Interview„Langeweile ist gut“: Im Gespräch mit Matthew Caws von Nada Surf

Interview / „Langeweile ist gut“:  Im Gespräch mit Matthew Caws von Nada Surf
Matthew Caws (vorne) und seine Band Nada Surf

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Am Sonntag stellen die Indie-Rock-Legenden Nada Surf ihr aktuelles Album „Never Not Enough“ im Atelier vor – zwei Jahre nach dessen Veröffentlichung. Das Tageblatt hat mit Sänger und Songschreiber Matthew Caws über die pandemiebedingte Verzögerung, den vielmals prognostizierten Tod des Indie-Rocks, die zukünftigen Projekte seiner Band und Zerstreutheit und Langeweile im digitalen Zeitalter gesprochen.

Tageblatt: Wie so viele Bands musstet ihr wegen der Pandemie eure Tournee verschieben. Wie fühlt es sich an, wieder auf Tour zu sein?

Matthew Caws: Natürlich wünsche ich mir, es hätte die Pandemie nicht gegeben – es gab Todesfälle und Leiden, Verlust und Einsamkeit. Aber für mich bedeutete es auch die längste Zeit in 25 Jahren, nicht auf Tournee zu sein. Ich habe einen fünfjährigen Jungen, also konnte ich zu Hause bei meinem Kind sein. Aber jetzt freuen wir uns natürlich, wieder unterwegs zu sein.

Wie hat sich die Pandemie auf das Touren ausgewirkt?

Auf der ersten Tournee, die wir während der Pandemie gemacht haben, haben wir uns jeden Tag getestet. Alle waren komplett maskiert: das Publikum, die Crew und wir – außer wenn wir gesungen haben. Auch wenn ich mir jetzt bewusst bin, dass sich die Dinge schnell ändern können, wird es dieses Mal wahrscheinlich etwas entspannter zugehen, denn ich denke, die Welt ist dazu übergegangen, nicht zu testen, bis man merkt, dass man Symptome hat. Zu Hause teste ich mich nicht oft, aber auf Tournee mindestens alle zwei oder drei Tage.

Jetzt, wo es so viele Unterhaltungsangebote gibt, sagen Kinder sehr schnell: „Ich langweile mich“, und implizieren damit, dass Langeweile ein akuter Missstand ist, der sofort behoben werden muss. Das ist aber nicht wahr. Langeweile ist gut.

Matthew Caws , Sänger von Nada Surf

War der Lockdown insofern inspirierend, als dass Sie tatsächlich konzentrierter an neuem Material arbeiten konnten – oder war es vielmehr eine angsteinflößende Zeit?

Eigentlich war es beides. Ein Kleinkind ist wirklich ein Vollzeitjob – aber ich hatte auch ruhige Momente, und ich konnte mir ein paar neue Arbeitsmethoden ausdenken. Eine Sache, die ich gemacht habe, um einige der Songs zu schreiben, die auf unserer nächsten Platte sein werden, ist, dass ich während des größten Teils des Lockdowns angefangen habe, sehr, sehr früh aufzustehen, um vor der Familie wach zu sein. Mein Sohn ging nicht zur Schule, sodass es sich anfühlte, als sei unser Haus eine Kindertagesstätte für eine einzelne Person. Ich stand also um 5.30 Uhr auf, nur um ein paar Stunden allein zu sein. Und so entdeckte ich etwas Neues, nämlich, dass mein innerer Kritiker, der so bösartig ist, dass ich bereit bin, fast alles, was ich schreibe, wegzuschmeißen, frühmorgens weniger streng ist. Denn wie schlecht kann eine Idee dann schon sein, wenn der Tag noch nicht einmal begonnen hat? Wenn man so früh am Morgen den Stift in der Hand hält, macht man auf keinen Fall Mist – nicht einmal annähernd. (lacht)

Es gab auch Momente von Panik, definitiv eine gewisse Sorge um die Welt. Aber ich glaube, wir werden immer besser darin, uns abzuschotten, unsere Gedanken zu segmentieren. Ich nenne das die verschiedenen Festplatten der Realität: Es gibt die Annehmlichkeiten des Alltags, es gibt Liebe, es gibt Kunst, es gibt Politik, und all das wird in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Und manchmal schenkt man nur einem Bereich seine Aufmerksamkeit und man vergisst, dass es eine Pandemie gibt, und dann vergisst man, dass man eine Familie hat, und manchmal vergisst man auch, dass es einen Präsidenten gibt. Obwohl ich das nie sehr lange vergessen konnte. Ich hätte das eigentlich gerne noch ein bisschen mehr vergessen.

