Rauer Ton im britischen Parlament

Rauer Ton im britischen Parlament
(Reuters/Handout)

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Die "Prime Minister's Questions" sind in Großbritannien der Höhepunkt der Parlamentswoche. Doch die britische Fragestunde hat auch ihre Schattenseiten.

„Order, Ooorder“, ruft John Bercow. Der Parlamentspräsident des Unterhauses, oder „Speaker of the House“, wie es in Großbritannien heißt, will das Geschrei der Parlamentarier übertönen. Vergeblich. Schließlich springt er auf, schüttelt den Kopf und wendet sich an einen der Abgeordneten: „Sie sind wirklich ein leicht erregbares Individuum. Sie sollten 1.000 Mal schreiben müssen: Ich werde mich bei den Prime Minister’s Questions benehmen.“

Wenn sich das britische Unterhaus einmal in der Woche zu der Fragestunde des Premierministers trifft, kommt es immer wieder zu Szenen wie dieser. Ohne persönliche Angriffe und Zwischenrufe läuft keine Sitzung ab, ständig unterbrechen laute „Ayes“ und „Nays“ die Antworten des Premiers, der versucht, das Regierungsprogramm zu verteidigen. Anders war das auch nicht bei der ersten Befragung der neuen Premierministerin Theresa May vor wenigen Wochen – verantwortlich war sie dafür aber auch selbst.

„Für viele ist es ein großes Spektakel“

Zwar kündigte sie noch zu Beginn der halbstündigen Parlamentssitzung im Westminster Palace an, bei den Fragestunden ernste und relevante Themen debattieren zu wollen. Doch fünf Minuten später griff May Oppositionsführer Jeremy Corbyn frontal an. Er höre seinen Mitarbeitern nicht zu, lasse sie Überstunden machen und missbrauche die Parteistrukturen, um sich zu profilieren.

Kaum verwunderlich: Es sind genau diese Angriffe und scharfen Wortwechsel zwischen Premierminister und Opposition, die die „Prime Minister’s Questions“ bei vielen Briten beliebt machen. Seit 1990 überträgt die BBC jede Fragestunde live im Fernsehen – und sogar in den Vereinigten Staaten werden die Sitzungen gezeigt. „Man kann die Befragungen des Premiers mit einem Spiel seiner Lieblingsmannschaft vergleichen. Du willst sehen, ob das Team gewinnt oder verliert“, sagt Stephen Bates, Politikwissenschaftler an der Universität Birmingham. „Für viele ist es ein großes Spektakel.“

„Nur noch eine Möglichkeit, Beleidigungen auszutauschen“

Allerdings steht das britische Modell auch in der Kritik. Der derzeitige Speaker des Unterhauses, John Bercow, beschwerte sich in einem Interview mit dem Radiosender „Radio 4“ über das „theatralische Getue“ und die „Kakofonie des Lärms“ während der Fragestunde. Der frühere Chef der „Liberal Democrats“, Menzies Campbell, sagte der BBC: „Früher konnte man eine ernste Frage stellen und eine ernste Antwort bekommen, aber heutzutage ist es nur noch eine Möglichkeit, Beleidigungen auszutauschen.“

Auf die Spitze getrieben hat das der nach dem Brexit-Votum zurückgetretene konservative Premierminister David Cameron. Zum Beispiel nannte er den ehemaligen Schattenkanzler Edward Balls einen „brabbelnden Idioten“, die Labour-Abgeordnete Angela Eagle kanzelte er mit dem Satz ab „Beruhige dich, Schätzchen!“.

Und dem aktuellen Labour-Chef Jeremy Corbyn empfahl er: „Um Gottes Willen, hau ab!“ Wegen solcher Aussagen haben einige Abgeordnete dem Politikwissenschaftler Stephen Bates zufolge schon aufgehört, zu der wöchentlichen Sitzung am Mittwoch zu kommen: „Sie empfinden es als reine Zeitverschwendung.“

Dass sich mit Theresa May als Premierministerin etwas an dieser Diskussionskultur ändern könnte, scheint nach ihrer ersten Fragestunde unwahrscheinlich.