BelarusUnbekannte Zivilpolizisten prügelten Oppositionellen in Minsk zu Tode

Belarus / Unbekannte Zivilpolizisten prügelten Oppositionellen in Minsk zu Tode
Menschen versammeln sich am Freitag in Minsk, um dem zu Tode geprügelten Raman Bandarenka zu gedenken Foto: – /AP/dpa

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In Weißrussland haben am Freitag Tausende Bürger gegen Polizeigewalt demonstriert. Sie nahmen an einem von der Opposition ausgerufenen nationalen Trauertag teil. Abends stand vielerorts der Verkehr still und es wurde eine Schweigeminute für den neuen Helden der Opposition, den 31-jährigen Raman Bandarenka (russisch: Roman Bondarenko) aus Minsk, abgehalten.

Bandarenka war am Mittwochabend von mutmaßlichen Zivilpolizisten im Streit um weiß-rot-weiße Bänder in den Farben der Opposition bewusstlos geprügelt worden und am Donnerstag seinen Verletzungen erlegen. Der junge Mann war kein bekannter Oppositionspolitiker, sondern einer von der schweigenden Mehrheit der Weißrussen, die das autoritäre Regime von Aleksander Lukaschenko jahrelang de facto gestützt hatten. Bandarenka war lange Berufssoldat bei den Innenministeriumstruppen, schloss sich aber nach den mutmaßlich gefälschten Wahlen vom 9. August der Opposition an. Er lebte in Minsk unweit eines Innenhofes in den Außenquartieren der Hauptstadt, der im September zu einem Widerstandsort wurde.

Abend für Abend versammelten sich dort, im sogenannten „Quartier der Wende“ Nachbarn in einem Innenhof zwischen den Hochhäusern und sangen oppositionelle Lieder. Raman Bandarenka, der zuletzt in einem Reinigungsunternehmen angestellt war, gab abends im Innenhof oft Zeichenkurse für Kinder. Am Mittwochabend soll er mit den Zivilpolizisten in einen Streit über die weiß-rot-weißen Bänder des Widerstands geraten sein.

Videoaufnahmen von Augenzeugen zeigen, wie nicht uniformierte Schläger auf ihn eintreten, während Bandarenka schon lange auf dem Boden liegt. Die weißrussische Polizei indes behauptet, man habe den Mann reglos in einer Art Koma im Innenhof gefunden und sofort ins Spital gebracht. Sie hat Ermittlungen gegen Unbekannt eingeleitet.

Der Fall Bandarenka erinnert indes an frühere Einschüchterungsaktionen des Regimes von Lukaschenko. Während Ende der Neunzigerjahre unbekannte Todesschwadronen in Weißrussland grassierten und Jagd auf bekannte Oppositionelle machten, kam es später immer wieder zu Entführungen und Scheinhinrichtungen an weniger bekannten Bürgern, die gegen das Regime Widerstand leisteten. Ziel war immer, der Bevölkerung Angst einzujagen. Dies gelang auf subtile Weise über staatliche Arbeitsverträge, die nicht verlängert wurden, sobald jemand auffällig geworden oder gar an den kleinen Protestaktionen der alten Opposition gesehen worden war. Weniger subtil waren Entführungen, Strafanzeigen, Arbeitslager und selten auch Verprügelungen durch Zivil- oder uniformierte Polizisten.

Vor allem Letztere haben in den vergangenen Protestwochen zugenommen. Das Regime hat viele neue Sicherheitstruppen-Einheiten ohne klare Uniformen aufmarschieren lassen. Es gibt „Olivgrüne“, „Blaue“ und „Schwarze“, die sich alle in immer ähnlichen meist neuen Kleinbussen mit abgedunkelten Scheiben durch die Städte bewegen – und ab und zu Passanten abgreifen, ins Auto zerren oder einfach so verprügeln.

Widerstand

Das Regime antwortete so auf die seit September, nach einem Protestmonat, immer dezentralisierter organisierten Kleinproteste in den Minsker Außenquartieren. Dabei bildeten sich mit der Zeit bekannte Punkte des Widerstands wie das „Quartier der Wende“, wo Bandarenka seine Kindermalaktionen durchführte, das „Quartier der Solidarität“ im Westen der Zwei-Millionenstadt oder die Metrostation „Puschkinskaja“, wo in den ersten Protesttagen das erste Opfer eines brutalen Gummigeschoss-Einsatzes der Sicherheitskräfte zu beklagen war.

Am Freitagabend nun äußerte sich Lukaschenko nach der Brüsseler Drohung weiterer Sanktionen selbst zum Fall Bandarenka: Es habe sich um eine normale Schlägerei gehandelt, zu der die Polizei gerufen worden sei, sagte der weißrussische Autokrat. „Er (Bandarenka) war betrunken, deshalb wurde er festgenommen. Sie brachten ihn zur Polizeiwache, aber auf dem Weg dorthin wurde ihm schlecht, so riefen sie einen Krankenwagen und der brachte ihn ins Spital“, sagte Lukaschenko, der zuvor in einem Sammelinterview mit russischen, kasachischen und ukrainischen Journalisten versichert hatte, er werde seine Macht nie abgeben. „Es gibt keinen Nachfolger für mich und keine Machtübergabe, denn ich habe meinen Amtseid geschworen“, sagte Lukaschenko und beschuldigte die Opposition erneut, eine „bunte Revolution“ zu planen.

Nach einem hochemotionalen Video-Appell der Schwester von Raman Bandarenka für Gerechtigkeit und Wahrheit ist damit zu rechnen, dass sich bei den bereits traditionellen Frauenmärschen am Samstag und der bereits 14. sonntäglichen Großdemonstration wieder deutlich mehr Bürger versammeln. Lukaschenko hat seinen Sicherheitskräften bereits vor Monatsfrist erlaubt, auch scharf auf Demonstranten zu schießen, falls das die Situation erfordere.