ItalienSeilbahnunglück ist trauriges Symptom

Italien / Seilbahnunglück ist trauriges Symptom
Einsatzkräfte des Bergrettungsdienstes arbeiten nach dem Absturz einer Seilbahngondel an der Unfallstelle: Das Unglück ist symptomatisch für die fahrlässige Handhabung von Wartungs- und Kontrollarbeiten an Geräten und Bauwerken im Land. Foto: Piero Cruciatti/LaPresse via Zuma Press/dpa

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Staatsanwaltschaft sowie die Ermittler aus Verbania setzen ihre Untersuchungen fort. Die Betreiber der Seilbahn auf den Monte Mottarone beschuldigen sich gegenseitig. Doch das Unglück ist nur ein Symptom für die desolate Sicherheitslage in vielen italienischen Einrichtungen. Von der Morandi-Brücke in Genua über das Seilbahndesaster am Lago Maggiore zieht sich eine lange Spur tödlicher Arbeitsunfälle durchs Land.

Gabriele Tadini, Cheftechniker der Seilbahn Stresa-Monte Mottarone, war der Einzige, der zugab, die Bremsen der am Sonntag vergangener Woche verunglückten Seilbahnkabine manipuliert zu haben. „Die Kabine hatte schon seit einem Monat Geräusche gemacht. Ich habe deshalb die Bremse blockiert, weil wir eine Unterbrechung des Betriebs fürchteten“, hatte Tadini am vergangenen Freitag der Untersuchungsrichterin Donatella Banci Buonamici gestanden.

Der Betreiber der Seilbahn, Luigi Nerini, wies indes jede Mitschuld von sich: „Ich habe mich nur ums Geschäft gekümmert, die Sicherheit war die Sache der beiden anderen.“ Auch der Betriebsdirektor der Seilbahnanlage, Enrico Perocchio, wies jede Mitschuld und allein das Wissen um die Manipulation der Kabinenbremse von sich. Beschämende Aussagen angesichts der 14 Todesopfer, die der Absturz der Kabine Nummer 3 gefordert hatte. Dennoch entschloss sich die Untersuchungsrichterin, die beiden Chefs der Anlage auf freien Fuß zu setzen, während der Sicherheitsingenieur Tadini unter Hausarrest gestellt wurde.

Staatsanwältin setzt Untersuchungen fort

Die Oberstaatsanwältin von Verbania, Olimpia Bossi, will indessen die Ermittlungen fortsetzen. „Wir mussten die Entscheidungen der Untersuchungsrichterin zwar hinnehmen, doch gibt es erhebliche Zweifel an den Aussagen der Beteiligten, sodass wir mit unseren Untersuchungen unverändert fortfahren“, erklärte Bossi vor der angereisten Presse. Insbesondere sind noch alle Ermittlungen über die Ursachen, weshalb das Zugseil der Bahn gerissen ist, ungeklärt. Befragt zu den Fakten werden auch die Experten der Leitner AG, einer Südtiroler Spezialfirma für die Wartung von Seilbahnen. Deren Vorstandsvorsitzender Anton Seeber hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt, dass „die Nutzung der sogenannten Klammer zur Verriegelung der Notbremse nur bei bestimmten Wartungsarbeiten erlaubt, im Personenbetrieb jedoch streng verboten ist“.

Halte- und Zugseile an der Stresa-Monte-Mottarone-Bahn waren zuletzt in den Jahren 1997/98 gewechselt worden. Die Betreiber nutzten danach ein EU-Gesetz aus, nachdem ein erneutes Wechseln solcher Drahtseile erst nach 30 Jahren vonnöten sei. Nach italienischem Recht hätten beide Seile bei den Wartungsarbeiten 2014-16 gewechselt werden müssen, aus Kostengründen hatten die Betreiber darauf verzichtet.

Nachlässigkeit kein Einzelfall

Bei Bekanntwerden solcher Informationen fällt einem spontan das Unglück von Genua ein, der Einsturz der Morandi-Brücke am 14. August 2018. Bei dem Einsturz der Brücke über dem Polceveratal waren ebenfalls die völlig korrodierten Stahlseile des Pfeilers 9 gerissen. 35 Pkws und drei Lastwagen stürzten in die Tiefe, 43 Menschen verloren ihr Leben. Im Untersuchungsbericht hieß es: „Wären die notwendigen Wartungsarbeiten zeitgerecht und ordnungsgemäß ausgeführt worden, hätte die Brücke nicht einstürzen müssen.“

So eben auch die Parallelen zum Seilbahnunglück am Monte Mottarone, so der desolate Zustand vieler Autobahnbrücken und anderer Bauwerke im Land. Der Gewinnabsicht stehen hohe Instandhaltungskosten und bürokratische Gebühren im Wege, zu kurz kommt letzten Endes die dringend erforderliche Wartung von Gerät und Bauwerk.

Und auch auf anderer Ebene lässt sich die in Italien geübte Nachlässigkeit nachweisen. Soeben erschienen beim staatlichen Statistikamt Istat die aktuellen Zahlen der Arbeitsunfälle im ersten Quartal 2021. Positiv vermerkte man, es gäbe einen Rückgang zum Vergleichszeitraum im Vorjahr. Dennoch wurden offiziell 171.870 Arbeitsunfälle gemeldet. Besonders dramatisch: bis April ereigneten sich 306 Unfälle mit tödlichem Ausgang. Alle Appelle von Regierung oder auch vom Staatspräsidenten Sergio Mattarella, man müsste mit größter Aufmerksamkeit diesem Phänomen begegnen und die Sicherheit am Arbeitsplatz garantieren, nützen seit Jahren nichts. So gesehen ist der Unfall an der Seilbahn zum Monte Mottarone nur ein weiteres Symptom einer Kette lang geübter Untätigkeiten.