Neuerscheinung„Le difficile chemin vers la grande ville“ zeigt die Stadt Luxemburg im Laufe der Jahrzehnte

Neuerscheinung / „Le difficile chemin vers la grande ville“ zeigt die Stadt Luxemburg im Laufe der Jahrzehnte
 Foto: Christian Aschman

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Anhand der Arbeiten des Architekten Paul Retter (1928-1980) zeigt das Buch „Le difficile chemin vers la grande ville“ des Historikers Robert L. Philippart und des Fotografen Christian Aschman nicht nur, wie sich die Stadt Luxemburg im Laufe weniger Jahrzehnte verändert hat, sondern geht auch der Frage nach dem „Warum“ nach.

Kommt es Ihnen auch manchmal bei einem Stadtspaziergang vor, dass Sie sich sagen „Hier stand doch früher dieses oder jenes“, und sie fragen sich, warum das schöne Gebäude abgerissen wurde? Das Adjektiv „schön“ ist gewiss subjektiv zu verstehen, doch die Frage nach dem „Warum“ architektonischer Veränderung ist legitim: Jeder Mensch lebt im permanenten Austausch mit seinem Umfeld, und das wird maßgeblich von der Architektur mitbestimmt. Jede dieser Veränderungen berührt ihn direkt, ob er diese nun ablehnt oder begrüßt.

„Ech wollt verstoen, wat an der Stad geschitt wor, datt se esou massiv konnt hire Glach verléieren“ gibt Robert L. Philippart als Ausgangspunkt seines neuesten Werkes „Le difficile chemin vers la grande ville“ an. Seit mehreren Jahrzehnten befasst sich der Historiker mit der Architekturgeschichte unserer Hauptstadt. Seit 2017 ist er zudem Unesco Site Manager, also einer der Verantwortlichen rund um den historischen Kern der Stadt Luxemburg als Unesco-Weltkulturerbe. Neben seinen 230 Veröffentlichungen dürften vielen Menschen auch seine architektonischen Spaziergänge bekannt sein, auf denen er Interessierten bedeutende Gebäude und Plätze zeigt. Und sein Buch ist genau das: ein Spaziergang durch einen Teil der Architekturgeschichte der Hauptstadt, erklärt anhand der Arbeiten des Architekten Paul Retter. Da dieser allein in der Oberstadt für 33 heute noch existierende Gebäude verantwortlich ist – von den anderen Vierteln ganz zu schweigen – und damit maßgeblich das Bild des heutigen Stadtzentrums mitgeprägt hat, wird er oft als „Initiator des Verschwindens“ unseres architektonischen Erbes angesehen. Philippart rückt Retters Arbeit jedoch auch in ein anderes Licht und zeigt, dass der Umbau bereits Anfang des 20. Jahrhunderts begann.

Dabei wird die Veränderung des Stadtbildes nicht nur anhand von zahlreichen Vorher-nachher-Beispielen gezeigt, sondern in den politischen und vor allem wirtschaftlichen Hintergrund der Zeit eingebettet. Der Autor ist aber nicht nur ein Geschichtenerzähler, er ist auch Historiker: Eine Fülle an historischen Details zu Gebäuden oder Entscheidungen der damaligen Gemeindeverantwortlichen helfen dabei, die heute sichtbaren Resultate geschichtlich einzuordnen.

So erfährt der Leser, dass Retter ein Verfechter der „Charta von Athen“ war. Dabei handelt es sich um ein urbanistisches Konzept, bei dem die Erhaltung des Alten keinen Platz hat. Neue, moderne und funktionale Bauten mussten es sein. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit sollten an verschiedenen Orten erfolgen. Das Auto war noch nicht als Problem im Stadtbild angesehen. Ganz im Gegenteil: Parkplätze sollten in der Innenstadt weitgehend zur Verfügung stehen. Will man Retters Werk verstehen, muss man wissen, dass er auch der Besitzer des „Grand Garage de Luxembourg“ war und das Monopol für Chrysler-Autos für das Großherzogtum besaß. Ihn autofreundlich zu nennen, wäre ein Euphemismus.

Philippart und Aschmans Buch überrascht mit großer Detailverliebtheit: Die Menge der historischen Daten wurde bereits angesprochen; es sind aber vor allem die architektonischen Details in Wort, aber auch im Bild, die den Band auszeichnen und quasi eine Fortsetzung im Gedruckten sind, was man von Philipparts Stadtspaziergängen gewohnt ist: Er lehrt, ohne zu belehren, er erzählt eine Geschichte und listet nicht nur Fakten auf.

Der Fototeil von Aschman besteht natürlich aus einer Menge Fotos von Retters Gebäuden, aber auch er macht weit mehr. Detailverliebtheit beweist er auch in seinen Bildern: hier der Blick aus einem Fenster, ein Mosaik in einem Hauseingang, ein Balkongeländer, Hauseingänge, künstlerische Verzierungen an den Mauern usw.

Die beiden geben gewiss keine Antwort auf die hypothetische Frage, ob früher alles schöner oder besser war. Der Leser kann aber nachvollziehen, wann, wie und warum der Übergang von dem oft zitierten „früher“ zum „heute“ im Stadtbild vor sich ging.

Das Buch

Robert L. Philippart und Christian Aschman: „Le difficile chemin vers la grande ville: regards croisés sur l’œuvre de Paul Retter, architecte et urbaniste à Luxembourg de 1957 à 1980“, Editions Guy Binsfeld, Luxembourg 2021