Ex-Spion zweifelt am Kreml-Auftragsmord

Ex-Spion zweifelt am Kreml-Auftragsmord
Polizisten stehen vor dem Restaurant Zizzi, das in Zusammenhang mit der mutmaßlichen Vergiftung des Doppelagenten Skripal steht

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

Der russische Ex-Spion und Schriftsteller Ljubimow glaubt nicht, dass der in Großbritannien lebende Überläufer Skripal von russischen Ex-Kollegen vergiftet wurde. Kurz vor der Präsidentschaftswahl wäre dies ein Fehler. Ex-Schachweltmeister Kasparow hat hingegen Zweifel.

Der geheimnisvolle Mordanschlag auf den pensionierten Doppelagenten Oberst Sergej Skripal in London zieht Kreise. Ein langjähriger Mitarbeiter russischer Geheimdienste in Großbritannien, der Schriftsteller Michail Ljubimow, sagte dem kritischen Hörfunksender Echo Moskaus am Dienstag in einem Skype-Interview, die Geschichte hinterlasse einen merkwürdigen Eindruck.

Kreml hält sich zurück

Nach Stalins Tod habe das sowjetische Politbüro Morde im Ausland verboten. Der bekannteste davon, der am ukrainischen Nationalistenführer Stepan Bandera in München, habe dem Ansehen der Sowjetunion immens geschadet. Da habe man beschlossen, auf politische Morde zu verzichten. Es sei auch eingehalten worden. Jetzt wieder zu diesem Mittel zu greifen, so kurz vor der russischen Präsidentenwahl und der Fußball-Weltmeisterschaft 2018, wäre ein Wahnsinn gewesen, so der Szeneexperte.

Unterdessen hat der Kreml auf die Drohung des britischen Außenministers Boris Johnson reagiert, London werde entschiedene Maßnahmen ergreifen, falls in der Skripal-Sache eine russische Spur gefunden werde. Der offizielle Sprecher des Präsidenten Wladimir Putin, Dmitri Peskow, erklärte umgehend, der Kreml sei über die spektakuläre Vergiftung nicht ausreichend informiert. Es werde deshalb auch keine offizielle Reaktion Moskaus geben. Er fügte allerdings hinzu, Moskau sei für eine Zusammenarbeit bei den Ermittlern offen. Bisher sei es aber darum nicht gebeten worden.

Schaden lässt sich noch nicht abschätzen

Wie groß der Schaden durch die Skripal-Affäre werden kann, lässt sich noch nicht abschätzen. Der frühere Oberst des russischen Armeegeheimdienstes GRU war Mitte der 90er Jahre vom britischen MI-6 angeworben und 2004 von der russischen Spionageabwehr gefasst worden. 2006 wurde Skripal zu 13 Jahren Lagerhaft verurteilt. Viereinhalb Jahre später wurde er im Rahmen eines komplizierten Austausches, in den auch Amerika einbezogen war, an Großbritannien übergeben. Vor der Abschiebung wurde Skripal vom damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew begnadigt. Die Beseitigung eines begnadigten Ex-Agenten würde unweigerlich einen dunklen Schatten auf den Kreml werfen. Der Ex-Spion und dessen Tochter leben zwar noch, sie wurden aber in London auf einer Bank im Supermarkt bewusstlos gefunden. Eine Mischung von Opiaten, mit der sie vergiftet wurden, hätte genauso gut zu ihrem Tod führen können. Ob sie überleben werden, ist noch unklar.

Der Kalte Krieg sei vorbei, sagt Schriftsteller Ljubimow. Er schließe völlig aus, dass sich die „Organisation“ in diese Angelegenheit einmischen konnte. Er schließe aber nicht aus, dass irgendwelche tschetschenischen Clans „mitgemischt haben“. Es herrsche in Russland noch ein tüchtiges Durcheinander. Was die Briten angehe, so würden sie nicht „zweimal in ein- und denselben Fluss steigen“. Sie hätten den Fall Litwinenko aufgebauscht und nichts erreicht. Wer brauche nun den unbedeutenden GRU-Obersten? Der interessiere doch keinen auf der Staatsebene. Überläufer und Verräter gebe es wie Sand am Meer, so Ljubimow. Übrigens lebten sie alle in ihrer neuen Wahlheimat munter weiter.

Kasparow hat Zweifel

Russische Medien zitieren die Witwe des russischen Überläufers Alexander Litwinenko, der vor zehn Jahren mitten in London mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde, mit den Worten: „Falls Skripal auch vergiftet wurde, würde dies bedeuten, dass sich seit dem Tod meines Mannes nicht geändert hat“.

Es sei sehr seltsam, so etwas vor der Präsidentschaftswahl zu tun, fügte sie hinzu. Anders Garry Kasparow: „Warum sollte Putin es nach der kläglichen Reaktion Großbritanniens auf den Litwinenko-Mord nicht noch einmal versuchen?“, schreibt dagegen Ex-Schachweltmeister auf Twitter.