Hoffen auf einen Neuanfang

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(AP)

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Am Sonntag wählen die Griechen ein neues Parlament. Costas Calfelis ist Korrespondent der griechischen Presse und wohnhaft in Luxemburg. Er erklärt die schwierige Situation der Griechen vor der Wahl.

Tageblatt.lu: Verstehen Sie das Verhalten ihrer Mitbürger bei den letzten und bei den bevorstehenden Wahlen?

Costas Calfelis: „Ich bin weder Kassandra noch Pythia, aber es ist dennoch nicht schwierig ein Fazit zu ziehen. Manche Griechen sehen nur die Wahlmöglichkeit zwischen dem weniger Schlimmsten, andere die Möglichkeit, sich von den Protagonisten von Korruption und Mauschelei während den letzten Jahrzehnten zu verabschieden, die sich, ohne für die griechische Krise zu entschuldigen, nun hemmungslos als Retter aufspielen wollen. In wenigen Stunden werden wir das Wahlresultat haben.“

Tageblatt.lu: Ausländische Politiker jeglicher Couleur haben die griechischen Wähler mal versteckt, mal offen wiederholt gemahnt, sich vor dem Urnengang genauestens zu überlegen, wen sie wählen sollen. Eine nicht-tolerierbare Einmischung in griechische Angelegenheiten?

„Es handelt sich dabei um eine Einflussnahme auf die politischen Entwicklungen Griechenlands. Wir waren somit Opfer unannehmbarer, erniedrigender, beleidigender Eingriffe, die in der Folge sogar bedrohlich wurden, da sie widersprüchlich waren. Anstatt die Emittenten der Androhungen weiterzubringen, haben diese bloß dazu beigetragen, die Empörung der Massen gegen die Beschlüsse (in Griechenland Memoranda genannt) anzuheizen. Noch schlimmer waren die direkten und indirekten Androhungen, Griechenland solle aus dem Euro austreten. Diese versetzten sowohl Reiche als auch Arme in Panik und führte dazu, dass die Reichen ihr Kapital ins Ausland auslagerten und die Armen ihre Ersparnisse von den Bankkonten abzogen. Auf diese Weise haben die EU-Politiker verschiedener Staaten der griechischen Wirtschaftslage zusätzlich geschadet.“

Tageblatt.lu: Wieso diese Einflussnahme?

„Die Damen Merkel und Lagarde sowie die Herren Barroso, Rehn, Van Rompuy und andere haben ihre Willkür und Inkompetenz auf historische Art und Weise in die griechische Krise eingraviert. Dafür gibt es mehrere sichtbare und unsichtbare Gründe. Ich möchte mich auf zwei davon beschränken:

Die europäischen Lenker, die sich für unfehlbar halten, favorisieren sowohl die konservative ND (Nea Dimokratia) als auch die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok), die unter Papandreou zu einer konservativ-liberalen Partei umgewandelt wurde. Denn das etablierte europäische System verfällt in Panik beim bloßen Begriff „links“ und favorisiert die beiden oben genannten Parteien, obwohl jene europäischen Lenker genau wissen, dass eben diese zwei Parteien die griechische Katastrophe hervorgerufen haben.

Diese selben unfehlbaren europäischen Lenker übertünchen ihren eigenen Fehler, nicht überprüft zu haben, mit wem die Kredit- und Memorandum-Verträge eigentlich abgeschlossen wurden. In Panik versetzt und krank machte diese Lenker der Begriff „Referendum“, den sie als schrecklichen Virus wahrnahmen. Wir erinnern uns an die Referenden in Frankreich, in den Niederlanden und in Irland. Dieses Referendum war von Papandreou vorgeschlagen worden, nicht vor, sondern nach dessen Unterschrift zum ersten Memorandum. Dieser sollte Papandreou den Rücktritt vom Premierminister-Posten kosten. Danach trat der Banker Papademos in Papandrous Fußstapfen. Er stellte eine Gefälligkeitsregierung mit 50 Posten auf und übernahm dabei 45 Minister, die bereits unter seinem Vorgänger regiert hatten. Pro forma nahm er fünf weitere Minister als angedachte Opposition auf. Auf diese Weise war der Weg frei zum zweiten Memorandum mit zwei Parteien, die nur 32 Prozent der Wählerschaft repräsentierten und sich somit gegen die restlichen 68 Prozent, welche das Troika-Abkommen ablehnten, durchsetzen konnten.

