Luxemburg-StadtStadtgeschichte: Ein Rückblick auf verschwundene Gasthäuser

Luxemburg-Stadt / Stadtgeschichte: Ein Rückblick auf verschwundene Gasthäuser
Das 1906 eröffnete Hotel Staar wurde 1968 abgerissen Foto: © Proess, Office national du tourisme

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Immer neue Baustellen, Verkehrsprobleme, Sicherheitsfragen und Geschäftsschließungen kennzeichnen eine jahrzehntelange Geschichte am Bahnhofsplatz. Der Bahnhof sollte eigentlich die Visitenkarte des Landes und der Hauptstadt sein. Die heutigen Probleme sind nicht neu. Sie stellen sich stets immer wieder, nur im Gewand der neuen Zeit. Ein Rückblick auf verschwundene Hotels am Bahnhofsplatz zeigt, wie groß, trotz optimaler Lage, hier die Herausforderungen für Unternehmer sind.

Eigentlich sollte der Bahnhof auf dem Heilig-Geist-Plateau angelegt werden. Davon träumte einst die Stadtverwaltung. Doch der Festungsgouverneur sah das anders. Nach der Analyse von fünf verschiedenen Standorten wurde schließlich die heutige Lage ausgewählt. Die vier internationalen Eisenbahnlinien nach Luxemburg wurden an einem Knotenpunkt zusammengeführt, welcher „sous le contrôle des canons“ stand und somit von der Garnison überwacht war. Der Bahnhof wurde 1859 eingeweiht. Ein modernes Außenfort, das Fort Wedell, wurde im selben Jahr gegenüber dem Bahnhofsgebäude errichtet. Der Bahnhof selbst musste in Holzbauweise ausgeführt sein, um im Falle eines Angriffs niedergerissen zu werden. Die direkte Umgebung gehörte zum „Rayon militaire“. Aus dem gleichen Grund waren hier auch nur Holzbaracken zugelassen. Ihre Zulassung wurde nach der Öffnung 1927 nicht aufgehoben, sodass 1927 der letzte Holzbau am Bahnhofsplatz errichtet wurde. Das „Café de la Gare“ zwischen Hotel International und Hotel Alfa ist 1957 abgebrannt.

Seit 1859 trennt die Eisenbahn Bonneweg von Hollerich. Der viel spätere Bau der Rocade de Bonnevoie, so wichtig sie auch sein mag, hat diese Trennung noch weiter verschärft. Seit der Eröffnung des Bahnhofs behielt der Bahnhofsplatz seine ursprüngliche Funktion als „cour de la gare“. Auch heute bildet er keinen klassischen städtischen Raum. Nach Süden hin ist der Platz nicht abgeschlossen, der Bahnhof selbst steht wie ein „Solitaire“ auf seiner Insel – mit seiner damit verbundenen eigenen Problematik. Der deutsche Städteplaner Josef Stübben hatte bereits 1901 die Anlage des Platzes bemängelt. Es sollte jedoch bis 2005 dauern, bis sich der Architekturwettbewerb „Luxembourg-Gare – un quartier de ville“ mit der Anbindung des Bahnhofs an Bonneweg, und einer neuen Ausrichtung des Bahnhofsplatzes, auseinandersetzt. Die im Jahr 2019 in der Abgeordnetenkammer beschlossenen Ausrichtungen zur Verbindung des Bahnhofsviertels mit Bonneweg versuchen diese bisherige „Inselanlage“ zu überwinden. Die dadurch gewonnene Zentralität wird sicherlich zu einer höheren Lebensqualität der beiden aneinander gewachsenen Viertel beitragen.

Holzbaracken zur Festungszeit

In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs (heute Ecke Avenue de la Gare/rue Neipperg) befand sich bereits eine im Jahr 1857 errichtete Holzbaracke, welche die Witwe Anna Lamarle-Clesse ab 1875 als Restaurant nutzte. Dort, wo sich heute das Hotel Alfa befindet, stand bis 1928 das ebenfalls in Fachwerk gebaute „Chalet Dalle“, welches ab 1871 als Hotel Kessel-Clesse geführt wurde. Daneben befand sich das Chalet Becker, später Hotel Central, dann Hotel Terminus (80, place la Gare). Zur Festungszeit, 1862, diente das Chalet Kessel-Clesse als „Buffet de la Gare“, denn der Postdienst benötigte die Räume des Bahnhofsbuffets bis zum Bau eines eigenen Gebäudes am Bahnhofplatz im Jahre 1872. (Standort des ehemaligen Terminals der städtischen Busse.)

