„Verschenkte Generation“

„Verschenkte Generation“

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Die Forscher im Euro-Krisenland Spanien stehen vor schweren Zeiten. Der Bereich der Wissenschaften ist von den Einsparungen im Staatshaushalt besonders stark betroffen. So manchen spanischen Wissenschaftler treibt es ins Ausland.

Das Leben von Amaya Moro-Martín steht fein säuberlich abgeheftet und sortiert in zwei prall gefüllten Ordnern. 700 Seiten. „Das ist nutzloses Papier. All diese Dokumente, Zeugnisse und anderen Nachweise hätte ich für die Stelle gebraucht, die mir vor fünf Jahren zugesichert wurde“, erzählt die 38-jährige Spanierin in ihrem Büro des Astrobiologischen Zentrums in der Nähe von Madrid. Es ist eines der 130 Zentren des CSIC, der größten staatlichen Forschungseinrichtung des Landes.

Amaya Moro-Martín

Nach elf Jahren im Ausland kehrte die Astrophysikerin 2008 mit einem Postdoktoranden-Stipendium nach Spanien zurück. Das Programm sollte Forscher wie Moro-Martín zurückgewinnen und langfristig an die Heimat binden. Die damalige Ausschreibung versprach auch die Schaffung einer festen Stelle für ihr Profil. Doch ihr Zentrum steckt wie die spanische Forschung allgemein tief in der Krise, und der versprochene Posten wurde dann doch nicht geschaffen.

Die öffentlichen Forschungseinrichtungen in Spanien schreiben kaum noch feste Stellen aus: Nach einer Aufstellung der Initiative „Investigación digna“, zu der sich mehrere Verbände zusammengeschlossen haben, waren es im Jahr 2007 noch 681, jetzt sind es nur noch 15. Nach Berechnungen des Dachverbandes der spanischen Wissenschaftsvereine (Cosce) hat die Regierung das Forschungsbudget seit Beginn der Krise um fast 40 Prozent gekürzt. Ausschreibungen werden verschoben, Genehmigungen von Anträgen ziehen sich bis zu ein Jahr hin. Viele Forscher sitzen auf heißen Kohlen und finanzieren laufende Projekte aus der eigenen Tasche.

Wissenschaftler forschen unentgeltlich

Einige Wissenschaftler erhalten Arbeitslosengeld, forschen aber weiter. „Stillschweigend, denn legal ist das nicht“, berichtet Moro-Martín. Erst kürzlich veröffentlichte die Tageszeitung „El País“ den Fall einer jungen Spanierin, die an ihrer Universität anderthalb Jahre ohne Bezahlung forschte, nachdem die Regierung die Finanzierung ihres Projekts eingestellt hatte.

Der Anteil der Staatsausgaben für Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt lag in Spanien nach Angaben des EU-Statistikamts Eurostat im Jahr 2011 bei 1,33 Prozent. Moro-Martín meint, Spanien müsse trotz der Krise in Wissenschaft und Forschung investieren. Nur so könne erreicht werden, dass die Wirtschaft auf lange Sicht wettbewerbsfähig sei. „Doch die Politik setzt weiterhin auf Bau und Tourismus“, beklagt die 38-Jährige.

Demgegenüber betonte Wirtschaftsminister Luis de Guindos: „Die Kürzungen waren schmerzhaft, aber notwendig. Wir müssen mit weniger Geld mehr erreichen.“ Im kommenden Budget wolle die Regierung Forschung und Entwicklung aber stärker berücksichtigen und zum Hebel des wirtschaftlichen Wachstums machen.

„Intelligenzflüchtlinge“

In der Zwischenzeit packen jedoch Forscher wie Moro-Martín die Koffer. Offizielle Zahlen zu „Intelligenzflüchtigen“ gibt es nicht. Nach einer Umfrage der Zeitung „El Periódico“ unter 400 spanischen Forschern im Ausland denkt nur jeder Zehnte an eine Rückkehr.

Einige Wissenschaftler kehren der Forschung ganz den Rücken. Dazu gehört der Zellbiologe Ignacio Blanco. Nach Ablauf seines Vertrages an einem öffentlichen Forschungszentrum beschloss er, einen anderen Weg einzuschlagen. „Der ständige Kampf um Projekte und Gelder, die Zahlungsverzögerungen und die finanzielle Unsicherheit nehmen einem auf die Dauer alle Motivation“, berichtet der 30-Jährige. Er lässt sich nun weiterbilden und will sich dann einen Job in der Privatwirtschaft suchen.

Die Früchte tragen andere Staaten

In Spanien sprechen manche von einer „verlorenen Generation von Forschern“. Aber Moro-Martín sieht das anders. „Es ist vielmehr eine Generation, die sich verschenkt, denn viele Forscher arbeiten gratis“, meint die Wissenschaftlerin. „Zugleich ist es eine geschenkte Generation; denn die Früchte der in Spanien ausgebildeten Forscher tragen häufig andere Staaten.“

Für die Astrophysikerin endet im Dezember das Kapitel „Spanien“ in ihrem Leben. Die 38-Jährige wird ab Januar 2014 in einem Forschungszentrum der US-Weltraumbehörde Nasa in Baltimore arbeiten. Zurückkommen würde sie gerne, sagt sie. Aber große Hoffnungen habe sie nicht.