RadsportWarum französische Teams mehr Beliebtheit im Peloton genießen

Radsport / Warum französische Teams mehr Beliebtheit im Peloton genießen
Ben Gastauer (links) ist seit 2009 für das World-Tour-Team von Ag2r unterwegs, Kevin Geniets (rechts) ist seit 2019 bei Groupama-FDJ. Davor war auch er bei Ag2r.  Archivbild: Gerry Schmit/Tageblatt

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Zu Beginn dieser Saison werden mit Kevin Geniets (Groupama-FDJ), Jempy Drucker (Cofidis), Ben Gastauer und Bob Jungels (beide Ag2r Citroën) vier Luxemburger für französische World-Tour-Teams starten. Während die Mannschaften aus der „Grande Nation“ früher oft belächelt wurden, haben Cofidis, Ag2r Citroën und Groupama-FDJ ihren Status geändert – vor allem, weil sie interessante Mehrwerte bieten. 

Für viele Radsport-Teams war die vergangene Saison sicher eine der kompliziertesten in ihrer Geschichte. Vor allem in finanzieller Hinsicht gerieten einige Mannschaften in Schwierigkeiten. Der polnische Schuhhersteller CCC geriet in Existenznöte und verließ den Radsport. Auch Sunweb zog sich aufgrund finanzieller Schwierigkeiten als Hauptsponsor zurück, bleibt aber weiterhin Nebensponsor des Teams, das sich ab dieser Saison Team DSM nennt. 

Ähnliche Sorgen plagten auch die Profis. Für viele war es mental nicht einfach, nicht zu wissen, wann und ob die Rennen wieder losgehen. Doch vor allem für Profis, deren Vertrag in diesem Jahr auslief, war es eine schwierige Situation. In einer Zeit, in der sich viele Fahrer um ihren nächsten Gehaltsscheck sorgten, verlängerte Groupama-FDJ viele Verträge. Erst verlängerte das Team von Marc Madiot die Kontrakte von seinen Stars. Thibaut Pinot, Arnaud Démare, David Gaudu und Stefan Küng verlängerten bis 2023, nur kurze Zeit später bekamen auch Kevin Geniets, Jacop Guarnieri (beide bis 2022) und Olivier Le Gac (2023) neue Verträge – das war eine Woche vor dem Re-Start der Saison, der am 1. August bei den Strade Bianche stattfand. 

Ben Gastauer ist seit 2009 Teil des World-Tour-Teams von Ag2r und kennt die Strukturen der französischen Teams wohl wie kein anderer Luxemburger. „Die Teams bieten die Sicherheit“, erklärt er. „Sie sind schon lange dabei und haben Tradition.“ Genau wie bei Geniets wurde der Vertrag von Gastauer auch eine Woche vor dem Re-Start der neuen Saison bis 2021 verlängert. „Das war sehr wichtig für mich. Ich konnte mich somit immer auf das Sportliche konzentrieren und musste mir keine Gedanken um meine Zukunft machen. Insgesamt hat das Team dieses Katastrophenjahr sehr gut gemeistert. Ich musste mir nie Gedanken um meinen Gehalt machen. Außerdem haben sie noch neue Sponsoren an Land gezogen, sodass die Budgets weiter steigen.“ Erstaunlich sei auch, dass man die Abgänge der Leader um Romain Bardet sowie Alexis Vuillermoz, Pierre Latour und Alexandre Geniez so aufgefangen habe. 

Frühe Sicherheit

In der Vergangenheit wurden französische Teams oft belächelt: aufgrund ihrer oft eigens verschuldeten Niederlagen, aber auch aufgrund ihres veralteten Materials. In dieser Saison hat es nicht nur Bob Jungels und Jempy Drucker zu französischen Teams gezogen, auch Greg Van Avermaet oder Giro-Etappensieger Ben O’Connor (beide Ag2r Citroën) zog es nach Frankreich. Alleine vier der sechs aktiven luxemburgischen World-Tour-Profis sind in Frankreich tätig. Lediglich Alex Kirsch und Michel Ries fahren für das US-amerikanische Team Trek-Segafredo.

