Das Leben ist Geschmackssache

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Schon zu seiner Entstehungszeit vor über hundert Jahren war das Drama hochbrisant und aktuell. Jetzt spürte die Theaterklasse des „Neie Lycée“ der Thematik von Frank Wedekinds Klassiker „Frühlings Erwachen“ nach und brachte ein glänzend inszeniertes und modernisiertes Stück auf die Bühne des Merscher Kulturhauses.

Heike Bucher

MERSCH – Erste Liebe, Pubertät, sexuelle Spannungen, homoerotische Erfahrungen, Suizid und ungewollte Schwangerschaft – mit alldem werden Wendla, Melchior, Moritz, Marta, Ina, Ilse, Thea, Ernst und Hänschen konfrontiert.
Sie alle leiden irgendwie: an Schulproblemen, Liebeskummer, Misshandlungen des Vaters und dem Wegschauen der Mutter, mangelhafter Aufklärung oder Machtdemonstrationen ihrer Lehrer. Unterschiedliche Probleme und doch ähnliche Sorgen: Wendla und Melchior kommen sich näher, Moritz soll sitzen bleiben, Marta wird jeden Abend zu Hause verprügelt und Ernst und Hänschen verlieben sich ineinander.

In vielen Schulen Standardlektüre

Am Ende gibt es zwei Tote zu beklagen und die Gewissheit, dass es wahrscheinlich – egal wann und wo – immer so weitergeht. Denn das Leben ist hart, vor allem für jene, die auf dem Sprung zum Erwachsensein sind. Das hat sich auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht geändert. Im Jahre 1891 brachte Wedekind auf eigene Kosten das Drama heraus. Es dauerte 15 Jahre, bis es an den Berliner Kammerspielen von Max Reinhardt uraufgeführt wurde. Noch heute gehört es in vielen Schulen zur Standardlektüre. Am vergangenen Dienstag- und Mittwochabend wurde es im Merscher Kulturhaus aufgeführt. Unter der Regie von Seja-Katharina Rockel hat die Theaterklasse des „Neie Lycée“ das Stück gekürzt und dann dem alten, stellenweise gar altmodischen Text eine moderne Version gegenübergestellt.

Die Rollen gibt es im Doppelpack

Das hört sich doppelt gemoppelt an und ist es im Prinzip auch, denn jede Szene wird zweimal gespielt: einmal mit dem Originaltext und auf einer zweiten, spiegelverkehrten Bühne in der modernen Fassung. Auch die Rollen gibt es im Doppelpack: zwei Wendlas, zwei Martas usw. Nur die Jungs sind Unikate, sie führen quasi als Vermittler von einer Szene zur nächsten.
Allein diese Idee ist grandios, denn mit der Gegenüberstellung der über hundert Jahre auseinander liegenden Welten wird zweierlei klar: Die Sprache mag sich zwar wandeln, aber die Probleme der Menschen sind dieselben geblieben. „Jetzt gibt es Jugendschutzgesetze und Sozialämter. Man sollte meinen, die Welt hätte sich verändert. Einen Dreck hat sie“, meint Thea hilflos und enttäuscht, als sie von den Prügeln hört, denen Marta täglich ausgesetzt ist.
Intensiv und glaubwürdig geben die jungen Schauspieler des „Neie Lycée“ ihren Rollen Gesichter und auch, wenn ihnen die ein oder andere Unsicherheit anzusehen sein mag, ist diese Aufführung mehr als Schülertheater. Denn es scheint so, als seien die Mädchen und Jungen mit dem Herzen dabei.
Das macht sich auch im Publikum bemerkbar, wo sich einige Mädchen in den Armen halten, zu Tränen gerührt.