Die prominenteste Beifahrerin

Die prominenteste Beifahrerin
(Cdiederich)

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Jeannette Augusto, ehemalige Kontrahentin und Freundin der luxemburgischen Radsport-Weltmeisterin Elsy Jacobs von 1958, ist Ehrengast des gleichnamigen Festivals.

„Einmal habe ich gegen sie gewonnen – einmal“, schmunzelte Jeannette Augusto bei der Pressekonferenz in Garnich. Gemeint ist ihre ewige Konkurrentin Elsy Jacobs. Beide haben ihre Liebe zum Radsport damals gemeinsam unter schweren Bedingungen leben müssen: Jacobs kehrte Garnich den Rücken, trainierte in Frankreich und Belgien, da sie in Luxemburg keine gültige Lizenz erhalten konnte – von Geldsorgen gar nicht zu sprechen. So kam es manchmal vor, dass Jacobs ihre Heimreise von den Rennen auf dem Fahrrad antreten musste, wenn es nicht zu einem Preisgeld gereicht hatte.

Ein Auto als Schlüssel

Und hier kam ihre Freundin Augusto ins Spiel: Die Französin besaß ein Auto. Eine Tatsache, die den Weg zu einer großer Freundschaft ebnete. Im Wagen wurde zusammen gelacht, bei den Rennen gegeneinander gekämpft. „Wir sind uns immer wieder bei den Rennen über den Weg gelaufen, und es hat sich dann herausgestellt, dass wir beide in Paris lebten. Um Kosten zu sparen, haben wir uns die Fahrten geteilt. Und so entstand eine ewige Freundschaft. Wir fühlten uns verbunden, da wir es beide nicht leicht hatten.“ Gemeint sind die finanziellen Umstände und die fehlende Akzeptanz des Frauen-Radsports. Jedes Wochenende fuhren die Pariserinnen gemeinsam zu den Rennen, bei denen die Luxemburgerin ein gern gesehener Gast war: „Jeder wollte Elsy bei seinem Rennen haben, aber nicht alle waren bereit, dafür zu zahlen“, erinnert sich Augusto. „Deshalb war sie nicht bei allen Organisatoren beliebt …“

Die Weltmeisterin aus Garnich war eine Kämpfernatur auf dem Fahrrad, und eine liebevolle Freundin im Privatleben: „Sie war bei jedem meiner Familienfeste dabei. ‚Elle avait un coeur en or, était généreuse, spontanée … et franchement désagréable en vélo! Elle n’était pas une combattante, mais une battante tout simplement. Quand elle partait, c’était pour gagner.“

Den richtigen Charakter

Sie hatte den richtigen Charakter, so Augusto, um es an die Weltspitze zu schaffen – etwas, woran es der Französin eigenen Aussagen zufolge mangelte. „Auf unseren Reisen wurde immer sehr viel gelacht und gescherzt. Wir waren Freundinnen, die sich auf dem Rad nichts schenkten. Aber ich war einfach viel zu schüchtern, um es so weit zu schaffen, wie es Elsy getan hat. Manchmal fuhr sie an mir vorbei und klopfte mir auf die Schulter, ich solle weiter Gas geben. Sie war eine willensstarke Persönlichkeit.“

Die Verbindung, die sich über die Jahre zwischen den beiden Kontrahentinnen entwickelt hat, hielt auch nach dem Ende der sportlichen Karriere. Es war im März 1998, als Augusto der Familie von Jacobs beim Begräbnis vorschlug, ein Buch über ihre Zeitgenössin zu verfassen. „Elle était estimée dans le vélo. Toutes les filles l’aimaient, elle était marrante.“

Der Radsport habe sich sehr verändert, so Augusto weiter. „Wir haben wunderbare Momente zusammen erlebt. Diese Verbundenheit gibt es heutzutage unter den Mädchen nicht mehr. Früher gab es nach den Rennen eine kleine Feier, und man hat sich unterhalten. Heute müssen die Mädchen sofort wieder abreisen. Zeit für Freundschaften bleibt kaum, und wenn, dann nur innerhalb einer Mannschaft. Das ist schade.“

„Des baroudeurs“

Letzte Woche wurde der sympathischen Frau aus der Gegend von Montbéliard nach der Präsentation des diesjährigen Rennens ein Ehrenpreis überreicht, denn sie ist zum festen Bestandteil des Festivals geworden. Im vergangenen Jahr startete sie beispielsweise kurz nach einer Hüftoperation. Am Freitag wird sie zum 15. Mal an der „Randonnée Elsy Jacobs“ teilnehmen – und wohl (nicht überraschend) erneut die älteste Dame im Peloton sein.

„Ich habe mich etwas vorbereitet, denn ich verliere immer schnell den Faden, wenn ich emotional werde“, meinte sie gegenüber den geladenen Gästen und den Pressevertretern, während sie ihre Notizen aus der Handtasche herauskramte. Unter Tränen dankte sie den Organisatoren des SaF Zéisseng und den Gemeinden Garnich und Mamer.

Ein paar Tage später war sie noch immer sichtlich über diesen Preis gerührt: „Diese Trophäe bedeutet mir unendlich viel. Es ist eine Erinnerung an viele schöne Jahre, die wir zusammen verbracht haben. ‚On était des baroudeurs!‘ Mit Elsy als Freundin und Gegnerin hat man viel erlebt. Wir haben den Radsport gleichermaßen geliebt.“

Die beiden letzten Tage vor der „Randonnée“ will sich die 79-Jährige übrigens „ruhig“ verhalten, bevor sie die gut 300 km lange Reise nach Luxemburg antreten wird. „Depuis 15 ans j’ai répondu présente, et je vous donne rendez-vous le 1er mai!“