten nicht in der Lage, zu antworten. Anders als Warling wurde er beide Male nicht ins Krankenhaus gebracht. Bei der -55-kg-Athletin konnten dort keine Auffälligkeiten im Scanner entdeckt werden.

„Sie wird jetzt erst einmal eine längere Pause einlegen müssen“, weiß der Differdinger. Da mit den European Games die Saison endet, war es Glück im Unglück. Er selbst hat einen Monat keinen Sport betrieben. Stattdessen standen regelmäßige Kontrollen bei einem Neurologen des CHL an. Auch Warling wird sich jetzt mehreren Tests unterziehen müssen, um Langzeitschäden zu vermeiden.

Zahlen
1. Juli 2019 - 21.07

Im Karate ist tatsächlich ein Glaskinn von Vorteil.