Industrieller Vorort

Nach Auflösung der Festung entwickelte sich der Standort am Bahnhof rasch zum industriellen Vorort der Stadt. Die Grundstücke befanden sich auf dem Gebiet der Gemeinde Hollerich, wodurch die Unternehmen von der städtischen Gütertaxe „Octroi“ befreit waren. Die Geländeaufteilung erlaubte die Ansiedlung großer industrieller Unternehmen wie die „Forges et laminoirs de Luxembourg“, die „Fabrique de meubles d’acier Berl & Cie“, die „Scierie mécanique Xavier de Saint-Hubert“, die Fassfabrik Thierry Ruckert, die Straßenbahn-Gesellschaft, die Champagnerfabrik Eugène Mercier. Große Unternehmen bieten viele Arbeitsplätze: 1889 beschäftige die Firma Mercier 132 Arbeiter*innen.

1882 wurde die Eisenbahnstrecke nach Remich eingeweiht, 1904 folgte die Eröffnung der Verbindung mit Echternach. Diese Schmalspurstrecken mündeten vor dem Bahnhofgebäude ein und verfügten über einen eignen, sehr bescheidenen Bahnhof. Es herrschte demnach reger Verkehr am Bahnhofsplatz; es qualmte, dampfte ohne Unterbrechung bei permanent hohem Geräuschpegel.

1882 legte der französische Ingenieur Edouard André erste Pläne zur städtischen Gestaltung des Bahnhofplatzes vor. Eine große Brunnenanlage und Blumenbeete sollten den industriellen Charakter des Areals vertuschen. Die Planung erfolgte im Rahmen des Baus der Bahnstrecke nach Remich. Weitere Gaststätten siedelten sich in den Jahren 1881 bis 1895 direkt am Bahnhof an: das „Café de la Station“ – das spätere Ems, das „Grand Hôtel des Nations“, das Café-Restaurant Kaiffer-Sturm (später Hotel Kons), das Apollo-Theater – „Casino de la Gare“ (Hotel City), das Hotel Clesse, das „Hôtel d’Anvers“, später Walsheim, das Hotel Berchem, das „Hôtel des Voyageurs“. Der Bahnhofsplatz bot damit eine der Oberstadt gleichen Zimmerzahl!

Öffentliche gegen private Interessen

Erneute Anpassungen des Bahnhofplatzes an den Verkehr stellten hohe Herausforderungen an die Hotelbesitzer. Der zum Zentralbahnhof ausgebaute Eisenbahnknotenpunkt sollte insgesamt sieben Eisenbahnlinien zusammenfügen. Hinzu kommt die hier verkehrende Straßenbahn. Der Bau der Avenue de la Liberté auf Höhe des Bahnhofplatzes verlangte die Enteignung eines größeren Landstreifens zwischen der rue de Strasbourg und der rue Joseph Junck. Erst 1904 war der Straßenverkauf definitiv geklärt.

Bereits 1899 wurde hart zwischen Staat und Hotelbesitzern verhandelt und prozessiert. Nicht allein, dass die Besitzer einen Geländestreifen verloren, der neue Zugang zu ihren Gaststätten forderte nun den Bau von Treppen oder die Verlegung der Eingänge. Zu den Einigungen zwischen Staat und Hotelier gehörten Geländetausch oder Auszahlung. Hotelier Jean Staar erhielt dabei 62.000 Franken, die er zur Errichtung einer Monumentalfassade nutzen durfte. Das 1906 eröffnete Hotel Staar wurde 1968 abgerissen. Kessel-Clesse konnte 1903 auf seinem „zurechtgestutzten Gelände“, dank der Einnahmen der Enteignung, das Hotel Terminus eröffnen (80, place de la Gare). Schimberg-Rennel eröffnete am 16. März 1904 das Hotel International. Das Hotel Kimmel (später „de la Paix“, 60, Avenue de la Liberté) wurde 1914 errichtet. Die „Nei Avenue“ durchquert an dieser Höhe bis dahin zum Teil bereits bebaute Grundstücke.

