„Sorgen der Menschen ernst nehmen“

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Nach Ansicht des sozialistischen Spitzenkandidaten bei der Europawahl sollte TTIP ohne außergerichtliches Verfahren auskommen. Ein Gespräch mit Martin Schulz.

Tageblatt: Erstmals führen Politiker einen transeuropäischen Wahlkampf. Geht das überhaupt?

Martin Schulz: „Ja!“

Welche Schwierigkeiten treten dabei auf?

M. S.: „Die größten Schwierigkeiten sind die sprachlicher Natur. Man muss in 28 Staaten versuchen die Sprachbarrieren zu überwinden. Wir haben eine Reihe von Ländern, die haben eine gemeinsame Sprache, da geht es leichter. Man kann sich in vielen Ländern mit Englisch und Französisch helfen, manchmal mit Deutsch.

Alle anderen Probleme sind lösbar. Insbesondere für uns Sozialdemokraten gibt es in diesem Wahlkampf die Erfahrung, dass es Themen gibt, die in allen Ländern die Leute gleichermaßen berühren. Zum Beispiel die Jugendarbeitslosigkeit ist ein Thema, das Menschen aufwühlt, auch in Ländern, in denen es sie in dem Maße gar nicht gibt.“

Sollte als nächster logischer Schritt aus dem Experiment, Spitzenkandidaten aufzustellen, der EU-Kommissionspräsident bei einer der nächsten Europawahlen direkt gewählt werden?

M. S.: „Ich hätte da nichts dagegen.“

Sollte von den Spitzenkandidaten der zweitplatzierte den Vorsitz des Europäischen Rates übernehmen?

M. S.: „Ich glaube, das ist eine Frage, die man frühestens nach der Wahl anpacken kann. Ich bewerbe mich jedenfalls um das Amt des Kommissionspräsidenten und nicht um ein anderes Amt. Was nach der Wahl geschieht, hängt ja auch von der Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ab.“

Was wurde in den letzten Krisenjahren richtig gemacht, was hätten Sie anders gemacht?

M. S.: „Die Investitionen in Wachstum und Beschäftigung sind viel zu kurz gekommen. Wir brauchen Investitionen in die digitale Infrastruktur, in die Entwicklung eines eigenen europäischen digitalen Marktes. Wir brauchen Investitionen in die Energienetze, um die Energie in Europa besser verteilen zu können und unabhängiger zu werden von Energieimporten. Das hätte alles in enormer Weise Arbeit schaffen können. Die Kreditklemme für kleine und mittlere Unternehmen, die Tatsache, dass Banken, teilweise solche, die vom Staat gerettet worden sind, sich für ein Viertelprozent Zinsen Geld von der EZB holen, es aber nicht in die Realwirtschaft investieren, sondern schon wieder damit spekulieren, das war absehbar. Wir hätten beim Kampf für mehr Steuergerechtigkeit viel mehr tun können. Jedes Jahr geht dem Fiskus eine Billion Euro durch Steuerflucht und Steuervermeidung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union verloren. Stellen Sie sich vor, man hätte das Geld, was könnte man damit machen.“

Was soll nach der Bankenunion weiter geschehen, um die Wirtschafts- und Währungsunion auszubauen?

M. S.: „Ich glaube, dass wir mit der Bankenunion einen großen Schritt getan haben, die Verantwortung und das Risiko wieder in eine Hand zu legen. Was wir jetzt brauchen, ist der Ausgleich dessen, was wir makroökonomische Ungleichgewichte nennen. Die ungleichgewichtige Entwicklung in der Eurozone, also manche Länder, die hohe Wachstums- und Einnahmenraten haben, andere Länder, die überhaupt kein Wachstum haben, wo es eine Deflationsgefahr gibt, das müssen wir ausgleichen. Dazu ist die Vertiefung der ökonomischen Koordination sicher erforderlich.“

Um was soll sich die Europäische Union in Zukunft mehr, um was weniger kümmern?

M. S.: „Sie soll sich um den Handel kümmern, um die Steuerflucht, um Migrationsfragen, die immer drängender werden. Wir sollten uns um die Energiepolitik kümmern. Wir müssen uns ganz sicher um den Kampf gegen den Klimawandel bemühen. Wir müssen in Forschung und Entwicklung investieren. Der technologische Vorsprung, den wir heute noch haben, ist die entscheidende Wegmarke im 21. Jahrhundert. Wir müssen uns auf Beschäftigung und Qualifizierung konzentrieren. Was wir nicht brauchen, sind Regelungen, die man besser lokal oder regional machen könnte.“

Wer garantiert den EU-Bürgern, dass sie auf Dauer mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen nicht doch an Rechten und Schutz verlieren?

M. S.: „Diejenigen, die sorgsam darauf achten werden, dass die Verbraucherschutz- und Umweltrechte, die individuellen Grundrechte wie die sozialen Rechte nicht unterminiert werden mit dem Vorwand, man müsse Standards absenken, damit man mit den Amerikanern Handel auf gleicher Augenhöhe betreiben kann. Es gibt ja auch die Möglichkeit, dass wir von den USA verlangen, dass sie ihre Standards nach oben korrigieren. Ich glaube, dass wir keine außergerichtlichen Verfahren brauchen. Die Investitionsschutzabkommen, die in der Vergangenheit geschlossen worden sind, sind geschlossen worden, um europäische Investitionen in Staaten, die keinen ausgebauten Rechtsstaat haben, zu schützen. Die USA aber sind ein Rechtsstaat, deshalb ist ein solches Verfahren nicht nötig.“

Das komplette Interview lesen Sie in der Freitagausgabe des Tageblatts.