„Es gibt keinen Grund zur Panik“

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Der Chef des Gesundheitsamtes erklärt, dass die Schweinegrippe sich zwar schnell verbreitet, bis dato für den Menschen jedoch keine große Gefahr darstellt.

Tageblatt: Welche Gefahr geht vom Virus A/H1N1, der Schweinegrippe, aus?
Pierre Weicherding: „Im Gegensatz zur Vogelgrippe, die für den Tod von Tausenden Vögeln verantwortlich ist und die sehr gefährlich für den Mensch sein kann, ist die Schweinegrippe, welche im März dieses Jahres aufgetaucht ist, eher harmlos. Sie zeichnet sich jedoch durch ihre schnelle Verbreitungsgeschwindigkeit aus.“

„T“: Sie sagten, das A/H1N1-Virus sei nicht gefährlich. Es sind aber schon Menschen durch diese Grippe gestorben. Welche Erklärung haben Sie dafür?
P.W.: „Die Grippe kann eine Gefahr für die sogenannten Risikogruppen darstellen. Zu diesen Gruppen gehören unter anderem schwangere Frauen, Kinder unter zwei Jahren und Menschen mit chronischen Krankheiten. Diese Leute müssen enger überwacht werden.“

„T“: Es scheint, dass ältere Menschen weniger vom neuen Virus befallen werden. Wie kommt das?
P.W.: „Ja. Die Statistiken zeigen, dass weniger ältere Menschen krank werden. Die meisten Fälle gibt es in der Kategorie der 15- bis 25-Jährigen.
Das nationale Gesundheitslaboratorium ist dabei, eine Studie zu realisieren. Es ist möglich, dass vor etlichen Jahren schon ein ähnliches Virus in Luxemburg grassiert hat. Das würde erklären, warum unsere betagten Mitmenschen nicht so schnell krank werden. Sie wurden damals immunisiert. Genaues wird aber erst die Studie zeigen.“

„T“: Wie groß ist das Risiko, dass das H1N1-Virus mutiert und dadurch gefährlicher wird?
P.W.: „Bei der spanischen Grippe 1918 wird auch vermutet, dass es sich um eine mutierte Version handelt, welche die vielen Tote zur Folge hatte. Damals gab es aber nur wenige Aufzeichnungen. Mutationen von Viren sind immer möglich. Die Vogelgrippe zum Beispiel ist immer noch da. Sie kann auch mutieren. Auch eine Verbindung der A/H1N1-Viren mit dem saisonalen Grippevirus kann eine Mutation zur Folge haben, die gefährlich sein kann. Das Risiko einer Mutation ist jedoch im Augenblick sehr klein.“

„T“: Wie kann man die Verbreitung der Schweinegrippe eindämmen?“
P.W.: „Eine Impfung gegen die saisonale Grippe hilft, da sie den Austausch zwischen genetischen Sequenzen beider Viren verhindern kann. Die Impfung gegen die Schweinegrippe wird ab Oktober/November verfügbar sein. Sie wird gratis sein. Jedoch ist der Impfstoff gegen das A/H1N1-Virus noch in der experimentellen Phase. Die Analysen werden noch einige Monate dauern. Für die Herstellung des Impfstoffes braucht man ganz spezielle Hühnereier.“

„T“: Was passiert, wenn die Zahl der neuen Fälle explosionsartig zunimmt?
P.W.: „Wie schon gesagt. Die Grippe ist nicht sehr gefährlich. Aber Luxemburg bereitet sich auf eine massive Erhöhung der Kranken vor indem es genügend Impfdosen und genug Medikamente einlagert.
Bei einer konventionellen Grippewelle beträgt die Impfrate zirka 30 Prozent. Wir versuchen diesen Prozentsatz bei der Schweinegrippe auf über 50 Prozent zu heben. Die saisonale Grippe trifft zwischen 20 und 30 Prozent der Bevölkerung. Im Falle einer massiven Erhöhung der Schweinegrippefälle wird der nationale Pandemie-Plan in Kraft treten.
Dieser sieht unter anderem die Einrichtung sogenannter Pandemie-Zentren in den Gemeinden vor. Ziel ist es, die Patienten während sieben Tagen zu isolieren, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern.“

„T“: Wie werden Patienten, die das H1N1-Virus haben, behandelt?
P.W.: „Die Behandlung ist denkbar einfach. Man verschreibt ihnen ein normales Grippemittel. Die Verabreichung von Tamiflu ist nur bei Risikopatienten notwendig. Das Mittel muss spätestens 48 Stunden nach den ersten Symptomen eingenommen werden.
Auch systematische Tests bei Menschen mit Grippesymptomen helfen nicht weiter, denn viele Reisende, die mit Grippesymptomen aus dem Urlaub wiederkehren, suchen nicht ihren Arzt aus. Die Folge ist, dass eine Dunkelziffer von A/H1N1-Fällen existiert. Auch die prophylaktische Behandlung des Umfeldes der Erkrankten wurde eingestellt.“

„T“: Im September fängt die Schule wieder an. Gibt es spezielle Vorsichtsmaßnahmen, die man beachten muss?“
P.W.: „Niemand weiß, wie die Grippeepidemie sich weiterentwickelt. Panik ist auf jeden Fall fehl am Platz. In Frankreich wurde nicht wie oft gesagt, dekretiert, dass Schulen, wo ein A/H1N1-Fall festgestellt wird, während einer Woche schließen. Man hat sich nur die nötigen Mittel gegeben, um bei einem massiven Auftreten von Krankheitsfällen die Schule schließen zu können.
Hier in Luxemburg nimmt ein Krisenausschuss die dementsprechenden Entscheidungen. Die Schließung der Schulen wäre jedoch eine Entscheidung mit schwerwiegenden Folgen. Zum einen hat man keine Garantie, dass die Kinder dennoch nicht krank werden. Zum anderen stellt sich die Frage, was man mit den Kindern tut, während die Eltern arbeiten. Und dann besteht auch noch die Gefahr, dass die Kinder zu Hause den Rest der Familie anstecken und auf diese Weise die Krankheit weiter verbreiten.“

„T“: Die Handelskammer erteilt Ratschläge, wie Firmen reagieren sollen, wenn es zu viele Arbeitsausfälle gibt. Macht das nicht unnötig Panik?
P.W.: „Mit Panikmache hat das nichts zu tun.
Auch wenn die Grippe harmlos ist, fallen immerhin die Betroffenen während einer Woche, wo sie ansteckend sind, aus. Bei verschiedenen Unternehmen könnte das ein Problem darstellen. Die Ratschläge soll ihnen lediglich helfen, diese Zeit zu überbrücken.“

Pandemie

Unter einer Pandemie versteht man die außergewöhnlich starke weltweite Ausbreitung einer menschlichen Krankheit, wobei innerhalb eines kurzen Zeitraums alle Teile der Erde und mehr als 25% der gesamten Bevölkerung betroffen sind. Eine Pandemie entsteht beim Auftreten eines neuen Virus, gegen welches das menschliche Immunsystem über keine Abwehr verfügt.

Im 20. Jahrhundert gab es drei Influenza-Pandemien: 1918, 1957 und 1968. Die Pandemie von 1918/19 forderte mehr als 40 Millionen Todesopfer innerhalb eines Jahres. Bei der Pandemie von 1957 starben mehr als zwei Millionen Menschen. Die Pandemie von 1968 schließlich forderte eine Million Tote.