LEITARTIKEL/Unbeachtet

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„Eine gute Nachricht, wie wir sie beim Schutz sehr gefährdeter Tiere selten bekommen.“ Mit diesen Worten kommentierte der Biologe und Primatenforscher Craig Stanford von der „University of South California“ am vergangenen Dienstag die Nachricht, wonach in den abgelegenen Wäldern im Norden der Republik Kongo rund 125.000, bisher unbekannte, Gorillas entdeckt worden seien. Tom Wenandy

Im Rahmen des Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Primatologie (IPS) war die Entdeckung als Ergebnis einer von der „Wildlife Conservation Society“ und der kongolesischen Regierung vorgenommenen Studie bekannt geworden. Die Beachtung, die diese Nachricht dann aber in den internationalen Medien fand, stand in keinem Verhältnis zur ihrer Wichtigkeit. Denn wenn Fernseh- und Radiosender sowie Zeitungen überhaupt über den angesprochenen Kongress berichteten, so stand zumeist die (negative) Nachricht, dass fast die Hälfte aller Affenarten vom Aussterben bedroht sind im Mittelpunkt der Berichterstattung. Die positive Meldung über die Entdeckung tausender Gorillas indes wurde oft nur beiläufig erwähnt.
Dabei handelt es sich bei den aufgespürten Menschenaffen um westliche Flachlandgorillas, also um eine von vier Unterarten des Gorillas, deren Bestände durch Bejagung, Lebensraumvernichtung und Seuchen zunehmend bedroht sind und die dementsprechend allgemein als akut gefährdet eingestuft werden. Im positiven Sinne beeindruckend ist auch die Zahl der entdeckten Tiere: Sollte diese bestätigt werden, würde sich die Zahl der bis dato bekannten Bestände mehr als verdoppeln.

Erklärungsversuche

Auf den ersten Blick also erstaunlich, dass diese sowohl aus wissenschaftlicher als auch tierschützerischer Sicht bedeutsame Nachricht, wie bereits erwähnt, kaum mediale und demnach öffentliche Beachtung fand. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn obwohl das Umweltbewusstsein der Menschen in den westlichen Nationen – zumindest theoretisch – konstant zunimmt, und Tiere zu den beliebtesten Medienthemen überhaupt gehören, lässt sich Artenschutz ganz allgemein nur schlecht „vermarkten“. Die Frage, warum dies so ist, warum die Wichtigkeit des Artenschutzes – stärker noch als jene des Umweltschutzes – von der breiten Öffentlichkeit unterschätzt wird, ist nur schwer zu beantworten. Zwei bzw. drei Faktoren scheinen dabei aber eine wichtige Rolle zu spielen und könnten eine mögliche Erklärung für das angesprochene Phänomen liefern. Ein erster dieser Faktoren ist, dass ein Großteil der Menschen – auch und vor allem in den Industrienationen – sich aus historischen und/oder erzieherischen Gründen als Mittelpunkt und Krone der Schöpfung sieht. Eine gefährliche Fehleinschätzung (lies Arroganz), die das auch nur ansatzweise Verständnis der komplexen Zusammenhänge in der Natur sowie der ökologischen Bedeutung jeder einzelnen Tier- und Pflanzenart unmöglich macht. Auch spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle im Verhältnis Mensch/Natur bzw. Mensch/Artenschutz. Denn das endgültige Verschwinden einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart hat – ähnlich dem Klimawandel – nicht immer direkte, sondern zumeist stark zeitlich und zudemoft geografisch versetzte Auswirkungen auf das Leben und damit das Überleben des Menschen. Eine ersichtliche Relation von Ursache und Wirkung fehlt in vielen Fällen und erschwert somit die öffentliche Bewusstseinsbildung. Schließlich spielt auch beim Artenschutz die äußere Erscheinung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Bei etlichen vom Aussterben bedrohten Tierarten handelt es sich um Insekten, die trotz ihrer ökologischen Bedeutung im Gegensatz zu Robbenbabys, Walen oder Delfinen bei Menschen keine Mitleidsgefühle hervorrufen. Pflanzen teilen dieses Schicksal. Gorillas müssten als einer der nächsten Verwandten des Menschen, zumindest dieser Theorie zufolge, zu den bestgeschützten bedrohten Arten zählen.
Dem ist aber nicht so.
twenandy@tageblatt.lu