Das Baguette hat keinen Urlaub

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Macht im August nicht Urlaub wer will. In Paris schreibt ein Gesetz aus dem Revolutionsjahr 1789 vor, wann der Bäcker Ferien machen darf. Das Baguette gehört täglich frisch auf den Frühstückstisch.

Das Ferienverbot im den Franzosen heiligen Urlaubsmonat August hat Céline Touré kalt erwischt. „Ich kannte diese Regeln überhaupt nicht“, ärgert sich die junge Frau, die vergangenes Jahr im Pariser Stadtteil Belleville eine Bäckerei übernommen hat. „Wir wollten eigentlich den August über schließen.“ Eine Vorgabe der Behörden ließ das aber nicht zu, die Ferienzeiten für die Bäcker der französischen Hauptstadt sind streng reguliert. Denn mindestens so heilig wie der Sommerurlaub ist den Franzosen ihr täglich frisches Baguette.

Dass Céline Touré mit zwei Wochen Urlaub im Juli Vorlieb nehmen musste, ist ein Erbe der Französischen Revolution – und eines besonders grausamen Vorfalls im Revolutionsjahr 1789: Am 21. Oktober knüpfte eine hungrige und aufgebrachte Menschenmenge den Pariser Bäcker Denis François an einer Straßenlaterne auf. Ihm war vorgeworfen worden, Brot zu verstecken. Später wurde die Leiche enthauptet und der Kopf des Bäckers auf einer Lanze aufgespießt durch die Straßen der Stadt getragen.

Am gleichen Tag verhängte die Nationalversammlung, angetrieben durch den blutigen Vorfall wie durch die Gewalt der Vorwochen, das Kriegsrecht. Dieses sah unter anderem vor, dass Bäcker zum Arbeiten verpflichtet werden können – Brot sollte in Paris nie mehr fehlen.

„Nicht zeitgemäß“

Als im 20. Jahrhundert in Frankreich das Recht auf bezahlten Urlaub eingeführt wurde, stellte sich die Frage der Ferienzeiten für Bäcker neu. 1957 wurden die städtischen Behörden per Gesetz ermächtigt, Regeln für den Urlaub von Bäckern aufzustellen, „so dass die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt wird“. Unumstritten sind die starren Regeln auch bei Politikern nicht: So kritisierte ein sozialistischer Abgeordneter vor einigen Jahren, die Vorgaben seien „nicht zeitgemäß“ und „einengend“.

Das Gesetz aber gilt bis heute.
Angewandt wird es laut dem französischen Bäckerverband nur in Paris und den Vorstädten der Hauptstadt, im Rest des Landes sprechen sich die Bäcker normalerweise ab, wer wann in den Urlaub fährt. Die rund 1200 Pariser Bäckereien dagegen sind dazu verpflichtet, im Jahreswechsel entweder im Juli oder im August geöffnet zu bleiben. Abweichungen werden nur in Ausnahmefällen gebilligt.

„Ich bekomme manchmal Briefe von Bäckern, die nicht zufrieden sind“, sagt Dominique Anract, der als Mitglied des Bäckerverbandes über solche Ausnahmen mitentscheidet. In manchen Vierteln gebe es im Sommer aber tatsächlich das Risiko, dass weit und breit keine offene Bäckerei zu finden sei. „Wir versuchen, dass es immer irgendwo Brot gibt. Jemand, der gehbehindert oder alt ist, kann nicht unbedingt mit dem Auto fahren, um Brot zu kaufen.“

Strafzettel wegen Verstößen gegen die Urlaubsregeln

Wieviele Bäcker die Vorgaben einfach ignorieren, ist nicht bekannt. Denn wirklich streng kontrolliert wird die Urlaubssperre nicht, es gibt nur wenige Patrouillen der Präfektur. 2011 wurden wegen Verstößen gegen die Urlaubsregeln gerade einmal 20 Strafzettel verteilt.

Und auch wenn manch‘ ein Bäcker sauer ist, seinen Urlaub nicht frei planen zu können – den August über durchzuarbeiten hat auch seine Vorteile. Bäckerin Céline Touré etwa hat die Wochen über einen wahren Kundenansturm. „Wenn ich morgens um sechs Uhr aufmache, stehen schon unglaublich viele Menschen Schlange. Gerade im August muss man ganz schön laufen, um eine offene Bäckerei zu finden.“ Das wirkt sich natürlich auch auf die Kasse aus: Pro Tag macht Touré im August 400 bis 500 Euro mehr Umsatz als sonst.