Ein Jahr ohne den „Commandante“

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Chávez hinterließ ein schweres Erbe, als er am 5. März 2013 starb. Sein Nachfolger Maduro konnte sich zwar die Macht sichern. Doch selten war Venezuela so tief gespalten wie heute.

Die sozialistische „Revolution“ des Hugo Chávez ist ins Schlingern geraten. Kurz vor dem ersten Todestag des „Vaters der Nation“ wird Venezuela von der massivsten Protestwelle seit dem Amtsantritt seines Nachfolgers Nicolás Maduro erschüttert. Das ölreiche Land kämpft mit einer Hyperinflation, ausufernder Kriminalität und Behördenwillkür. Dagegen macht die Opposition Front, die aber an den Wahlurnen nicht nur Chávez, sondern auch Maduro unterlag. Die Regierung scheint entschlossen, dem einst von Chávez geprägtem Motto zu folgen: „Patria, Socialismo o muerte“ (Vaterland, Sozialismus oder Tod).

Maduro ahmt seinen politischen Ziehvater bis hin zur Wortwahl und Mimik nach. In bester Chávez-Manier geißelt auch er die Opposition unentwegt als „Parasiten“, „Oligarchen“, „Faschisten“ und „Putschisten“. Das „Imperium“ (USA) macht er mitverantwortlich für Umsturzpläne. Kein Gegner wird verschont. US-Diplomaten werden des Landes verwiesen, Fernsehkanäle bedroht oder aus dem Kabelnetz geworfen und Oppositionelle verhaftet.

Eine Ikone der Linken

Maduro kann dabei auf die Gefolgschaft der „Chavistas“ zählen, die Comandante Chávez vor allem in den Armenvierteln über ein Jahrzehnt lang bedingungslos die Treue hielten. Chávez war streitbar und umstritten, er wurde geliebt und gehasst und hatte im Vergleich zu Maduro mehr Charisma. Neben Fidel Castro auf Kuba wurde er zur Ikone der Linken in Lateinamerika. Seit 1999 steuerte Chávez Venezuela stringent auf Kurs Sozialismus, und die meisten seiner Landsleute folgten ihm.

Der Ex-Militär war sicher kein Paradebeispiel eines seriösen Politikers und auch kein Vorzeigedemokrat europäischen Maßstabes. Aber die Mehrheit stand hinter ihm. Daran ließ sein Wahlsieg am 7. Oktober 2012, rund fünf Monate vor seinem Tod keinen Zweifel. Schon da litt Chávez unter einer schweren Krebserkrankung, der sich der 58-Jährige erst nach langem Kampf und vielen Kuba-Aufenthalten am 5. März 2013 in Caracas geschlagen geben musste.

Bolivarische Revolution

Gegen Chávez und seine Mission der „bolivarischen Revolution“ – benannt nach dem südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolivar – war die Opposition Sturm gelaufen. Doch konnte sich Chávez trotz aller Unkenrufe auf seine Klientel, die Armen im Land, verlassen. 1999 trat er mit 44 Jahren als jüngster Präsident Venezuelas das Amt erstmals an. Nach der Annahme einer neuen Verfassung gewann Chávez auch 2000 mit klarer Mehrheit die Präsidentschaftswahl. 2002 überstand er einen Putsch. 2006 gewann er die nächste Wahl und am 7. Oktober 2012 triumphierte er mit über 55 Prozent so klar, dass die Opposition den Sieg rückhaltlos anerkannte.

Immer wieder konnte Chávez zu Recht „Venceremos“ (Wir werden siegen) rufen – und das zum Ärger seines „Lieblingsfeindes“, den USA, die der wortgewaltige Venezolaner kategorisch als „Yankee-Imperium“ titulierte. Freundschaften pflegte der Ex-Oberstleutnant hingegen in seiner Regierungszeit zu zweifelhaften Kollegen, wie Mahmud Ahmadinedschad (Iran), Syriens Baschar al-Assad, Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi und Alexander Lukaschenko (Weißrussland). Die Castros auf Kuba waren bis zu seiner allerletzten Stunde engste Weggefährten.

Diktaturähnliche Zustände

Nach Ansicht vieler Oppositioneller schuf Chávez aber diktaturähnliche Zustände in dem südamerikanischen Land, das aufgrund seines immensen Rohstoffreichtums zu den größten Ölexporteuren der Welt zählt. Er regierte mit Dekreten, enteignete große Multis, schloss Radio- und TV-Stationen und sympathisierte mit den marxistischen FARC-Rebellen in Kolumbien. Zudem war Chávez omnipräsent in Venezuela.

Sichtlich wohl fühlte sich Chávez, wenn er von Ladeflächen auf Wahlkampflastwagen zu tausenden seiner Anhängern sprach, die ihn mit einem Meer aus roten Fahnen stets triumphal empfingen. Immer wieder hatte er seinen Widersachern trotzig und donnernd zugerufen: „Uh, Ah, Chávez no se va!“ (Chávez geht nicht).

Der Staatschef musste sich nicht der Opposition und auch keinen Putschisten beugen, sondern letztlich nur der Krankheit. Von seinem Wunsch nach einem einheitlichen sozialistischen Venezuela aber ist das Land am ersten Todestag des „Comandante“ weiter weg als zu dessen Lebzeiten.