Es war – zumindest bis zum Herbst – wieder ein Jahr des Sebastian Kurz. 2015 hatte der damals 29-jährige Außenminister mit der medial ausgeschlachteten Schließung der Balkanroute den Grundstein für die Machtübernahme erst in der ÖVP, dann als Kanzler einer Koalition mit der FPÖ gelegt, um nach „Ibizagate“ 2019 wie Phönix aus der Asche zu steigen – nun beflügelt von den Grünen. Wer nach dem Start des Kabinetts Kurz II am 7. Januar das baldige Ende des türkis-grünen Honeymoons erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn einmal mehr profitierte der Kanzler als Routenschließer: Dieses Mal war es das Coronavirus, dem Kurz den Weg versperrte. Dank perfekter Message Control machte Ischgl nur im Ausland Negativschlagzeilen als Superspreader-Hotspot. Tatsächlich gelang es der Regierung, die erste Pandemiewelle im März mit einem schnellen Lockdown effektiv zu brechen. Kurz’ Koste-es-was-es-wolle-Parole sorgte zudem für eine soziale Abfederung der in einem nationalen Schulterschluss gebilligten Rosskur. Seine Popularitätswerte stiegen auf Rekordniveau, was den erfolgsverwöhnten Studienabbrecher einmal mehr dazu verleitete, sich gleich als politischer Leithammel Europas zu fühlen.
Der Lack ist ab
Dieser Lack ist ab, seit seine Regierung in nicht untypisch österreichischer Hinsichtl-Rücksichtl-Manier zu lange mit der Prophylaxe gegen die zweite Coronawelle zögerte und auf dem Altar diverser Lobbys den im März gewonnenen Vorsprung verspielte. Vorübergehend hielt Österreich sogar den Weltrekord bei Neuinfektionen, was sich in den Umfragen niederschlug: Im März fanden vier Fünftel der Österreicher das türkis-grüne Krisenmanagement gut, vor dem nun dritten Lockdown waren es nur noch zwölf Prozent.
Türkis-Grün alternativlos
Und im viralen Nebel zeichnen sich schon schemenhaft die nach dem erhofften Ende der Pandemie aufbrechenden Konflikte ab. Denn die Grünen sehen bei ihnen wichtigen Themen meist Kurz’ kalte Schulter. So drängen sie ebenso beharrlich wie erfolglos auf mehr Menschlichkeit in der Migrationspolitik. Auch beim Klimaschutz sind türkise Wirtschafts-, Bauern- oder Tourismuslobbys stärker als das grüne Regierungsteam. Höchst konfliktträchtig auch das kommende Megathema Krisenkosten: Da stehen die Grünen mit ihrem Ruf nach einer Reichensteuer der SPÖ näher als der ÖVP. Die Überlebensprognose für die Koalition ist dennoch gut: Kurz hat schon zwei Koalitionspartner – erst SPÖ, dann FPÖ – verbraucht, und Mehrheiten ohne ÖVP sind nicht in Sicht.
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