Obama mutiert zum zweiten Bush

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Veränderung war Barack Obamas großes Versprechen, als er 2008 Präsident werden wollte. Nach zweieinhalb Jahren im Amt sieht er seinem Vorgänger immer ähnlicher.

Jeder Kandidat, der sich für ein politisches Amt bewirbt, betont im Wahlkampf normalerweise Unterschiede zu seinem Vorgänger und verspricht Veränderung. Trotzdem klang Barack Obamas Slogan „Change we can believe in“ (Veränderung, an die wir glauben können) 2008 nicht wie ein hohles Versprechen. Weite Teile der USA und der Welt lechzten nach acht Jahren George W. Bush nach Veränderung. Obama versprach sie und wurde gewählt. Wenn er nächstes Jahr erneut antritt, wird er sich einen neuen Schlachtruf suchen müssen. Die Veränderung im Vergleich zu seinem Vorgänger ist vielerorts sehr bescheiden ausgefallen. „Yes we can“ erhält vor diesem Hintergrund eine ganz neue Bedeutung.

Die ersten Anzeichen kamen im April 2009, gerade einmal drei Monate nach Obamas Amtseinführung. Sein Justizministerium nahm damals Stellung zu einer Klage gegen die Bush-Regierung, die im Rahmen des Antiterrorkriegs ohne Gerichtsbeschluss Telefongespräche von Millionen von unbescholtenen Bürgern hatte abhören lassen. Entgegen früherer Versprechen von führenden demokratischen Senatoren zeigte sich Obama nun nicht willens, gegen ehemalige Mitarbeiter der Bush-Regierung vorzugehen. Der Schutz von „Staatsgeheimnissen“ und der „nationalen Sicherheit“ hätten Vorrang, hieß es in bester Bush-Manier.

„Déjà-vu“, kommentierte das US-Magazin „Salon“. Damit nicht genug: Aufgrund der sogenannten „souveränen Immunität“ erklärte das Justizministerium Klagen gegen illegale Abhöraktionen der US-Regierung grundsätzlich für unmöglich, es sei denn, die abgehörten Gespräche würden «willentlich veröffentlicht». Die US-Regierung kann also nach Belieben Anrufe und E-Mails abfangen – obwohl dies illegal ist – und der Bürger kann nichts dagegen unternehmen.

Der „imperiale“ Präsident

Auch im Libyenkrieg zeigte sich Obama als der grössere Hardliner als sein Vorgänger. Dieser hatte zwar Afghanistan und den Irak angreifen, den Einsatz im Nachhinein aber vom Parlament absegnen lassen. Der Präsident ist laut Verfassung der Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte, doch einem Land den Krieg zu erklären, obliegt dem Parlament. In Krisensituationen darf der Präsident während maximal drei Monaten ohne Zustimmung der Legislative Krieg führen. Das war in Libyen allerdings nicht gegeben, weil weder amerikanische Truppen, Zivilisten noch Interessen direkt angegriffen wurden. Die renommierte Fachzeitschrift „Foreign Policy“ sprach von einem „imperialen Präsidenten“, der „zu Hause wie im Ausland zunehmend unabhängig vom Parlament handelt“.

Die vermutlich spektakulärste Kehrtwende Obamas war die Wiederaufnahme der umstrittenen Militärprozesse im Gefangenenlager Guantánamo im vergangenen März. Dessen Schliessung hatte er im Wahlkampf versprochen und zu Beginn seiner Präsidentschaft angekündigt. Nach zwei Jahren gestand er sein Scheitern ein und erklärte mit einer Verfügung die zeitlich unbegrenzte Inhaftierung von Häftlingen ohne Anklage für rechtens.

Pressefreiheit unter Druck

Ende April folgte der nächste Schock: Obamas Justizminister Eric Holder teilte mit, dass er James Risen, einen Journalisten der „New York Times“, gerichtlich zur Offenlegung seiner Quellen zwingen will. In seinem 2007 erschienenen Buch „Kriegszustand: Die geheime Geschichte der CIA und der Bush-Regierung“ enthüllte dieser einen Plan des US-Auslandgeheimdienstes aus dem Jahr 2000, dem Iran eine fehlerhafte Anleitung zum Bau von Atomwaffen unterzujubeln. Ein russischer Atomwaffenexperte und Überläufer sollte den Iranern die Baupläne übergeben. Die Aktion scheiterte schliesslich spektakulär.

Im Januar 2008 lud bereits die Bush-Regierung Risen vor. Zu gern hätte sie erfahren, wer ihm diese streng geheimen Informationen gesteckt hatte. Jetzt will es auch die aktuelle Regierung versuchen. Dabei müsste Obama den investigativen Journalismus eigentlich schätzen: Ohne die Empörung über die von den Medien aufgedeckten Skandale der Bush-Regierung (Folter, Abu Ghraib, Lauschangriff, Irak-Lügen) wäre er vermutlich nie Präsident geworden, kommentierte das US-Magazin „The Atlantic“.

Kiffer sind auf der Hut

Obamas jüngster Wortbruch betrifft die Drogenpolitik. Im Wahlkampf 2008 hatte er versprochen, in Staaten, die Cannabis legalisiert haben, nicht gegen Konsumenten vorzugehen. In den USA ist die Rechtslage diesbezüglich unklar, weil parallel zur Legalisierung in einigen Staaten weiterhin ein Bundesgesetz besteht, das Cannabis verbietet. Unter der Bush-Regierung waren deshalb Hausdurchsuchungen und Festnahmen durch Bundespolizisten keine Seltenheit. Inzwischen hat auch Obamas Justizministerium seine Haltung relativiert: Wer Cannabis von einem Arzt verordnet bekommt und in einem Bundesstaat lebt, wo diese Praxis legal ist, hat nichts zu befürchten. Wer diesen Leuten die Droge verkauft, hingegen schon.

Inwieweit Obama die Enttäuschung über seine Politik der gebrochenen Versprechen zu spüren bekommt, wird sich anlässlich der Wahlen 2012 zeigen. Immerhin hat er sich mehrheitlich in die politische Mitte der USA bewegt, was ihm die entscheidenden Stimmen der parteilosen Wähler sichern könnte. Sollten aber junge und progressive Wähler im Gegensatz zu 2008 in Scharen zu Hause bleiben, könnte sein Plan auch schiefgehen.