Erst 1923 wurde der Bahnhofsplatz für die Straßenbahn neugestaltet. Die neue Gleisanlage in Form einer Schleife sorgte für einen flüssigeren Betriebsverlauf. Die „Raquette“ unterstrich die Funktion des Zentralbahnhofs als Terminus und verlieh dem Platz bis 1961 sein Aussehen.

Die Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 veranlasste viele Unternehmer, in Immobilien zu investieren. In den Vorkriegsjahren entstanden so am Bahnhofsplatz oder dessen unmittelbarer Nähe das Hotel Alfa, „Hôtel du Globe“, „Hôtel de Metz“, Hotel Feipel, „Hôtel du Midi“, „Hôtel du Chemin de fer“, „Hôtel des Mille Colonnes“, „Casa Vinicale Italiana“, Hotel Victoria, Hotel Cosmopolite, „Hôtel des Belges“, Hotel Embassy, Hotel Atlanta, „Hôtel du Nord“, Hotel Graas, „Hôtel Sélect“ (heute Hotel Carlton), Hotel Lunkes. Der nationale Hotelführer aus dem Jahr 1938 verzeichnet 973 Hotelzimmer am Bahnhof.

Projekte zur Optimierung des Platzes wurden 1938 vom städtischen Ingenieur Eugène Clement vorgelegt. Das Programm begriff eine Fußgängerunterführung, um Reisende vom Bahnhof unterirdisch bis zu den Hotels Clesse und Alfa zu führen. Wenn auch dieser Plan nicht ausgeführt wurde, so wurde doch die Verbreiterung der Avenue de la Gare im selben Jahr durchgeführt. Dabei verloren das Hotel Staar und das Hotel Clesse ihre Restaurants. Ohne Veranda oder Terrasse hatten diese Lokale völlig ihren Charme verloren. Ab 1939 stand das Hotel Staar zum Verkauf, während im ehemaligen Restaurant Clesse Geschäfte eingerichtet wurden. Beide Häuser waren gegenüber steigender Konkurrenz „in die Jahre gekommen“ und lebten vorwiegend von ihrem Speiselokal. Die ausgezahlten Entschädigungen konnten die Unternehmen nicht retten.

Mehrere Eisen im Feuer

Die Hotels am Bahnhofsvorplatz hatten eigentlich wenig mit Freizeittourismus zu tun. Bis Ende des Ersten Weltkriegs gehörten Viehversteigerungen zum „daily business“. Die Hotels boten große Innenhöfe mit 40 bis 60 Stallungen für Viehhändler. Einzelne Hoteliers stellten gar einen Stallknecht zur Verfügung. Die aus Holland, Belgien und England per Bahn eingeführten Tiere wurden zum Weiterverkauf innerhalb der Zollunion gehandelt. Der „Festsaal“ bot den meisten Hotels, neben ihrem Speiselokal oder Café, weitere Einkünfte: Sonntagskonzerte, Bälle, Immobilienversteigerungen, Vollversammlungen von Kultur- und Sportvereinen oder Fachverbänden, der Gesellschaft für den Bau eines Krematoriums, öffentliche Anlässe, Konferenzen, Ausstellungen und Familienfeste sicherten feste Einnahmen.