Die Teams respektieren die Fahrer als Menschen und sehen nicht nur das Business und die Leistungen

Ben Gastauer, Radprofi bei Ag2r Citroën

Die drei nationalen Konkurrenten Ag2r Citroën, Cofidis und Groupama-FDJ bieten ihren Fahrern Stabilität und garantieren Sicherheit. Sie haben Tradition, sind beständig und verlieren während einer sportlichen Misere nicht das Interesse – das unterscheidet sie von Mannschaften, die von australischen Winzern oder Oligarchen aus dem Nahen Osten gesponsert werden. „In einem neuen Team muss alles aufgebaut werden“, erklärt Gastauer. „Es ist nicht alles zu 100 Prozent organisiert. Bei französischen Mannschaften wissen die Radsportler, dass das Team sich auskennt und weiß, wie es läuft. Die Strukturen bestehen und alles funktioniert.“  

In den elf Jahren bei Ag2r habe sich Gastauer nie große Gedanken um einen Wechsel gemacht. „Ich habe in all den Jahren gesehen, dass sich die Mannschaft weiterentwickelt“, sagt der Schifflinger. „Sie waren offen für neue Sachen und ich habe mich immer wohlgefühlt. Ich habe mir zwar zwischendurch ein paar Gedanken über einen Wechsel gemacht, aber mehr auch nicht.“ Ein springender Punkt sei zudem, dass die Mannschaft ihm, ähnlich wie in diesem Jahr, immer früh ein Angebot zur Vertragsverlängerung unterbreitet hat – somit konnte sich der 33-Jährige frühzeitig auf das Sportliche konzentrieren. 

Doch auch das Privatleben der Profis wird bei den Teams im Hexagon nicht unterschätzt. Die Teamchefs und Sportdirektoren sorgen sich um das Privatleben der Sportler – auch, weil sie wissen, dass dieses ihre Leistung beeinträchtigen kann. Der Schweizer Silvan Dillier durfte 2019 das Trainingslager von Ag2r im Januar ausfallen lassen, um bei der Geburt seines Kindes dabei sein zu können. Eine ähnliche Situation hätte Gastauer 2016 erleben können. Vor seinem Start bei der Tour de France informierte er seine Mannschaft, dass der Termin für die Geburt seines Nachwuchses zwei Wochen nach der Tour sei. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich abreisen wollte, falls etwas passieren sollte. Für sie war das kein Problem“, sagt Gastauer. Auch für die Geburt seines zweiten Kindes, das im Dezember 2018 das Licht der Welt erblickte, durfte der Luxemburger das traditionelle Trainingslager im Dezember auslassen. 

Keine Sprachbarriere 

„Vincent Lavenu sieht sein Team wie seine Familie an und das spüren wir. Das Team weiß, dass Familie für mich sehr wichtig ist. Das respektieren sie und das wiederum ist auch sehr wichtig für mich. Sie respektieren die Fahrer als Menschen und sehen nicht nur das Business und die Leistungen. Wir wissen, dass die Leistung kommen muss, aber vieles passiert auf menschlicher und nicht auf maschineller Ebene.“ Ein weiteres Argument, warum die luxemburgischen Profis von französischen Teams angezogen werden, ist jedoch sicherlich auch Kultur und Sprache. „In französischen Teams wird Französisch gesprochen. Sie bemühen sich zwar auch, Englisch zu reden, aber Französisch bleibt die Hauptsprache. Bei manchen Fahrern ist es auch daran schon gescheitert“, erklärt Gastauer. 

Ein anderer großer Vorteil, den die französischen Teams bringen, ist, dass die Profis bei FDJ und Ag2r krankenversichert sind, während Sportler bei anderen Mannschaften als Selbständige gelten und sich selbst versorgen müssen. Auch das ist ein weiterer Punkt, der für die Teams aus Frankreich spricht. „Es geht alles in die richtige Richtung“, fasst Gastauer zusammen. „Sie haben größere Budgets und entwickeln sich weiter. Der Unterschied zu den Top-Teams ist kleiner geworden.“ Durch die neuen Geldgeber haben die Rennställe nicht nur die Chance, den Fahrern lukrativere Angebote zu unterbreiten, sondern auch in die Wissenschaft zu investieren, um bessere Trainingsmethoden zu erforschen oder die Sportler auf dem Rad noch schneller zu machen.