Interpol missbraucht?In Serbien inhaftierter Lukaschenko-Kritiker fürchtet Auslieferung nach Weißrussland

Interpol missbraucht? / In Serbien inhaftierter Lukaschenko-Kritiker fürchtet Auslieferung nach Weißrussland
Der weißrussische Diktator lässt Regimekritiker offenbar via Interpol im Ausland suchen Foto: Handout/Belarusian presidential press service/AFP

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Wegen angeblicher Steuervergehen wird der Regimekritiker Andrej Gnjot von der weißrussischen Justiz gesucht. Aufgrund eines Interpol-Haftbefehls ist der Videoproduzent im Herbst in Serbien verhaftet worden: Verzweifelt kämpft der Dissident gegen seine drohende Auslieferung.

Zur Produktion eines Werbevideos war der weißrussische Dissident Andrej Gnjot im Oktober aus seinem thailändischen Exil nach Serbien geflogen. Ein Interpol-Haftbefehl wegen angeblicher Steuervergehen droht den 42-jährigen TV-Produzenten nun aus dem EU-Anwärterstaat in die berüchtigten Straflager des weißrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko zu befördern.

„In Weißrussland erwartet mich der Foltertod“, warnte der seit über vier Monaten verhaftete Gnjot bei seiner Anhörung vor dem Belgrader Berufungsgericht Mitte Februar seine Richter vor der drohenden Auslieferung: „Mein Leben liegt in Ihren Händen.“

Wird Interpol von autoritären Regimes zur Verfolgung von Dissidenten, Oppositionellen und politischen Gegnern im Exil missbraucht? Die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit bei der Fahndung nach kriminellen Straftätern ist das Ziel der im französischen Lyon ansässigen Polizeiorganisation mit weltweit 196 Mitgliedstaaten. Gleichzeitig hat sich Interpol zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet.

Die Justizbehörden der an Interpol angeschlossenen Staaten müssen sich bei der Verhaftung von mutmaßlichen Straftätern auf die übermittelten Ermittlungsdaten verlassen können: Grundsätzlich werden politisch motivierte Anklagen daher nicht zur Interpolfahndung ausgeschrieben.

Rund 1.000 Fahndungsgesuche pro Jahr werden von Interpol zurückgewiesen – rund ein Zehntel der von den Mitgliedstaaten eingereichten Anträge. Doch die kontroverse Inhaftierung und drohende Auslieferung von Gnjot wirft erneut die Frage nach der Effizienz der internen Kontrollmechanismen und der Mitverantwortung von Interpol bei der Verfolgung politischer Gegner unter dem Deckmantel vermeintlicher Wirtschaftsstraftaten aus.

Inhaftierung ist kein Einzelfall

Offiziell ist Gnjot der Steuerhinterziehung in Höhe von rund 300.000 Euro angeklagt, der er sich in den Jahren 2012 bis 2018 schuldig gemacht haben soll. Nicht nur die Tatsache, dass das der Anklage zugrunde liegende Gesetz erst 2019 verabschiedet wurde, hätte Interpol stutzig machen können.

Erst im September 2023 wurde der Mitbegründer der „Freien Sportlerorganisation Belarus“ (SOS By) von der weißrussischen Justiz zur Fahndung ausgeschrieben, obwohl er sein Land nach der niedergeschlagenen Protestwelle gegen die verfälschte Präsidentschaftswahl 2020 wegen Hinweise auf seine drohende Verhaftung bereits im Juni 2021 verlassen hatte. Das Regime in Minsk nutze die Interpol-Fahndung als Mechanismus, um politischer Gegner im Ausland habhaft zu werden, so seine Verteidiger.

Tatsächlich scheint die Inhaftierung von Gnjot kein Einzelfall. „Wir werden Dich finden“, ist der Titel des Ende Februar veröffentlichten Reports der Menschenrechtsorganisation „Human rights watch“ über die Anstrengungen autoritärer Regierungen weltweit, politische Gegner auch im Exil zu verfolgen („We Will Find You“: A Global Look at How Governments Repress Nationals Abroad | HRW): Ausführlich geht der Bericht dabei auch auf den gezielten Missbrauch von Interpol-Fahndungen ein.

Gnjot befürchtet, in Haft zu sterben

Laut Darstellung seiner Verteidigung hatte Gnjot mit zwei der vier Firmen, die in der Anklage genannt werden, geschäftlich überhaupt nichts zu tun. Der von der Anklage aufgeführte Hauptbelastungszeuge sei zudem 2016 verstorben.

Doch obwohl die Anklage offensichtlich auf zweifelhaften Grundlagen fußt und die Verteidigung die Tilgung seines Dossiers aus dem Interpol-Datenbestand beantragt hat, könnte Gnjot schon bald ausgeliefert werden. Ein Grund: Obwohl sich Serbien den 2021 verhängten EU-Sanktionen gegen Weißrussland angeschlossen hat, pflegt der russophile EU-Beitrittskandidat enge Bande mit dem Regime in Minsk.

Anfang Januar hat Serbiens Hoher Gerichtshof dem Auslieferungsgesuch in erster Instanz stattgegeben. In seiner Zelle wartet Gnjot nun auf das Urteil der Berufungskammer. Wenn er von dem EU-Anwärter ausgeliefert werde, drohe ihm dasselbe Schicksal wie dem russischen Dissidenten Alexej Nawalny, fürchtet Gnjot: „Ich werde genauso wie er eliminiert.“

Dan
5. März 2024 - 10.29

Und wieder politisch motivierter Missbrauch von einem Autokraten!