SerbienDie Politik hat das Wiederaufleben der Corona-Krise fahrlässig beschleunigt

Serbien / Die Politik hat das Wiederaufleben der Corona-Krise fahrlässig beschleunigt
Seit Tagen steigt auch in Serbien die Zahl der Neuinfektionen wieder stark an Foto: AFP/Oliver Bunic

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Die Viruskrise hat Serbien wieder voll im Griff. Mitverantwortlich für steigende Infektionszahlen ist die regierende SNS. Für ihre Wiederwahl bei der Wahl am 21. Juni war ihr jedes Mittel recht: Fahrlässig haben Amtsträger die eigene Gesundheit und die ihrer Landsleute völlig unnötigen Risiken ausgesetzt.

Serbiens Machthaber hat die Viruskrise wieder eingeholt. Als habe es Corona nie gegeben, hatten die Würdenträger der regierenden Fortschrittspartei (SNS) noch vor Wochenfrist ihren Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl ausgelassen gefeiert.

Freudig fielen sich die Wiedergewählten bei der Wahlparty im beengten SNS-Hauptquartier in Neu-Belgrad in die Arme. Untergehakt tanzten Partei-Aktivisten im nationalen Kolo-Reigen. Von sozialer Distanz oder Masken war im schweißtreibenden Siegesgedränge nichts zu erkennen: Selbst Partei- und Staatschef Aleksandar Vucic ließ sich von einer angeheuerten Blaskapelle aus wenigen Zentimetern Entfernung direkt ins Gesicht pusten.

Doch hartnäckig zündelnde Pyromanen müssen sich auch auf dem Balkan nicht wundern, wenn die Flammen am Ende in der eigenen Hütte züngeln. Mit der Parlamentsvorsitzenden Maja Gojkovic, dem Kosovo-Kanzleichef Marko Djuric und dem Verteidigungsminister Aleksandar Vulin sind erste Würdenträger am Wochenende bereits mit Covid-19-Infektionen in die Klinik eingeliefert worden. Die Liste der infizierten Politprominenz dürfte sich bald verlängern: Für die Mission Wiederwahl hat die SNS nicht nur die Gesundheit des eigenen Anhangs, sondern auch die der Landsleute fahrlässig aufs Spiel gesetzt.

Die Zahl der Neuinfektionen ist am Wochenende erstmals seit April wieder auf über 200 pro Tag geklettert – die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Die Infektionskliniken sind überfüllt, überforderte Ärzte schlagen Alarm: In der Provinzstadt Novi Pazar ist vor dem Krankenhaus selbst die Armee aufgezogen.

Dabei war der EU-Anwärter dank harter Präventivmaßnahmen und Ausgangssperren in der Viruskrise mit offiziell bisher 267 Todesopfern zunächst relativ glimpflich davongekommen. Doch nach der Aufhebung des Ausnahmezustands am 6. Mai drückten die Regierung und der allgewaltige Vucic mit den Lockerungen der Vorsichtsmaßregeln für die Mission Wiederwahl aufs Tempo: Wegen der Parlamentswahl wurde selbst das Versammlungsverbot wieder aufgehoben.

Als Sieger gegen die Epidemie sollte Vucic bei den Wahlen triumphieren. Um den Eindruck der Normalität zu vermitteln, wurden selbst Sportveranstaltungen mit Publikum zugelassen. Eng an eng drängten sich am 10. Juni über 20.000 Fans beim Fußballderby zwischen Partizan und Roter Stern Belgrad. Kurz darauf stieg in Belgrad das fatale Tennisspektakel der später abgebrochenen Adria Tour.

Fatale Entscheidung

Zwar hatte die SNS in der Endphase des Wahlkampfs wegen der anziehenden Infektionszahlen ihre Kundgebungen abgesagt. Doch ihre Bündnis- und Koalitionspartner karrten weiter die Anhänger zu Kundgebungen in überladenen Bussen durch das Land: In Novi Pazar stürzte sich Handelsminister Rasim Ljajic von der mit der SNS verbandelten Regionalpartei SDP bei deren Kundgebung gar wie ein Rockstar zum „Wave“ in die jubelnde Menge.

Als fatale Regierungsentscheidung sollte sich jedoch vor allem die Ansetzung des Universitätsprüfungen noch vor dem Sommer entpuppen. Zehntausende von Studenten, die während des Ausnahmezustands bei ihren Eltern in der Provinz verblieben waren, kehrten zu den Vorbereitungen auf die Prüfungen wieder in ihre beengten Wohnheime in die Großstädte zurück.

Nach Recherchen des Balkannetzwerks BIRN sollen die Infektionszahlen bereits in den Tagen vor den Wahlen sprunghaft angestiegen, aber die tatsächlichen Zahlen vertuscht worden sein. Auf den Wahlsieg der SNS, die bei dem von der Opposition teiltweise boykottierten Urnengang über 60 Prozent der Stimmen und über Dreiviertel der Sitze einfuhr, fällt mittlerweile indes nicht nur der Corona-Schatten. In 234 Wahllokalen muss die Parlamentswahl am 1. Juli wiederholt werden, da die Nationale Wahlkommission (RIK) die offensichtlich manipulierten Ergebnisse nicht überprüfen konnte: Die Anzahl der ausgefüllten Stimmzettel in den Urnen übertraf dort die der Wähler bei weitem.