Dies erklärt die starke Opposition des „Vereins der Saalbesitzer von Stadt und Land“ gegenüber jedem Versuch, den Vereinen öffentliche Räume zur Verfügung zu stellen. Dass Bankagenturen im Hotel ein „Bureau de change“ betrieben oder im Erdgeschoss des Hotels eine Filiale öffneten, bekräftigt den Charakter des Businesstourismus. Zum Hotelgewerbe gehörten auch die Kundschaft der „Pensionnaires“. Dabei handelte es sich vor allem um Singles, die beruflich in Luxemburg tätig waren und die für längere Zeit im Hotel wohnten. Die Hotels Regina und Cecile (rue Joseph Junck) waren sogar für die Aufnahme von Wirtschaftseinwanderern geplant gewesen.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Hotelbesitzer feste Wohnungen an ihre Kunden weitervermittelten. Manche vermieteten gleich mehrere Zimmer oder gar ein Stockwerk auf längere Zeit. Abnehmer waren ebenfalls Unternehmer, die zeitweise ein Büro vor Ort benötigten. Als weitere Einnahmen für Hotelbesitzer galt die Vermietung von Lokalen im Erdgeschoss ihres Hauses an Zeitschriften- oder Tabakhandel sowie an Friseure. Der Bahnhofsplatz zeigte sich, mit seinem hohen Menschenaufkommen, dazu sehr geeignet. Als willkommene Kundschaft galten ebenfalls Geschäftsreisende, ob Ärzte, Prothesen-, Schmuck oder Antikwarenhändler, Zahntechniker oder Goldhändler. In der lokalen Presse wurde das Publikum über ihre Anwesenheit im Hotel informiert. „Headhunters“ gab es ebenfalls, ob Eisenbahngesellschaft, Verleger oder Brauhaus: Sie stellten im Hotel ihr Haus vor und warben für Mitarbeiter im In- oder Ausland.

Die Speisekarte gewährt Einblick in die soziale Durchmischung der Gäste. Das „Tagesmenü“ gehörte zum Standardangebot. Hinzu kam, besonders für Zugreisende, die Möglichkeit zum „manger à toute heure“. Die Werbung betonte regelmäßig die „gemäßigten Preise“ der Angebote. Die Gerichte waren meist deftig, denn die Kunden leisteten sehr oft beruflich eine hohe körperliche Arbeit. Zur Zeit der Zollunion wurde „Augustiner- und Franziskaner-Bier oder Münchner Kindl“ gezapft. Vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges werden besonders Luxemburger Biere und Luxemburger Weine bevorzugt. Im Hotel Kons konnte man im gastronomischen Restaurant gleich vom Tisch aus privat telefonieren!

Events zur Kundschaftsbindung

Bei hoher Konkurrenz, einer großen Laufkundschaft und ständig wirtschaftlich und baulich wechselndem Umfeld zeigt sich, wie wichtig der persönliche Einsatz des Hotelbesitzers war. Joseph Glaesener, Geschäftsführer des Hotel Terminus, veranstaltete 1925 einen Wettlauf für schwergewichtige Menschen über 100 Kilo. Adolf Amberg lockte im „Casino de la Gare“ mit Tanztruppen, Ringkämpfen, Konzerten sowie Kinderschaukel im Garten. Thés dansants mit festen Ensembles sorgten am Sonntag für eine feste Kundschaft. Interessant ist, dass die Gaststätten sowohl mit französisch- als mit deutschsprachigen Künstlern lockten. „Auch möchten wir mal foxtrotten oder durch die blühende Musik eines Tangos gleiten, sie verspüren Lust, in trauter Nische ein Stündchen zu verplaudern und ihre Ferienfreiheit von silberhellem lustigen Mädchenlachen umklingen zu lassen“ liest man am 12. August 1933 im Escher Tageblatt zu einem Varieté-Auftritt im „Hôtel Sélect“. Zur Zeit der Judenverfolgung in Deutschland spielten jüdische Orchester, besonders im Hotel Alfa. Sie waren auf der Flucht vor ihren Nazi-Verfolgern. Vor der Gaststätte Ems starteten Luxemburger Radrennen. Originell war 1966 die Öffnung des Hotel Eldorado mit integriertem Kino „Europe“. Hotel und Kino schlossen 1988.

Ab 1882 verfolgte die „police des moeurs“ die Programme der „variétés-théâtres“, deren einzelne Veranstaltungen jeweils vom Gemeinderat zugelassen werden mussten. Joé Haas schreibt in seiner Masterarbeit „von Alkoholschenken, Arbeiterkneipen und Amüsierlokalen“ (Esch/Alzette, 2018). Manche Lokale wären als „foyer de corruption et d’infection physique“ angesehen worden. Die Einstellung von Frauen im Gewerbe war rechtlich geschützt, aber somit kontrolliert.

de Schéifermisch
3. Februar 2021 - 10.00

Wo ist sie geblieben, unsere schöne Hauptstadt? Was habt ihr aus ihr gemacht?