Manche Dinge sind halt schwieriger zu vergessen als andere. Apropos, glauben Sie, dass diese Segmentierung etwas ist, das auf die Digitalisierung der Welt zurückzuführen ist? Was tut das mit uns – und wie wirkt sich sowas auf Ihre Kreativität als Musiker aus?

Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass es letztendlich nicht sehr gut für die Kunst ist, weil wir uns leichter ablenken lassen. Jetzt, wo es so viele Unterhaltungsangebote gibt, sagen Kinder sehr schnell: „Ich langweile mich“, und implizieren damit, dass Langeweile ein akuter Missstand ist, der sofort behoben werden muss. Das ist aber nicht wahr. Langeweile ist gut. Mein Vater war Philosoph, und er sagte immer, dass es nie eine Entschuldigung für Langeweile gibt, da es immer etwas gibt, worüber man nachdenken kann. Aber ich glaube, er hätte auch erkannt, dass es damals bestimmte Arten von Langeweile gab, die heute nicht mehr existieren. Die Vorstellungskraft wird sicherlich durch all diese Anregungen und Stimuli genährt, aber das Potenzial an Wildheit, Flexibilität und vielleicht auch an Interdisziplinarität unserer Vorstellungskraft könnte darunter leiden.

Das erinnert mich an Blaise Pascal, der sagte, dass alle Probleme der Menschheit daher rühren, dass wir nicht einfach still in einem Raum bleiben können.

Ich glaube, dass viele Arten von Verschwörungstheorien, dass all diese wirklich gefährlichen Diskurse aus dem Bedürfnis der Menschen geboren sind, jemand zu sein, sich auszudrücken, eine Identität zu haben. Als ob es nervös oder panisch machen würde, sich einmal nicht auszudrücken und eben einfach nur in einem Raum zu sitzen, wie Pascal sagte. Viele Ausdrucksformen heutzutage sind erzwungen. Und die Panik, keine klare Identität zu haben oder nicht besonders zu sein, ist gefährlich. Ich habe mich nie wirklich mit dem Spruch „Man muss für etwas stehen, sonst fällt man auf alles herein“ anfreunden können. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube nicht, dass man unbedingt für etwas stehen muss – und Gott bewahre, dass man sich etwas aussucht, für das man steht, ohne alle Informationen zu haben, nur weil das identitätsstiftend wirkt oder weil man glaubt, sich für eine Seite entscheiden zu müssen.

Wir haben über die Pandemie, über Wahlen und über Verschwörungstheorien gesprochen. Sind das Dinge, die in die neuen Songs einfließen – oder wird das nächste Album intimer sein?

Es gibt eine Reihe von Songs, die nur von unserem Innenleben handeln, und dann gibt es zwei oder drei andere, die ganz offen von Verschwörungstheorien oder von diesem Gefühl der Identitätspanik handeln. Wobei wir wieder bei der Segmentierung unserer Festplatten sind.

 (C) Annie Dressner
Wir haben eine Karriere. Sie ist, was sie ist. Sie ist nicht riesig, sie ist nicht winzig. Sie erlaubt es uns, einfach zu versuchen, für uns selbst interessant zu bleiben.

Matthew Caws, Sänger von Nada Surf

Euch gibt es schon seit fast 30 Jahren. Was hat sich im Laufe der Jahre am kreativen Prozess verändert?

