Wikileaks könnte diplomatische Krise auslösen

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Mit einem dramatischen Appell hat die US-Regierung versucht, die Veröffentlichung kompromittierender Geheimdokumente durch die Internetplattform Wikileaks in letzter Minute doch noch zu verhindern.

Die US-Regierung hat vor der angekündigten Enthüllung Hunderttausender diplomatischer Depeschen den Druck auf das Internetportal Wikileaks erhöht: Eine solche Veröffentlichung setze zahllose Menschenleben aufs Spiel, bedrohe Anti-Terror-Operationen in der ganze Welt und gefährde die amerikanischen Beziehungen zu den Verbündeten, schrieb das US-Außenministerium in einem Brief an Wikileaks.

In dem am Samstagabend veröffentlichten Brief des Rechtsberaters Harold Koh hieß es, Wikileaks habe kein Recht, die Dokumente zu veröffentlichen und müsse den Plan daher stoppen. Die US-Regierung werde nicht mit dem Internetportal kooperieren, um Informationen herauszufiltern, die möglicherweise eine Gefahr bedeuteten. Das Außenministerium reagierte mit dem Brief auf eine Anfrage von Wikileaks-Gründer Julian Assange und dessen Anwalt. Diese hatten beim US-Botschafter in Großbritannien, Louis Susman, um Informationen darüber gebeten, welche Personen durch eine Veröffentlichung in Gefahr geraten könnten.

Welche Dokumente genau Wikileaks verbreiten will, ist nicht bekannt. Es wird aber vermutet, dass es sich um diplomatische Depeschen handelt, die zeigen, wie die USA die anderen Ländern sehen. Darunter sind vermutlich auch private Einschätzungen von US-Diplomaten über ausländische Politiker, Staatsführer und Regierungen. Das könne das Vertrauen der ausländischen Partner in die USA untergraben, hieß es. Die Veröffentlichung der Dokumente wurde am Sonntag erwartet.

Hillary Clinton bemüht sich um Schadensbegrenzung

Rechtsberater Koh erklärte, die US-Regierung sei darüber informiert worden, dass die „New York Times“, die Zeitung „Guardian“ in Großbritannien und das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ bereits Zugang zu den Dokumenten gehabt hätten. Wegen der bevorstehenden Enthüllung kontaktierte US-Außenministerin Hillary Clinton am Freitag bereits Regierungsmitglieder in Deutschland, China, Saudi-Arabien, den Emiraten, Großbritannien, Frankreich und Afghanistan. Auch Kanada, Dänemark, Norwegen und Polen seien gewarnt worden, wie ein Sprecher des Außenministeriums erklärte.

Die Dossiers enthalten offenbar auch für deutsche Politiker wenig schmeichelhafte Passagen. Besonders kritisch beleuchtet wird demnach der deutsche FDP-Vorsitzende, Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Nach Informationen der „Bild am Sonntag“ wird Westerwelle in den Botschaftsberichten als politisch geschwächt eingeschätzt, weil es der FDP nicht gelungen sei, ihre Wahlversprechen durchzusetzen. Ebenfalls soll Westerwelles Kompetenz für das Außenamt kritisch thematisiert worden sein. Demnach schätzten die US-Diplomaten den Vizekanzler zu Beginn der schwarz-gelben Koalition im vergangenen Jahr als jemanden ein, „der seinen Job noch lernen müsse“. Ebenfalls kritisch, aber deutlich positiver soll die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beurteilt worden sein, positiv Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

Reaktion von Westerwelle

US-Außenministerin Clinton habe mit Westerwelle telefoniert und das Thema angesprochen, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Sonntag auf dapd-Anfrage mit. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hoffe, dass es durch die Veröffentlichung interner Dokumente zu keiner Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen Deutschlands oder befreundeter Länder, beziehungsweise der Sicherheit deutscher Einsatzkräfte kommt. Westerwelle wurde in der vergangenen Woche auch bereits vom amerikanischen Botschafter in Deutschland, Philip Murphy, unterrichtet.

Die amerikanische Außenministerin hatte am Freitag in einem Telefonat mit Westerwelle bereits ihr Bedauern über die mutmaßlich bevorstehende Veröffentlichung interner US-Dokumente zum Ausdruck gebracht. Der deutsche Außenamtssprecher wollte sich nicht an Spekulationen über den Inhalt der Dossiers oder möglichen Auswirkungen beteiligen.

Das Enthüllungsportal Wikileaks hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach für Aufsehen gesorgt, als es geheime Dokumente über den Krieg in Afghanistan und Irak veröffentlichte. Auszüge aus den neuen Enthüllungen sollten am späten Sonntagabend gegen 22.30 Uhr bei „Spiegel“-Online verbreitet werden. „Der Spiegel“ war auch in der Vergangenheit vorab schon mit dem brisanten Wikileaks-Material versorgt worden.

dapd