Sportler werden zu Datenlieferanten

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Von unserem Korrespondenten Sebastian Moll

Messgeräte am Körper gehören heute zu jedem Sportler. Dadurch soll das eigene Potenzial besser ausgeschöpft werden, so das Versprechen der Hersteller an die Hobbysportler. Doch davon profitieren vor allem die Produzenten und die Technologiefirmen.

Der ehemalige Radprofi Jens Voigt wird das neue Jahr alles andere als gemächlich beginnen, der 46-jährige Berliner geht gleich in die Vollen. Ab dem 2. Januar wird Voigt eine Woche lang im Grunewald jeden Tag einen Marathon laufen, 294 Kilometer in sieben Tagen.

Ziel des Laufes ist es, Geld für eine Krebshilfestiftung zu sammeln. Doch der noch immer überaus beliebte Radler will gleichzeitig Werbung für einen seiner Sponsoren machen. Auf seinem Lauf-Shirt prangt das Logo der Firma Fitbit, Anbieter eines sogenannten Self-Tracking-Gerätes, mit dessen Hilfe der Benutzer in Echtzeit körperliche Daten von jeder nur denkbaren Bewegung bis hin zu Pulsfrequenz und Schlafrhythmus aufzeichnen kann. Zum Jahresbeginn haben viele Menschen gute Vorsätze, fitter zu werden. Und Geräte wie das Fitbit oder die Konkurrenz Biostrap, sogenannte Wearables, versprechen, dabei zu helfen.

Branche floriert

Der Ansatz ist ein voller Erfolg. Heute betreibt kaum jemand mehr ohne Aufzeichnungsgerät irgendeine Form von körperlicher Ertüchtigung. 82 Prozent aller Läufer messen ihre Laufdauer, Geschwindigkeit, ihren Puls und verwandte Daten. Die Branche für Wearables floriert. Im Jahr 2016 wurden für diese Produkte alleine in den USA 4,8 Milliarden Dollar (4 Milliarden Euro) ausgegeben, bis 2022 sollen es knapp 10 Milliarden werden. In Deutschland rechnet man für das Jahr 2017 immerhin mit einem Umsatz von 143 Millionen Euro für Fitness-Tracker der verschiedensten Art.

Wenn es nur darum geht, sich mehr zu bewegen, kann die Quantifizierung der Bewegungsmenge aber leicht nach hinten losgehen. So hat eine Studie der Brunel University in London mit 100 Jugendlichen ergeben, dass die Mehrheit der Tracker-Nutzer nach anfänglicher Euphorie das Messinstrument als lästig empfand. Die Bewegungsmenge sank unter das Ausgangsniveau und die Jugendlichen fühlten sich schlechter als vorher, weil ihnen die permanente Mahnung durch den Tracker die eigene Mangelhaftigkeit vorführte.

Ziele sind entscheidend

Bei komplexeren Trainingszielen, wie etwa der Verbesserung einer Marathonleistung, kann die Messtechnik, die ja ursprünglich aus dem Leistungssport kommt, zur besseren Selbstkenntnis und zur Trainingssteuerung durchaus hilfreich sein. Doch auch hier kommt es darauf an, genaue Ziele zu artikulieren und sich die Daten zur Trainingssteuerung fachkundig zunutze zu machen. „Die Zahl, die der Körper im jeweiligen Augenblick produziert, ist bedeutungslos“, sagt Dirk Friel, Gründer des Trainingsinstituts Training Peaks. „Man muss die Daten über einen längeren Zeitraum beobachten und Trends herauslesen können.“

Doch selbst dieser kluge Umgang mit den Messdaten birgt Risiken. So sagt Friel, dass für ihn in der Arbeit mit Athleten die Beschreibung, wie sie sich gefühlt haben, mindestens so wichtig ist wie die Zahlen. „Es gibt Tage, an denen ein Sportler vielleicht noch die Zahlen produzieren kann, sich aber dabei miserabel fühlt“, sagt er.

Technologieriesen wollen Potenzial ausschöpfen

Das größte Risiko bei der Verwendung von Fitbit und Co. dürfte indes jenes für die Privatsphäre sein. Die Datenriesen Apple, Microsoft und Google haben längst das Potenzial dieses Marktes erkannt und suchen nach Wegen, mit der Versicherungsbranche, dem Gesundheitswesen und der Pharmaindustrie zusammenzuarbeiten. Schon jetzt verwenden diese Branchen die Tracking-Technologie, um Studien und Marktuntersuchungen durchzuführen. Zur Berechnung von Versicherungsprämien aufgrund vorzeigbarer Fitnessdaten beispielsweise ist es da nur noch ein kleiner Schritt. Das ermächtigte quantifizierte Selbst, das mithilfe von vertiefter Selbstkenntnis Herr seines eigenen Geschicks ist, verkäme dann zum reinen Datenlieferanten für die Industrie.