Ich bin ziemlich zufrieden damit, wie es sich anfühlt, jetzt in dieser Band zu sein. Als wir über das neue Album diskutierten, sagte ich zu unserem Manager, dass es toll wäre, wenn wir bei der Arbeit an der neuen Platte nie das Wort „Hit“ erwähnen würden. Denn so ziemlich jedes Mal, wenn wir eine Platte machen, hole ich vorher ein paar Demos auf und irgendjemand sagt: „Hey, das hat Hit-Potenzial.“ Und das vermasselt den Song immer ein bisschen. Denn dann treffen wir irgendeine blöde Entscheidung, z.B. nehmen wir ihn etwas langsamer auf, damit er zugänglicher ist. Aus künstlerischer Sicht dachte ich also, es wäre schön, dieses Wort nicht zu benutzen, auch wenn es für die Karriere natürlich toll wäre, einen weiteren Hit zu haben. Aber die Wahrheit ist: Wir brauchen nicht wirklich einen. Ich meine, wir haben eine Karriere. Sie ist, was sie ist. Sie ist nicht riesig, sie ist nicht winzig. Sie erlaubt es uns, einfach zu versuchen, für uns selbst interessant zu bleiben.

Es wurde viel über den Niedergang des klassischen Indie-Rocks gesprochen. Auch wenn diese ganze Debatte vielleicht eine journalistische Erfindung ist – wo seht ihr euch als Band in dieser Diskussion?

Ich denke, es ist sehr wertvoll, über Genres nachzudenken. Ich weiß nicht, ob das Faulheit oder vorsätzlicher Selbstschutz ist – aber wir haben es wirklich geschafft, uns komplett aus der Selbstdefinition herauszuhalten. Ich übertreibe jetzt mal kurz und sage: 1997 klangen wir wahrscheinlich wie 2003 – und 2012 klangen wir wie 1999. Manchmal ist das, was man macht, auch ein Produkt der eigenen eingeschränkten Fähigkeiten. Obwohl die Musik, für die ich mich interessiere, sehr breitgefächert ist, gebe ich zu, dass unser stilistisches Spektrum nicht sehr breitgefächert ist. Das mag daran liegen, dass ich vielleicht nie gelernt habe, anders zu spielen, anders zu singen oder anders zu schreiben – oder vielleicht bin ich einfach zu zufrieden mit dem, was ich mache. Ich hole kurz etwas aus. Manchmal sehen Goths wirklich wie Goths aus, und manchmal sieht ein Biker einfach perfekt wie ein Biker aus – er ist vielleicht etwas dickbäuchiger, und der perfekte Goth hat z. B. schlankere Wangenknochen. Da frage ich mich: Hat dieser Bauch ihn dazu gebracht, Biker zu werden? Ich habe eine hohe Stimme, ich war früher eher eine nervösere Persönlichkeit, deshalb spiele ich wahrscheinlich Gitarre in einem schnellen, nervösen Stil. Ich gebe nicht gerne an, was mich von Hardrock oder Hip-Hop fernhält – Genres, die ich eigentlich mag. Ich neige dazu, ein wenig selbstironisch und bescheidener zu sein – und vielleicht führt all das zu einer besonderen Art des Songwritings, die zu dem passt, was wir tun. Aber vielleicht schweife ich auch nur ab. (lacht) Ich interessiere mich für Genres, und ich analysiere gerne die Musik, die ich höre, aber was uns angeht, fühle ich mich von der Analyse völlig ausgeschlossen.

Werdet ihr am Sonntag neues Material spielen – und wie fühlt es sich an, Songs von „Never Not Together“ zu präsentieren, einem Album, das ihr zwei Jahre lang nicht in Luxemburg touren konntet?

Nein, ich denke, wir werden wahrscheinlich aus mehreren Gründen kein neues Material spielen. Einer davon ist, dass wir diese Platte noch nicht herausgebracht haben, ein anderer ist, dass es sich gut anfühlt, Songs von unserer letzten Platte zu präsentieren, weil wir diese Platte nicht so viel getourt haben, wie wir es normalerweise getan hätten. Die Songs fühlen sich also noch neu genug an.