DeutschlandMerkel stimmt das Land auf einen „schweren Winter“ der Pandemie ein

Deutschland / Merkel stimmt das Land auf einen „schweren Winter“ der Pandemie ein
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel versuchte gestern im Bundestag, die neuen Einschränkungen zu rechtfertigen Foto: dpa/Michael Kappeler

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Nach drei Minuten schon ist Tumult im Bundestag. Angela Merkel hat gerade gesagt, dass der von ihr zusammen mit den Ministerpräsidenten der Länder am Vortag beschlossene zweite Lockdown „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“ ist. Das provoziert wütende Zwischenrufe vonseiten der AfD. Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble greift ein und wird auch unterbrochen. Erst als er mit Ordnungsrufen droht („Das isch gefährlich“), wird es ruhiger.

So giftig war es in allen bisherigen Corona-Debatten unter der Reichstagskuppel noch nie. Dabei ist es nicht so, dass die Kanzlerin nicht versuchen würde, einfühlsam zu argumentieren. Sie schildert erneut die Explosion der Fallzahlen. „Wenn wir warten, bis die Intensivstationen voll sind, wäre es zu spät.“ Sie äußert Verständnis für die Wut von Wirten und Veranstaltern, die ausgefeilte Hygienekonzepte erarbeitet haben und nun einen weiteren Monat lang schließen müssen. Sie weiß um die Belastungen für die Psyche. „Der Winter wird schwer.“ Aber sie sagt auch klar und bestimmt: „Es gibt kein anderes, milderes Mittel.“

Das glaubt die AfD nicht. Ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland nennt die Schließung von Kneipen und Restaurants „maßlos und unangemessen“. Dort gebe es keinen einzigen nachgewiesenen Infektionsfall. Man solle die Alten besser schützen, fordert der Politiker. Aber nicht alles lahmlegen. Es werde ja auch nicht der Straßenverkehr gestoppt, obwohl es Verkehrstote gebe. Man müsse abwägen, „auch um den Preis, dass Menschen sterben“, so der AfD-Mann. „Junge brauchen keinen Schutz“.

Das ist gar nicht so weit weg von der Argumentation des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner – und von einem am Vortag vorgestellten Papier der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, das Lindner ausführlich zitiert: die Alten besser schützen, etwa mit Schnelltests für ihre Kontaktpersonen, und ein Ampelsystem, damit regional auf Ausbrüche reagiert werden kann. Das gehört zu den Vorschlägen. Wenn die Regierung stattdessen aber ganze Bereiche schließe, die gar nicht als Infektionstreiber aufgefallen seien, sei das „Aktionismus“ und berge auch hohe rechtliche Risiken, sagt Lindner. Sein Kollege Wolfgang Kubicki hat am Montagabend bereits zu Klagen gegen die Beschlüsse aufgerufen. Auch die Grüne Katrin Göring-Eckardt fordert einen Strategiewechsel in der Pandemie-Bekämpfung, statt immer neue Lockdowns. Allerdings erst in vier Wochen. Dass man jetzt versuche, die Infektionswelle zu brechen, „dem stimmen wir im Kern zu“.

Unmut auch bei der SPD

Fast noch mehr als über die Lockdown-Beschlüsse selbst erregen sich die Kritiker über das Verfahren. Dass der Bundestag erst am Tag danach diskutieren kann und eigentlich nichts zu entscheiden hat, missfällt allen Oppositionspolitikern. Auch wenn sie es nicht so provokativ ausdrücken wie AfD-Mann Gauland, der von einer „Corona-Diktatur“ und sogar von einem „Kriegskabinett“ spricht. Der Unmut lässt auch die Regierungspartei SPD nicht unberührt. Ihr Fraktionsvorsitzender Rolf Mützenich bietet parteiübergreifende Gespräche über eine Reform des Infektionsschutzgesetzes an, das bisher den Länder- und Bundesbehörden weitreichende Ermächtigungen gibt. Es müsse „Begründungs- und Befristungspflichten“ für Verordnungen geben, sagt er, ebenso „Zustimmungsvorbehalte der Parlamente“. Das ist das, was die Opposition im Kern will. Die FDP hat dazu sogar schon einen konkreten Antrag vorgelegt, den die Linken unterstützen. Ihr Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte spricht von einer „Verselbständigung der Exekutive“. Merkel sagt zu dieser Debatte nichts, es ist nicht ihr Bier.

Auch Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus erklärt sich zu einer Überprüfung des Gesetzes bereit, obwohl er selbst keine mangelnde Beteiligung des Parlaments empfindet. Schnell wird die Reform ohnehin nicht kommen. „Die Zeit, in der wir eine maximale Flexibilität der Exekutive brauchen, ist noch nicht vorbei“, sagt Mützenich. Und viele Kompetenzen werden sich die Länder auch nicht wegnehmen lassen. Das macht der Gastauftritt der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) deutlich. Sie meldet sich von der Bundesratsbank aus zu Wort, ein seltener Vorgang. Die Länder, sagt sie, wüssten sehr genau, was an der Corona-Front vor sich gehe. Und viele hätten schon Ampelsysteme. Sie seien zuständig. Über die „Dauer und Eingriffstiefe“ von Verordnungen aber könne man reden.