Finnlands Männer wollen nicht mehr

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Von unserem Korrespondenten Jens Mattern

Finnische Männer kommen der Rolle als Ernährer und Vater immer weniger nach. Die Beschäftigung unter Männern geht ebenso zurück wie die Geburtenraten. Das Land hat traditionell Frauen gefördert, das könnte sich nun rächen.

Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung haben diese Woche in Finnland zu Aufregung geführt. Einerseits sind immer weniger Männer in einem Beschäftigungsverhältnis. Derzeit arbeiten 80 Prozent der 25- bis 34-Jährigen, im Jahr 2009 waren es noch 87 Prozent, so das finnische Finanzministerium.

Dies wirkt sich laut dem Wirtschaftsmagazin Talouselämä stark auf die Geburtenquote in Finnland aus – die finnischen Männer streikten. Diese Nachricht wird derzeit in Fernsehen, Radio, Nachrichtenportalen und Zeitungen diskutiert.

Immer weniger Babys

Kamen in dem Land mit 5,5 Millionen Einwohnern im Jahr 2009 noch 61.000 Babys zur Welt, so waren es 2017 nur noch 50.000. Dies entspricht einer Fruchtbarkeitsrate von 1,48 Prozent – ein Rekordtief in Finnland. Während rund 10 Prozent der Frauen einkommensschwach seien, so wären es unter den Männern bereits 18 Prozent, Tendenz weiter steigend. Ganz im Gegensatz etwa zu Deutschland, wo es zwischen Männern und Frauen 22 Prozent Differenz beim durchschnittlichen Stundenlohn gibt. Grund dieser Entwicklung sei auch eine allgemeine Marginalisierung der finnischen Männer in der Ausbildung.

Die Familiensoziologin Anna Rotkirch von der Universität Helsinki sieht das Problem schon in der Schule angelegt. „Wenn die Ergebnisse der Förderungspädagogik der Mädchen so schlecht sind wie die der Jungen, wäre das ein nationaler Skandal“, erklärte sie Talouselämä. In Finnland werden Jungen und Mädchen in Mittelschulen getrennt und bekommen ein anderes Schulprogramm.

Hausfrauen haben Seltenheitswert

Laut Anneli Miettinen Kela, Psychologin und Mitglied des finnischen Familienbunds, sind die Ansprüche von Paaren an Arbeitsstabilität höher geworden, sodass es dann oft biologisch zu spät werde, Kinder zu bekommen. Hinzu kommt eine Scheidungsrate von 50 Prozent. Finnische Frauen sind mehrheitlich berufstätig. Hausfrauen haben heute in Finnland Seltenheitswert, gleichzeitig gilt die Kleinfamilie in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr als erstrebenswertes Modell.

Und auch der klassische finnische Mann, der wortkarge Bastler und Malocher, wie man ihn von Aki-Kaurismäki-Filmen kennt, ist schon länger bei finnischen Frauen abgemeldet. Hinzu kommt, dass das Land der Papierindustrie und Holzwirtschaft sich zunehmend zu einer Dienstleistungsgesellschaft wandelt. Viele männliche Arbeiter in der Holzindustrie wurden arbeitslos.

Finnland fördert Frauen

Das Land im Nordosten Europas hat durchaus eine Tradition in der Gleichstellung. Hier wurde 1906, als das Land noch autonomer Teil des Zarenreiches war, erstmals auf der Welt für Frauen das passive und aktive Wahlrecht eingeführt. Ein Gleichberechtigungsministerium überwacht die Gesellschaft, damit es zu keiner Benachteiligung von Frauen kommt.

Das Kulturministerium finanzierte 2017 die kostenlose Verteilung von „Mehr Feminismus!“, dem Buch der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, an alle Neuntklässler des Landes.

„Ohne Gleichstellung und Einbeziehung aller Geschlechter bei Entscheidungen können die Probleme dieser Welt nicht gelöst werden“, heißt es etwas missionarisch auf einer Internetseite der finnischen Regierung, die das Land ausländischen Interessierten präsentiert.

Allerdings reagiert ein Teil der eigenen Öffentlichkeit allergisch auf manche Maßnahmen. So hagelte es Proteste, als zwei Kindergärten im vergangenen November den Vatertagsbrauch abschaffen wollten, bei dem die Väter nach Kindergartenschluss zu Kaffee und Kuchen eingeladen werden und traditionell Selbstgebasteltes von ihren Kleinen überreicht bekommen. Da nun das Finanzministerium das Problem so offen anspricht, spekuliert die führende Tageszeitung Helsingin Sanomat, werde sich wohl bald in der politischen Agenda der regierenden Zentrumspartei etwas ändern.