Rechtsradikale marschieren wieder

Rechtsradikale marschieren wieder
(dpa)

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Weil in Ungarn die Rechtsradikalen mobilisieren, leben viele Roma in Angst. Mit einem Aktionsplan will die EU-Kommission die Lage der Roma in Europa verbessern.

Es duftet nach Frühling in Hejöszalonta. Vor ihrer Tür steht Magda Orban (62) und plaudert mit Otilia Illes (40), der Nachbarin von gegenüber. Otilia ist eine Roma-Frau, Magda eine sogenannte weiße Ungarin. Und beide schimpfen sie darüber, dass an diesem Tag die rechtsradikale ungarische Partei Jobbik hier in Hejöszalonta eine Hass-Kundgebung gegen Roma abhalten will.

Das friedliche Hejöszalonta könnte im Grunde als positives Modell dienen für all jene, die derzeit Pläne schmieden für den Umgang mit Europas größter Minderheit. Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft hat einen Aktionsplan zur Verbesserung der Lage der etwa zwölf Millionen europäischen Roma initiiert, den die EU-Kommission an diesem Dienstag in Straßburg und dann am Freitag auch in Budapest vorstellen will. Es geht darum, die historisch gewachsene Benachteiligung dieser Volksgruppe zu beseitigen.

Hass schüren

Ungarische Rechtsradikale schüren derweil Hass gegen die Roma – auch an Orten, an denen sie kaum Anhänger haben. „Wozu soll das gut sein?“, entrüstet sich Magda, „wo wir doch hier friedlich nebeneinander leben“. Ihre Freundin Otilia sagt: „Nie gab es hier Probleme“. Und: „Der Mörder“ sei gar nicht von hier gewesen, sondern ein Zugewanderter. Die Rede ist von einem Tötungsdelikt, das sich jüngst in Hejöszalonta zugetragen hat. Den polizeilichen Ermittlungen zufolge dürfte es sich um eine Affekttat im Alkoholrausch handeln, wie sie überall passieren kann. Doch Jobbik nutzt sie für ihre Propaganda: Der Täter sei ein Roma, behaupten die Rechtsradikalen.

„Fast jeden Tag wird in Ungarn jemand von einem Roma umgebracht“, behauptet auch Oszkar Juhasz. Er ist Ortsvorsitzender der Jobbik im Dorf Gyöngyöspata, das etwa 100 Kilometer weiter südwestlich liegt. Juhasz hat Anfang März die faschistische „Bürgerwehr“ gerufen, die unter dem Namen „Szebb Jövöért“ firmiert.

„Stinkende Roma“

„Szebb Jövö“ („Schönere Zukunft“) ist der Gruß der alten und neuen Nazis in Ungarn. Mehr als drei Wochen lang „patrouillierten“ die Uniformierten dieser „Bürgerwehr“ durch den 2800-Einwohner-Ort. Bei einem Fackelzug zusammen mit Jobbik durch das Roma-Viertel grölten sie: „Kommt heraus, stinkende Roma“. Etliche Roma-Familien flüchteten daraufhin zu Verwandten in Nachbarorte.

„Wir sind keine Rassisten», beteuert Juhasz. „Szebb Jövöert“ habe nichts anderes getan als andere „Bürgerwehren“: bei Verdacht auf Gesetzesbrüche die Polizei alarmiert. In Gyöngyöspata hätten die Diebstähle überhandgenommen, Roma würden die anderen Bewohner durch Betteln belästigen. Und auch hier gibt es eine Legende, die zur Hetze benutzt wird: Ein alter Mann, der in der Nähe des Roma-Viertels wohnt, hat sich jüngst das Leben genommen. Die Rechtsradikalen behaupten, Belästigungen durch die Roma seien der Grund gewesen.

Viel monopolisiert

Jobbik war vor einem Jahr in Ungarns Parlament eingezogen, drückt aber dort die Oppositionsbank. Die Regierungspartei FIDESZ hat viele nationalistische Themen für sich monopolisiert und ist dabei, mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit das Land eigenständig umzugestalten. Um Jobbik hingegen war es zuletzt eher still geworden. Wohl deshalb will sich Jobbik nun stärker profilieren – über das Roma-Thema.

Der Jobbik-Fackelzug in Hejöszalonta ist dank massiver Polizeipräsenz ohne Randale zu Ende gegangen. Die Beamten hatten Berührungen der Neonazis mit einer Gegendemo verhindert, die Bürgerrechtler im Roma-Viertel organisiert hatten. Spontan schloss sich Bürgermeister Jozsef Anderko den Roma-Freunden an. Dazu musste er sichtlich seinen ganzen Mut zusammennehmen. Der Rathauschef ist parteilos und grundsätzlich vorsichtig. Zwar konnte er die Jobbik-Demo rechtlich nicht verhindern. Aber gegen den Strich war sie ihm sehr wohl gegangen. Denn zwischen den rund 300 Roma und den rund 500 Nicht-Roma in seinem Dorf gebe es keine Probleme. „Nur ab und zu Zank über den Gartenzaun“, sagte Anderko.

Ziel erreicht

Zwei Tage später ist die Ruhe in Hejöszalonta dennoch dahin. „Jobbik hat ihr Ziel erreicht, nämlich Hysterie zu stiften“, sagte Anderko am Montag ungarischen Medien. Die meisten Eltern würden ihren Nachwuchs plötzlich nicht mehr in den Kindergarten lassen, weil die Erzieherin am Jobbik-Fackelzug teilgenommen habe. Sie wollen eine Beschwerde beim Arbeitgeber der Pädagogin einlegen. Er selber werde Jobbik anzeigen, sagte Anderko. Denn die Partei habe den Strom für die Bühnentechnik bei der Anti-Roma-Kundgebung illegal vom Rathaus abgezapft. Eine Kleinigkeit? Für den Rathauschef ist auch dieser Streit mit Jobbik ein Akt der Courage. Es geht ihm um das große Ganze, wie vielen Ungarn.