PolenAm zehnten Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Smolensk spricht PiS-Regierung weiter von einem Attentat

Polen / Am zehnten Jahrestag des Flugzeugabsturzes von Smolensk spricht PiS-Regierung weiter von einem Attentat
Russische Soldaten bewachen einige Tage nach dem Absturz das Wrack der polnischen Maschine Foto: Picture Alliance/dpa

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Die Corona-Epidemie macht Jaroslaw Kaczynski einen schmerzhaften Strich durch die Rechnung. Heute Freitag sollte in ganz Polen mit Trauermärschen an den Flugzeugabsturz seines geliebten Zwillingsbruders vor zehn Jahren gedacht werden. 

Der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski und seine Ehefrau Maria werden in Polen mittlerweile wie Nationalhelden verehrt, nachdem sie am 10. April 2010 im dichten Nebel bei der westrussischen Stadt Smolensk aus bisher nicht ganz geklärten Gründen abgestürzt sind.

In diesem Jahr aber kann die militärische Ehrengarde für die beiden Märtyrer kaum aufmarschieren, denn Versammlungen von über zwei Personen sind wegen der Corona-Epidemie in Polen verboten. Wegen Sicherheitsbedenken – und nicht wegen der auch in Russland wütenden Corona-Epidemie – wurde ein Staatsbesuch in Smolensk Anfang der Woche kurzfristig abgesagt. So wird Jaroslaw Kaczynski, der Chef der regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), am heutigen Freitagmorgen zur Absturzzeit 8.41 Uhr ganz alleine einen Blumenkranz am zentralen Warschauer Smolensk-Denkmal auf dem Pilsudski-Platz niederlegen. Etwas später sollen auch Kaczynskis Regierungschef und die Minister seines rechtsnationalen Kabinetts sowie weitere Vertreter der Opferfamilien zum schwarzen Marmordenkmal vorgelassen werden. Mit dem Kaczynski-Kult geht nämlich mitunter vergessen, dass vor zehn Jahren noch 94 weitere Passagiere, darunter auch viele linke und liberale Abgeordnete, in den Tod gerissen wurden.

Weshalb die Präsidentenmaschine überhaupt abstürzte, ist bis heute Thema eines erbitterten Streits in Polen. Die 96-köpfige Delegation war am 10. April 2010 anlässlich des 70. Jahrestages der Ermordung von rund 20.000 polnischen Offizieren durch den sowjetischen Militärgeheimdienst NKWD im Jahre 1940 zu den Gräberfeldern von Katyn unterwegs. Als Landeflughafen war der veraltete Militärflugplatz der nahen westrussischen Stadt Smolensk gewählt worden. Das Wetter war dermaßen schlecht, dass bereits der Abflug in Warschau unter Fragezeichen stand, und je näher man dem Ziel kam, desto dichter wurde der Nebel. Dennoch sollen die Piloten versucht haben, vor Ort zu landen. Dabei zerschellte das Flugzeug vom sowjetischen Typ Tupolew TU-154 in einem Waldstück kurz vor der Landebahn.

Je ein russischer und ein polnischer Untersuchungsbericht gehen von gravierenden Pilotenfehlern als wichtigste Unfallursache aus. Dem widersprechen seit nunmehr zehn Jahren die meisten Anhänger Kaczynskis. Laut einem 2012 veröffentlichten Bericht von PiS-Abgeordneten schalteten zwei Explosionen die Präsidentenmaschine aus, bevor diese in das Waldstück stürzte. Zuvor sei das Flugzeug vom russischen Tower absichtlich auf einen falschen Landekurs gebracht worden, befand bereits damals Kaczynskis späterer Verteidigungsminister Antoni Macierewicz. Beweise für diese schrecklichen Behauptungen sollten nun zum 10. Jahrestag des Absturzes endlich nachgeliefert werden. Der Abschlussbericht sei verfasst, kündigte Macierewicz Ende Februar im ultra-katholischen Privat-TV „Trwam“ an. Nun aber soll das Corona-Virus auch eine termingerechte Veröffentlichung verhindern, wie Macierewicz am Dienstag zerknirscht verkündete.

Moskau hält Blackboxes weiterhin zurück

Das Geheimnis von Smolensk bleibt also weiterhin ungelüftet, ein Zustand, der der regierenden PiS im gerade laufenden Präsidentschaftswahlkampf wie schon früher wieder einmal hilft. Denn laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Ipsos tendieren die PiS-Unterstützer von Amtsinhaber Andrzej Duda eher zu Verschwörungstheorien als die Anhänger seiner vier oppositionellen Herausforderer. 50 Prozent jener Polen, die ihre Stimme am 10. Mai Duda geben wollen, glauben auch an ein Attentat von Smolensk. Unter der gesamten Bevölkerung sind es laut Ipsos noch 26 Prozent. Die deutliche Mehrheit der Polen, 59 Prozent, sprachen Ende Februar von einem gewöhnlichen Flugzeugunfall in Smolensk; 15 Prozent hatten keine Meinung.

Seit Jahren bliebt die Zahl der Attentats-Anhänger konstant. Befeuert wird dieser Glaube durch die russische Weigerung, das Wrack und die noch fehlenden Blackboxes an Warschau zu übergeben. Weite politische Kreise in Warschau vermuten, dass es sich dabei um ein abgekartetes Spiel des ehemaligen KGB-Offiziers Putin handle, dem der fast schon pseudo-religiöse Smolensk-Glaubenskrieg in Polen zupass kommt. Er spaltet nämlich die Polen seit nunmehr zehn Jahren in zwei sich spinnefeind gegenüberstehende Lager. Und zwar von Personen, die noch in den 80er Jahren in Polen in der Gewerkschaft „Solidarnosc“ gemeinsam den Kommunismus niedergerungen hatten. Putin dürfte sich also noch einmal lachend die Hände reiben.