GroßbritannienOppositionsführer Keir Starmer will enger mit der EU zusammenarbeiten

Großbritannien / Oppositionsführer Keir Starmer will enger mit der EU zusammenarbeiten
Labour-Chef Keir Starmer hat derzeit die besten Aussichten, nach den Wahlen kommendes Jahr Premierminister zu werden Foto: Jessica Taylor/UK Parliament/AFP

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Nach langem verdrucksten Schweigen über die zukünftige Anbindung der Brexit-Insel an den Kontinent geht der mutmaßliche nächste Premierminister auf Europa zu.

Am Donnerstag führte Labour-Oppositionsführer Keir Starmer, dessen Partei in allen Umfragen um 15 bis 20 Prozent vor den regierenden Torys liegt, Gespräche über die gemeinsame Bekämpfung von Schlepperbanden mit der Spitze von Europol in Den Haag. Nächste Woche wird der 61-Jährige im Elysée-Palast vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfangen – ein von der konservativen Regierung unter Premier Rishi Sunak mit Missmut aufgenommenes Zeichen dafür, dass Starmer in der EU als nächster Regierungschef gesehen wird.

Bei den Beratungen in der niederländischen Hauptstadt ging es um ein mögliches neues Abkommen zwischen der EU und ihrem einstigen Mitglied über eine bessere Kooperation in der Migrationspolitik; Labour fordert dies bereits seit längerem. Für die Zeit nach seinem erhofften Wahlsieg im kommenden Jahr solle „eine bessere Vereinbarung gemeinsame Aktionen gegen diese Banden ermöglichen“, erläuterte Starmer. Der frühere Chefstaatsanwalt will dazu Menschenhändler wie Terroristen behandeln, was eine Beschlagnahmung von Vermögenswerten und längere Untersuchungshaftzeiten ermöglichen würde.

Die Asylpolitik stellt für die regierenden Torys ein großes Problem dar. Premier Sunak und seine Innenministerin Suella Braverman haben der Öffentlichkeit versprochen, die Schlauchboote voller „illegaler Migranten“ über den Ärmelkanal zu stoppen. 2022 kamen auf diese Weise 45.000 Menschen auf die Insel, auch in diesem Jahr haben bereits mehr als 20.000 die gefährliche Reise gewagt. Die als Abschreckung gedachte, juristisch umstrittene Abschiebung von Asylbewerbern nach Ruanda will Starmer stoppen – die geplante Maßnahme sei unmenschlich und viel zu teuer.

„Völlige Verkrampftheit“ gegenüber Brüssel

Unter Ex-Premier Boris Johnson hatten sich die Konservativen seit dem EU-Austritt weitgehend Vereinbarungen mit der gesamten EU entzogen, setzten stattdessen lieber auf bilaterale Verträge. Gegenüber Brüssel habe „völlige Verkrampftheit“ geherrscht, erinnert sich ein EU-Diplomat in London kopfschüttelnd. Dies hat sich unter dem technokratischen Premier Sunak zwar geändert. Allerdings hat dieser mit dem Windsor-Vertrag über die Zukunft Nordirlands sowie der britischen Rückkehr zur Horizon-Wissenschaftskooperation so viel Pragmatismus gezeigt, wie seine eigene, tief Europa-skeptische Partei es zulässt.

Hingegen hat Starmer mit dem gescheiterten früheren Vorsitzenden Jeremy Corbyn auch dessen EU-Skepsis aus seiner Partei verbannt. Mit seiner Charme-Offensive will der Oppositionsführer mehrere Zielgruppen beeindrucken, die für den erhofften Wahlsieg und die Zeit danach wichtig sind. Erstens bringt er die Pro-Europäer innerhalb und außerhalb der eigenen Partei zum Schweigen. Diese maulen seit Monaten, Labour unterscheide sich in Sachen Brexit zu wenig von der konservativen Regierung – ein Argument, das nun deutlich weniger Gewicht hat.

Keine Rede über Rückkehr in den Binnenmarkt

Zweitens kommt das Signal gerade recht für eine Anfang nächsten Monat anstehende Nachwahl zum Unterhaus. In Rutherglen bei Glasgow umwirbt die schottische Nationalpartei SNP die überwiegend Europa-freundliche Wählerschaft unter anderem mit ihrer klar pro-europäischen Haltung. Sollte die heiß ersehnte Unabhängigkeit Realität werden, wollen die Nationalisten so rasch wie möglich in die EU zurückkehren. Hingegen verfolge Starmer eine „Pro-Brexit-Politik“, höhnt der Londoner SNP-Fraktionschef Stephen Flynn.

Umgekehrt muss Starmer all jene früheren Labour-Wähler überzeugen, die sich im vergangenen Jahrzehnt enttäuscht von der alten Arbeiterpartei abgewandt haben. Denn eine eigene Mehrheit bei der nächsten Unterhauswahl dürfte nur dann gelingen, wenn er dem bisher einzigen Labour-Mandat in Schottland ein bis zwei Dutzend Sitze hinzufügen kann. Ein Sieg in Rutherglen wäre dafür ein wichtiges Fanal.

Drittens sollen die Auftritte in Den Haag und kommende Woche in Paris natürlich auch die Partner auf dem Kontinent davon überzeugen, dass Großbritannien nach dem Brexit-Fieber langsam wieder zur Vernunft zurückfindet. Starmer will demonstrieren: Mit Labour würde die Insel, soweit das außerhalb der EU möglich ist, ins Zusammenspiel der europäischen Mächte zurückkehren. Von einer Rückkehr in Binnenmarkt oder Zollunion ist hingegen – einstweilen? – nicht die Rede.

Beobachter
17. September 2023 - 8.38

Wollen wir die wieder reinlassen? Die fahren alle auf der falschen Seite, auf der Straße sehr gefährlich....