Ein „Glaubwürdigkeitstest für Europa“

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Zwei Tage vor dem Europä ischen Rat, der ab Donnerstag in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der 27 versammeln wird, hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso gestern vor der Presse die besondere Bedeutung dieses Treffens unterstrichen und dessen erfolgreichen Ausgang beschworen. Von unserer Korrespondentin Marisandra Ozolins, Brüssel

Mit seinen drei „großen“ Themen – wirtschaftliche Erholung, Klimawandel und Vertrag von Lissabon – sei es „vielleicht der entscheidendste Europäische Rat der letzten Jahre“, erklärte Barroso, und auf jeden Fall „der wichtigste“, an dem er als Kommissionspräsident teilnehmen werde.
Sowohl die Augen der EU-Bürger als die der Partner Europas außerhalb der Union würden „auf uns gerichtet sein“, mahnte er, um zu sehen, ob Europa in der Lage sei, eine Antwort auf die Wirtschaftskrise und bei der Klimapolitik zu geben. Für Europa gehe es um einen „wahrhaftigen Glaubwürdigkeitstest in einem Zeitpunkt, wo sich andere den europäischen Positionen nähern“.
Für Barroso sind das 200 Milliarden-Konjunkturprogramm und das Klimapaket mit seinen drei Mal 20-Zielen (Reduzierung des CO2-Ausstoßes, Anteil der erneuerbaren Energien und Energieeinsparungen) als ein Ganzes anzusehen. Die Klima-Maßnahmen seien „Teil der Lösung für die Wirtschafts- und Finanzkrise“, betonte er. Damit würden „Millionen von Arbeitsplätzen bewahrt und Millionen neue geschaffen“.
Wichtig sei auch die internationale Dimension, zumal alle Hinweise darauf deuteten, dass die Absichten des neu gewählten US-Präsidenten Obama mit den europäischen Plänen konvergierten: „Wirtschaftsbelebung gekoppelt mit Bemühungen um grüne Arbeitsplätze, Infrastruktur, Energieeffizienz“. Unter diesen Umständen schloss der Kommissionspräsident als „Ideallösung“ sogar ein gemeinsames Programm mit den USA als „transatlantische Antwort“ auf die Krise nicht aus.
Vorerst gilt es allerdings, die europäische Antwort zu koordinieren. Und da räumte Barroso ein, dass es noch „Diskussionen“ geben werde.
Einen Tag nach dem Londoner Dreier-Gipfel mit Gordon Brown und Nicolas Sarkozy wies er jedoch Kritiken, vor allem aus Deutschland, über eine „Isolierung“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die u.a. für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Deutschland kämpfen will, zurück.
Es gebe „keine Unstimmigkeit“ zwischen Deutschland und anderen EU-Ländern, unterstrich Barroso, der sich über den positiven Beitrag der Kanzlerin beim Gipfel überzeugt erklärte. Ohne den Beitrag Deutschlands als größte Volkswirtschaft Europas könne die Konjunktur gar nicht angekurbelt werden. „Wir brauchen Deutschland und Deutschland braucht Europa“, sagte er.
Konkret will sich der Kommissionspräsident dafür einsetzen, dass die Mitgliedstaaten den Konjunkturplan von 200 Milliarden Euro gleich 1,5 Prozent des BIP der Union billigen. Wenn es dem Gipfel „ernst“ sei mit den Steueranreizen, dann sollte er sich „auf diese Größenordnung festlegen“.

„Flexibilität“beim CO2-Ziel

Der Beitrag der nationalen Haushalte soll bei rund 170 Milliarden Euro (1,2 Prozent des BIP) liegen. Der Rest soll aus dem EU-Haushalt kommen, wobei Barroso auch seinen Vorschlag verteidigen will, nicht genutzte Mittel aus dem EU-Haushalt in Höhe von etwa 5 Milliarden beizusteuern.
Was das Klimapaket betrifft, begrüßte José Manuel Barroso die vorläufige Einigung über die erneuerbaren Energien, unterstrich jedoch, dass alle drei Zielsetzungen eingehalten werden müssten. Darunter namentlich das CO2-Ziel, wo Deutschland, Italien, Polen und andere osteuropäische Länder auf Ausnahmen beim Emissionshandel und den von der Kommission vorgeschlagenen Versteigerung der Verschmutzungsrechte der Industrien ab 2013 drängen.
Hier sei „mehr Flexibilität“ geboten, sagte Barroso, der zugleich darauf bestand, dass 10 Prozent der Einkünfte aus den Versteigerungsrechten an ärmere Länder „nach ihrem Pro-Kopf-Einkommen“ verteilt würden. Er räumte jedoch ein, dass diese Frage „noch offen“ sei.
Befragt über die Dauer des Gipfels, meinte der Kommissionspräsident, dass es „normalerweise mehrere Tage und Nächte dauern könnte“. Die „positive Ungeduld“ von Ratspräsident Sarkozy könnte aber den Verlauf beschleunigen. Ohne Einigung auseinander zu gehen wäre jedenfalls „eine kollektive Niederlage“.