Italiens antikes Erbe zerfällt

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Die Vernachlässigung der jahrtausendealten Ruinen läßt Italiens antikes Erbe langsam zerbröckeln. Das Know-How ist vorhanden, aber es fehlt an Geld für die Instandhaltung.

Doch dass Touristen noch heute so viel davon bestaunen können, grenzt an ein Wunder, wenn man bedenkt, wie die Ruinen vernachlässigt werden. Deshalb ist das eigentlich Erstaunliche, dass nicht bereits mehr der alten Bauwerke das Schicksal einer Gladiatorenschule in Pompeji teilen, die in der vergangenen Woche einstürzte. Das mit Fresken geschmückte Haus überstand den Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79, nicht jedoch den Mangel an Instandhaltung. „Wir wundern uns, wenn Mauern umfallen. Aber diese Ruinen werden nicht systematisch gepflegt“, sagt Andrea Carandini, Vorsitzende einer Expertenkommission im Kultusministerium. „Deshalb ist das eigentliche Wunder, dass nur so wenige von ihnen einstürzen.“

Im vergangenen Frühjahr gab ein großes Segment in Kaiser Neros Palast Domus Aurea (Goldenes Haus) in Rom nach, wodurch große Teile des Putzes von einer Decke abbrachen und in einen bei Besuchern beliebten Garten stürzten. Vor drei Jahren brach nach tagelangen Regengüssen ein sechs Meter breiter Abschnitt, der nach ihrem Erbauer Kaiser Aurelius benannten, im dritten Jahrhundert zum Schutz gegen einfallende Barbarenhorden errichteten Mauer in sich zusammen. Auch das symbolträchtige Kolosseum ist vom Verfall betroffen. Die ehemalige Kampfarena hat Erdbeben, Blitzeinschläge und Plünderungen überstanden und versetzt noch heute Architekten und Ingenieure in Erstaunen. Doch allmählich fordern die Luftverschmutzung, die von einer in der Nähe vorbeifahrenden U-Bahn erzeugten Erschütterungen und jahrhundertelange schlechte Entwässerung ihren Tribut.

Große Teile des Palatin sind schon gesperrt

Ganz oben auf der Liste der bedrohten Kulturschätze haben Experten aber den Palatin, den ältesten besiedelten der sieben Hügel Roms. Seit Jahren warnen sie davor, dass die einstigen Paläste dort vom Einsturz bedroht sind. Risse ziehen sich durch die Gemäuer, Regenwasser rinnt durch die Steine. Große Teile des Hügels sind bereits für Touristen gesperrt. „Wir sind es müde, ständig Kommentare zu eingestürzten antiken Bauwerken und anderen Schäden an unserem archäologischen Erbe in unserem Land abgeben zu müssen“, erklärte Giorgia Leoni, Präsidentin der Archäologischen Gesellschaft nach dem Kollaps der Gladiatorenschule. In einem Gespräch mit einem italienischen Radiosender warnte Carandini, sollte Pompeji von einem Erdbeben erschüttert werden, „wären wir nicht in der Lage eine (vollständige) Restaurierung durchzuführen“, weil niemals eine Reliefkarte der Ruinen angefertigt worden sei. Pompeji liegt in einer der am stärksten erdbebengefährdeten Gegenden Italiens.

Für den Erhalt seiner antiken Schätze gibt Italien nur einen verschwindend geringen Teil seines Geldes aus. Das Budget des Kultusministeriums, das unter anderem für den Erhalt der antiken Stätten zuständig ist, beläuft sich gerade einmal auf 0,18 Prozent der Staatsausgaben. Zum Vergleich: In Frankreich sind es ein Prozent. Dabei kann kein Land der Welt mehr antike Ruinen, Kirchen, Klöster und andere künstlerische und architektonische Kostbarkeiten sein Eigen nennen als Italien. Nicht zuletzt aufgrund dieses Erbes ist der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes.

Italienische Experten im Ausland gefragt

Ironischerweise gelten italienische Experten als führend in der Lokalisierung möglicher Gefahren für die antiken Schätze. Sein Fachwissen sei derart gefragt, dass die Türkei ihn beauftragt habe, Monumente in Istanbul auf mögliche Gefahrenquellen zu untersuchen, sagt Giorgio Croci, einer der bekanntesten Fachmänner des Landes für Strukturprobleme historischer Bauwerke. „Aber das Land leidet an der lähmenden Bürokratie“, sagt er. „In einigen Fällen versauern die Pläne schlicht auf den Schreibtischen der Bürokraten.“

Wie man es besser machen kann, zeigt ausgerechnet das vom Staatsbankrott bedrohte Griechenland. Die griechischen Monumente haben in den vergangenen Jahrzehnten von einem ausreichend finanzierten Restaurationsprogramm profitiert und trotz der Finanzprobleme werden die Arbeiten an der Akropolis fortgeführt. Die Marmortempel werden Stein für Stein auseinandergenommen, restauriert und wieder zusammengesetzt. Diese Arbeiten begannen in den 1970er Jahren, nachdem die Fachleute entdeckt hatten, dass vorherige Restaurationsarbeiten und wachsende Luftverschmutzung große Schäden angerichtet hatten und schnelle Maßnahmen zur Rettung der Bauwerke ergriffen werden mussten.

Private Sponsoren zahlen nur für sichtbare Projekte

In Italien engagieren sich private Sponsoren für den Erhalt der Ruinen. Unternehmen vom Stromkonzern bis zum Matratzenhersteller springen dort ein, wo der Staat knausert. Allerdings unterstützen sie meistens nur die prominentesten Projekte und selten die weniger sichtbaren aber trotzdem unverzichtbaren Maßnahmen, wie die Entfernung von Wurzeln aus jahrtausendealten Steinritzen. Die Einstürze in Pompeji hätten mit relativ einfachen und bezahlbaren Mitteln verhindert werden können, sagt Croci. So hätte es schon viel geholfen, wenn Hohlräume im Gemäuer aufgefüllt oder einfach ein Schutzdach über dem Gebäude errichtet worden wären. „Viele der Eingriffe sind nicht teuer“, sagt er.

Bei einem Rundgang durch Pompeji zwei Tage nach dem Einsturz wies ein Experte auf Bäche aus Regenwasser hin. Das Wasser kann nicht abfließen, weil Unkraut die Gullis verstopft. „Alles, was notwendig wäre, sind ein paar Handwerker, Zimmermänner etwa, die man anrufen kann, wenn man ein einfaches Problem bemerkt“, sagt Fabrizio Pesando, Professor für orientalische Studien an der Universität von Neapel.

dapd