Bloß eine Minderheit von 32 Prozent ist für das harte Sparprogramm, welches aber auf den Schultern der gesamten griechischen Bevölkerung ausgetragen wird.“

Tageblatt.lu: Teilen Sie den Pessimismus politischer Kreise im Falle eines Wahlsieges der Linken von Alexis Tsipras?

„Es gibt einen berechtigten Mangel an Informationen, wenn die traditionelle politische Landschaft eines Landes sich zerlegt. Das Wechselspiel von zwei früheren großen Parteien an der Macht während 38 Jahren ist auf tragische Weise gescheitert und macht nun gezwungenermaßen den Weg für andere Parteien oder Gruppierungen von Dissidenten frei. Pessimismus ist ein generalisiertes Gefühl, das die große Mehrheit der Griechen verspürt. Pessimismus beim Volk wird durch die harten Sparmaßnahmen und unerträglichen Einschränkungen und Verbote, welche die Troika (IWF, EU, EZB) dem Volk aufzwingt, hervorgerufen. Aber Pessimismus, begleitet von extremer Angst, ist vor allem bei jenen sichtbar, die das etablierte System weiterführen wollen, jene, die sich ein Korruptionsnest zurecht gestrickt haben und jene, die in Skandale verwickelt waren und das Land in die Katastrophe geritten haben.

Tsirpas war der Standartenträger gegen die Memoranden und versprach deren Abschaffung. Dies fand große Zustimmung bei einigen Teilen der Bevölkerung und verdreifachte seine Wahlstimmen. Seine Rivalen sahen darin ein „Risiko“ für immer von der Macht verdrängt zu werden und bedienten sich seiner Wahlsprüche mit dem Zusatz, im Falle eines Wahlsieges, die Abkommen mit der Troika neu zu verhandeln. In beiden Fällen handelt es sich um wohlbekannte wahltaktische Schritte, die aber nicht die extrem schwierige Lage des Landes ändern können.“

Tageblatt.lu: Ist die Linke dazu fähig, Griechenland aus der aktuellen Krise zu retten? Riskiert sie nicht, die Wähler bei einem Sieg angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Realität zu enttäuschen?

„Es gibt keine Garantie, dass es der Linken gelingen wird, das Land aus der Krise zu reiten. Allerdings basieren die Wählerkriterien einerseits auf einer sehr schlechten und langen Erfahrung in der Vergangenheit, andererseits auf einen vielversprechenden Neuanfang, auch wenn es Unsicherheiten gibt…“

Tageblatt.lu: Besteht das Risiko einer Wiedererstarkens der Extremrechten? Wer sind deren Wähler?

„Es besteht sicherlich kein Wiederanstieg der Extremrechten. Trotz zwei früherer Diktaturen in Griechenland, die von Ioannis Metaxas 1936 und die der Obristen 1967, gibt es keine tiefe Wurzeln in diese Richtung. Periodisch, vor allem bei der Einführung unpopulärer Maßnahmen oder bei strengen Verboten, tauchen gewisse Gruppen auf, die im Grunde umstandsgebunden und zufallsgebunden sind. Doch das intellektuelle Niveau ist sehr flach, außer bei einigen wenigen, die die Leaderrolle übernehmen.

Meist handelt es sich um Dissidenten von Rechtsparteien und am 6. Mai profitierten jene Abtrünnige von der Mogelei des Wahlsystems, das durch die beiden großen Parteien eingefädelt wurde, um sich ihre Machtstellung dauerhaft zu bewahren. Eben diese System verbietet es ausgewanderten Griechen, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Jene Ausgewanderte dürfen weder wählen, noch gewählt werden.“