GroßbritannienKonservative überbieten sich mit radikalen Parolen gegen Einwanderer

Großbritannien / Konservative überbieten sich mit radikalen Parolen gegen Einwanderer
Die britische Innenministerin Suella Braverman (r.) hatte mit Blick auf die große Zahl von Migrantinnen und Migranten, die 2022 ins Land gelangt sind, von einer „Invasion“ an den britischen Küsten gesprochen Foto: PA Wire/dpa/Toby Melville

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Bedrängt von den eigenen unhaltbaren Versprechungen und von anhaltend negativen Umfragewerten übertreffen sich die regierenden Konservativen Großbritanniens unter Premierminister Rishi Sunak in immer radikaleren Vorschlägen zur Asylpolitik.

Weil die geplante Abschiebung von Migranten nach Ruanda gerichtlich untersagt wurde, ist jetzt von dauerhafter Internierung ohne Verfahren die Rede. Asyl soll nur noch beantragen dürfen, wer auf legalem Weg auf die Insel reist; deren Zahl würde auf 20.000 Menschen begrenzt werden. „Illegale“ Flüchtlinge sollen auf Dauer vom Verbleib im Land ausgeschlossen werden.

Der Premierminister lässt sich gern mit dem Satz zitieren, seine „wichtigste Priorität“ sei die Eindämmung der Einwanderung über den Ärmelkanal. In diesem Jahr sind bereits mindestens 44.000 Menschen in Schlauchbooten und durch eine der am meisten befahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt gefahren. Den organisierten Schlepperbanden müssen sie dafür zwischen 3.000 und 7.000 Euro pro Person bezahlen; immer wieder kommt es zu Todesfällen. Alle Abmachungen mit den Anrainern der Kanalküste, zuletzt ein neuer Vertrag mit Frankreich, hat an der Situation wenig geändert. Unter den Ankommenden waren zuletzt viele Albaner, was in der Öffentlichkeit für Empörung gesorgt hat. Der Botschafter des sicheren Drittlandes soll diese Woche bei einer Parlamentsanhörung zur Lage in seinem Land Auskunft geben.

Zusätzlich hat die jüngste Erhebung des Nationalen Statistikamtes ONS die Regierung aufgeschreckt. Demnach siedelten sich im Jahr bis Ende Juni 2022 gut eine halbe Million mehr Menschen neu auf der Insel an als jene, die dem Königreich den Rücken kehrten. Das ist der bei weitem höchste Wert des letzten Jahrzehnts. Nachdem das Thema jahrelang aus den Schlagzeilen verschwunden war, gehört die Immigration seit einigen Monaten wieder zu den Aufregern der Nation, angeregt nicht zuletzt durch solche Statistiken. In einer jüngsten Umfrage beurteilten 84 Prozent der Briten die Einwanderungspolitik ihrer Regierung als „schlecht“.

Angst vor zu viel Einwanderung

Noch in der Opposition hatte der damalige Parteichef David Cameron die Reduzierung der Netto-Immigration auf „einige Zehntausend“ pro Jahr angekündigt. An diesem unhaltbaren Versprechen sind seit 2010 sämtliche Tory-Premiers gescheitert. Dem früheren Ukip- und späteren Brexit-Parteivorsitzenden Nigel Farage liefen die Wähler nicht zuletzt deshalb zu, weil er auf die gescheiterte Immigrationspolitik verweisen konnte, ohne je haltbare eigene Vorschläge vorzulegen. Die Angst vor zu viel Einwanderung schürte Farage im Brexit-Kampf mit der falschen Behauptung, die Türkei stehe unmittelbar vor der Aufnahme in die EU, wodurch ihre mehr als 80 Millionen Einwohner das Niederlassungsrecht in Großbritannien (68 Millionen) erhalten würden.

Um die rechte Flanke seiner Partei gegen Farage und dessen Anhänger abzusichern, hat das Einwandererkind Sunak eine Galionsfigur des äußersten rechten Parteiflügels, die ebenfalls von Einwanderern abstammt, im Innenministerium belassen. Am Wochenende machte Suella Braverman Schlagzeilen, indem sie den neuen Bericht des rechten Thinktanks CPS durch ein Vorwort adelte. Zwar stimme sie nicht allen Vorschlägen zu, schreibt die Ministerin, lobt das Papier aber als „wichtigen Diskussionsbeitrag“.

Tatsächlich soll eine der Ideen des Autors Nick Timothy, seinerzeit Bürochef und wichtigster Berater der unglücklichen Premierministerin Theresa May, in Kürze Gesetz werden: Wer illegal ins Königreich einreist, würde auf Dauer jedes Niederlassungsrecht verwirken. Als „illegal“ bezeichnet das Papier all jene, die durch ein sicheres Transitland unterwegs waren. Sämtliche Bootsankömmlinge wären damit grundsätzlich illegal. Dabei erhalten derzeit viele von ihnen, darunter politisch Verfolgte aus Afghanistan und Iran, am Ende ihres oft jahrelangen Verfahrens Asyl.

Asylbewerber nach Ruanda

Die Regierung verweist auf bestehende Programme, die Menschen aus Hongkong, Afghanistan und der Ukraine die legale Einreise ermöglichen. Ministerin Braverman kam bei einer Anhörung des Innenausschusses ins Stottern, als ihr ein Parteifreund den Fall eines minderjährigen Flüchtlings „aus einem ostafrikanischen Land“ – gemeint war wohl Sudan – vorlegte. Für solche Menschen gebe es eben keinerlei Möglichkeit, auf „legalem“ Weg ins Land zu kommen, resümierte der Brexiteer und Tory-Rechtsaußen Tim Loughton – die Ministerin wusste keine Antwort.

Timothys Bericht schlägt auch vor, grundsätzlich nicht mehr als 20.000 Asylbewerber pro Jahr aufzunehmen. Neue Gesetze sollen die dauerhafte Internierung und Abschiebung „Illegaler“ ermöglichen; notfalls müsse das Königreich, einer der Gründerstaaten des Europarats, die Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg verlassen. Dieser hatte im Juni in letzter Minute den ersten Abschiebeflug von Asylbewerbern nach Ruanda untersagt. In dem zentralafrikanischen Land, dessen Menschenrechtslage von Beobachtern kritisch beurteilt wird, sollen alleinreisende junge Männer Aufnahme und die Möglichkeit einer neuen Existenz finden. Eine Rückkehr nach Großbritannien wäre ausgeschlossen.

Eindeutig abgelehnt wird in Regierungskreisen hingegen ein anderer Vorschlag Timothys, nämlich die Einführung von Personalausweisen. So etwas sei mit alten britischen Freiheitsrechten nicht vereinbar. Dabei leben nach seriösen akademischen Schätzungen bis zu 745.000 Menschen illegal auf der Insel; allein in der Hauptstadt London soll ihre Zahl knapp 400.000 betragen.

Erasmus
6. Dezember 2022 - 12.12

Alles Bluff, genau wie die Push-back-boats, die Wellenmaschinen und die Ruanda-Deportationen wird all das niemals eintreten. Alles nur Wischiwaschi um den Job zu sichern.

Grober J-P.
6. Dezember 2022 - 10.15

"44.000 Menschen in Schlauchbooten." Ist schon heftig. Gregory aus Manchester vertseht es auch nicht, dass ein Einwandererkind anderen Einwanderer die Einreise fast unmöglich machen will.

JJ
6. Dezember 2022 - 9.30

Diese Dame scheint doch auch einen Migrationshintergrund zu haben. Aber das ist längst vergessen. Selig die die es geschafft haben.