Angst vor Orbans Rache

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Von unserem Korrespondenten Thomas Roser

Eine Woche nach dem Wahlsieg der nationalpopulistischen Fidesz-Partei mehrt sich bei deren Gegnern die Sorge vor einem Rachefeldzug von Ungarns Premier Viktor Orban. Während unabhängige Medien bereits ihre Segel streichen, hat Budapest ein Gesetzpaket gegen missliebige Bürgerrechtsgruppen angekündigt.

Sehr spät mühen sich die Gegner von Ungarns Premier Viktor Orban, ihre zersplitterten Reihen zu schließen. Knapp eine Woche nach dem klaren Sieg von dessen nationalpopulistischer Fidesz-Partei bei den Parlamentswahlen haben in Budapest am Wochenende Zehntausende gegen den Abbau des Rechtsstaats und der Demokratie und für Pressefreiheit und eine Neuauszählung der Stimmen bei der ihrer Meinung nach manipulierten Urnengang demonstriert.

Bei den Wahlen gelang es Fidesz, sich mit 49,9 Prozent der Stimmen genau die für Verfassungsänderungen nötige Zwei-Drittel-Mehrheit der Parlamentsmandate zu sichern. In den letzten Tagen mehrten sich Berichte, wonach es in einigen Wahllokalen vor allem bei den Zweitstimmen zu auffälligen Ungereimtheiten und Unregelmäßigkeiten fast immer zu Lasten der Opposition gekommen sein soll. Mit Parolen wie „Mehr EU weniger Orban“ oder „Wir sind die Mehrheit, wir sind das Volk“ zogen laut weit voneinander abweichenden Schätzungen zwischen 40.000 und 100.000 Menschen über die Straßen. „Frustration, Enttäuschung und der Wille zur Tat“ nannte der Student und Organisator Örs Lanyi vorab als Motivation für seinen Demonstrationsaufruf. Besorgt zeigen sich heimische Orban-Kritiker vor allem über den von dem Premier schon vor den Wahlen angekündigten Rachefeldzug gegen die Opposition, missliebige Bürgerrechtsgruppen und die wenigen verbliebenen regierungskritischen Medien.

Das Gepoltere rund um Soros

Man werde sich nach den Wahlen „politische, moralische und juristische Genugtuung“ verschaffen, hatte der Fidesz-Chef in seiner Rede zum Nationalfeiertag am 15. März dunkel gedroht. Tatsächlich scheint Orban trotz der Ankündigung der Verjüngung seiner Regierungsmannschaft zumindest innenpolitisch keinerlei Kurskorrekturen zu planen. Bereits direkt nach den Wahlen kündigte Fidesz-Fraktionssprecher Janos Halasz an, dass das neue Parlament im Mai mit der neuen Zwei-Drittel-Mehrheit ein „Stop-Soros-Gesetzespaket“ absegnen werde: Die bereits vor der Wahl eingereichten Gesetzentwürfe sehen u.a. vor, Bürgerrechtsgruppen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, mit Geldstrafen oder Verbot zu sanktionieren. Im Wahlkampf hatte Orban dem aus Ungarn stammenden US-Milliardär und HolocaustÜberlebenden George Soros vorgeworfen, mit Hilfe der UN und EU und 2.000 einheimischen „Söldnern“ das Land durch die Ansiedlung von Hunderttausenden von Muslims seiner christlichen Identität berauben zu wollen. Vergangene Woche veröffentlichte ein regierungsnahes Wochenblatt eine erste Liste von 200 Personen, die als „Söldner“ von Soros bezeichnet wurden: Außer Wissenschaftlern, die an der von Soros gegründeten Central European University lehren, finden sich die Namen von Journalisten missliebiger Medien, früheren Orban-Vertrauten sowie Mitarbeitern von Bürgerrechtsgruppen wie Amnesty International oder der ungarischen Sektion des Helsinki-Komitees auf der Liste.

Die überschaubare Zahl regierungskritischer Medien hat sich in der letzten Woche weiter gelichtet. Schon am Tag nach der Wahl kündigte die 80 Jahre alte Traditionszeitung Magyar Nemzet die Einstellung aus „finanziellen Gründen“ an: Auch deren Online-Ausgabe sowie der Radio-Sender Lanchid stellten den Betrieb ein. Das von Orbans früherem Vertrauten und heutigem Intimfeind Lajos Simicska gehaltene Blatt hatte in den letzten Monaten über zahlreiche Korruptionsskandale in Reihen der Fidesz-Partei berichtet. Vergangene Woche kündigte auch das englischsprachige, regierungskritische Webportal budapestbeacon.com die Einstellung ein. Die anhaltende „Erosion der Medienpluralität“ in Ungarn mache ein weiteres Erscheinen „nahezu unmöglich“, so die Begründung: Die Site hatte vor allem Artikel unabhängiger Medien ins Englische übersetzt. Die Wahlbeobachter der OSZE hatten nach der Parlamentswahl scharfe Kritik an deren Ablauf geübt. Die Chancengleichheit der Opposition sei durch exzessive Anzeigenkampagnen der Regierung, undurchsichtige Wahlkampffinanzierung, voreingenommene Medien und die Einschnitte in die Presse- und Versammlungsfreiheit „untergraben“ worden. Während ein bewusst erst nach der Wahl veröffentlichter Untersuchungsbericht des Europaparlaments wegen der „systematischen Bedrohung“ der Demokratie, des Rechtsstaats und der EU-Grundrechte die Einleitung eines Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn empfiehlt, bleibt die EU in Sachen des Umgangs mit Orban weiter gespalten. Vor allem die christdemokratische EVP, der die nationalpopulistische Fidesz noch immer angehört, hält Orban dank seiner Fürsprecher in Reihen der luxemburgischen CSV in Europa weiter den Rücken frei.