Zeitzeugen und der „europäische Riese“

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Staatsminister Pierre Werner wurde am 29. Dezember 1913 in Saint André bei Lille als Kind Luxemburger Eltern geboren. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zu seinem hundertsten Geburtstag fand am Dienstag eine akademische Sitzung statt.

Am Mittwochabend gaben Zeitzeugen und Familienmitglieder im Rahmen eines Rundtischgespräches in der Abtei Neumünster einen Einblick in sein Leben und Schaffen. Veranstaltet worden war die Gesprächsrunde vom Centre virtuel de la connaissance sur l’Europe (CVCV) und dem Institut Pierre Werner.

Die Generaldirektorin unseren Medienhauses, Danièle Fonck, moderierte das Gespräch, an dem die ehemalige Vize-Präsidentin der Regierung Colette Flesch, Finanzminister Luc Frieden, Ehrenstaatsminister Jacques Santer, der Ehrenpräsident der BEI, Sir Brian Unwin, SES-Präsident René Steichen sowie die Tochter und der Sohn von Pierre Werner, Maria-Anne und Henri teilnahmen (Charles Ferdinand Nothomb Präsident des Cercle Pierre Werner und ehemaliger belgischer Staatsminister ließ sich entschuldigen).

Video-Botschaft

Eine aufgezeichnete Video-Botschaft von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, in der dieser die Verdienste um Europa und seine Währung würdigte, leitete den Abend ein, nachdem Guy Dockendorf (Verwaltungsratspräsident des Institut Pierre Werner) und Marianne Backes (CVCE) das Publikum begrüßt hatten.

Die Erinnerungen der Teilnehmer am Gespräch an Pierre Werner waren reich und frisch, so dass die Moderatorin sich eigentlich auf wenige Fragen beschränken konnte: die früheren Politiker und natürlich die Familienangehörigen lieferten einen Eindruck des Politkers, der über das allgemeine biographische Wissen um den Staatsmann herausreichte.

Klavierspieler und Claudel-Leser

So war zu erfahren, dass den „Här Werner“, wie er von den Bürgern des Landes mit gewissem Respekt genannt wurde, ein kultivierter Klavierspieler und Freund der Literatur, sich gerne in seinem Garten beschäftigte, den Euro (oder ehemals ECU) praktisch als Lebensziel hatte und gerne mit jungen Menschen sprach und diese unterstützte. Auch der gläubige Christ Werner, der schon einmal Tripartite-Runden schwänzte, um am Karfreitag zur Messe zu gehen, war ein Aspekt seines Wesens, aus dem sich ein gewisser Sinn für Gerechtigkeit ergab.

So erlebte Colette Flesch ihren Regierungskollegen so gar nicht „amused“, als die Belgier in den frühen Achtzigern entgegen jeder Abmachung den gemeinsamen Franken um 15 Prozent abwerteten, ohne die Luxemburger Politik über diese Absicht zu informieren.

Wenig bekannt ist auch die Rolle seiner Ehefrau gewesen, die offensichtlich großen Einfluss auf den Christdemokraten hatte.

Interessante Aussagen

Interessant waren auch die Aussagen seines Nachfolgers als Staatsminister, Jacques Santer, der eine Charakterwandlung in der Oppositionszeit des Politikers ausmachte.

Vorher sei er streng gewesen und habe gern eine gewisse Autorität ausgestrahlt. Während und nach der Oppositionsphase (1974-79) sei er viel umgänglicher gewesen und habe sich während Wahlkämpfen die Vorzüge eines sonntäglichen Apéros von Santer zeigen lassen.

Ob der „elder statesman“ hier wohl seinem Nachfolger, Jean-Claude Juncker indirekten Trost spenden wollte…
Das Rundtischgespräch wurde integral aufgezeichnet und wird über www.cvce.eu gezeigt werden.