Großer Andrang in der „Festung Moskau“

Großer Andrang in der „Festung Moskau“
(dpa)

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Zehntausende Polizisten machen die russische Hauptstadt bei der Präsidentenwahl zur Hochsicherheitszone. Der Andrang in den Wahllokalen ist groß, die Ansichten sind geteilt.

Schwer bewaffnet bewachen Truppen der auf Anti-Terror-Einsätze spezialisierten Sonderpolizei Omon die Zentrale Wahlkommission im Zentrum von Moskau. Hinter dieser Hochsicherheitszone fällt die Entscheidung über den Sieg bei der russischen Präsidentenwahl. „Ein bisschen mulmig ist mir schon, wenn ich das sehe“, erzählt Fjodor. Der 47-Jährige ist gleich am Morgen durch den frisch gefallenen Schnee zur Abstimmung gestapft. Seine Stimme hat er dem Kommunistenchef Gennadi Sjuganow gegeben.

Die Wahlbeteiligung sei deutlich höher als vor vier Jahren, heißt es in der Kommission. In der Tat: Fotos und Videos zeigen großen Andrang in vielen Wahllokalen. Über Zehntausende Webcams können Millionen Russen die Abstimmung live im Internet verfolgen. Eine Weltneuheit, wie Wahlleiter Wladimir Tschurow sagt.

Höhere Renten

Im Süden der Hauptstadt wählt auch Ljudmila Sergejewna. „Ich bin für Putin“, sagt die rüstige Rentnerin. Der Regierungschef und aussichtsreichste Kandidat Wladimir Putin ist hier für viele der Favorit. „Wegen ihm haben wir deutlich höhere Renten“, erzählt Ljudmila im Wahlbüro an der Nagornaja-Straße. Im Wahlkampf hatte Putin fast jeder Bevölkerungsgruppe ein deutliches Plus im Portemonnaie versprochen. Doch nicht alle wollen den Worten des 59-Jährigen glauben. „Putin hat lange genug regiert. Jetzt muss mal ein anderer ran“, meint der Mechaniker Witali, der aus der Wahlkabine neben Ljudmila kommt. Gleich kommt die Gegenfrage: „Aber wer?“

So richtig überzeugt sind die Wähler auch von Putins vier Gegenkandidaten nicht: Der Kommunist Sjuganow und der Ultranationalist Wladimir Schirinowski sind ihnen schon zu lange dabei, der Linkskonservative Sergej Mironow ist ihnen zu blass und vom Multimilliardär Michail Prochorow wissen sie nicht, was sie halten sollen. „Da bleibt doch nur Putin, oder?“, sagt Ljudmila.

Putins Heimat

Ausgerechnet in seiner Heimatstadt St. Petersburg schlägt Putin allerdings wenig Gegenliebe entgegen. Auch in der zweitgrößten Stadt hatten Tausende gegen den Ex-Geheimdienstchef demonstriert. „St. Petersburg schämt sich für Putin“, stand auf Plakaten. „Warum sollten wir ihn mögen? Er ist einer der Diebe, die uns bestehlen“, schimpft der Angestellte Wassili Jakoljow im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.

In der westlich geprägten einstigen Zarenmetropole sei die Zivilgesellschaft viel weiter entwickelt, sagt Jelena Iwanowa von der oppositionellen Gruppe Solidarnost. „In ganz Russland haben die Menschen genug davon, von einem Mann und seiner Partei regiert zu werden. Aber hier tun viele Bürger mehr dagegen.“

Unterschiedlicher Protest

Der 24-jährige Moskauer Taras protestiert auf seine Weise gegen das System Putin. „Ich kreuze alle fünf Namen an und mache meinen Stimmzettel damit ungültig“, erzählt er. Mit keinem Bewerber könne er etwas anfangen. „Da müssen endlich ganz neue Leute an die Macht.“ Die 30-jährige Julia ist derselben Meinung. Aber sie geht erst gar nicht zur Wahl. „Ich sehe keinen Sinn darin“, sagt sie, während sie sich im Stadtzentrum gegen den starken Wind vorwärts kämpft. „Es bleibt ohnehin alles wie es ist.“

Andere flüchten sich in Sarkasmus. „Wir können wählen, wen wir wollen, und Putin kann sich das Ergebnis machen, das er will“, sagt der Wachmann Sergej. „Freier können Wahlen doch gar nicht sein.“ Sie geben dem kremlnahen Wahlleiter Wladimir Tschurow die Schuld. Als „Zauberer“ lobte ihn Noch-Kremlchef Dmitri Medwedew nach der von Fälschungsvorwürfen überschatteten Parlamentswahl vom 4. Dezember 2011.

Keine Verstöße

Doch auch diesmal sprechen schon während der Abstimmung unabhängige russische Wahlbeobachter von Tausenden Verstößen – das Ausmaß sei ähnlich groß wie vor drei Monaten. Im Wahllokal an der Nagornaja-Straße im Moskauer Süden gebe es natürlich keine Probleme, sagt ein Vertreter der Wahlkommission. „Wir passen hier genau auf.“

(Benedikt von Imhoff und Stefan Korshak/dpa/Tageblatt.lu)