LEITARTIKEL: East beats West

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Der abgedroschene Begriff „gelbe Gefahr“ stammt noch aus der unsäglichen Kolonialzeit. Durch seine Verwendung wollten die europäischen Mächte und die USA Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einerseits die Aversionen ihrer Völker gegen China aufstacheln, um andererseits die Vereinnahmung der Sahnestücke des zerfallenden chinesischen Reiches zu rechtfertigen./ Sascha Bremer

Zwar hatte die Kolonialisierung Chinas nicht lange Bestand. Die Demütigungen, welche aber damals der jahrtausendealten Kultur widerfuhren, tragen ihre Früchte bis in die heutige Zeit. Es kann einen also nicht verwundern, wenn China nun, da es zu alter Größe wiedergefundenen hat, konsequent seine eigenen Interessen verfolgt.
Der Slogan der gelben Gefahr bekommt neuerdings wieder Zuspruch in Amerika. Laut einer CNN-Umfrage hält eine große Mehrheit des amerikanischen Volkes (70 Prozent) das wiedererstarkte China für eine wirtschaftliche Gefahr. Zwei Drittel der Bevölkerung werfen den Unternehmen aus dem Reich der Mitte – begünstigt durch die gegenüber dem Dollar chronisch unterbewertete Landeswährung – unlauteren Wettbewerb vor. Eine Diagnose, die bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise so nicht in Amerika verspürt wurde.
Bis dato galt das Verhältnis der beiden Nationen, das sich für die Hypermacht fast ausschließlich über die Wirtschaft definierte, als Win-win-Situation. Die US-Amerikaner konsumierten auf Pump die in China hergestellten billigen Produkte. China wiederum kaufte mit dem Geld amerikanische Staatsanleihen und mauserte sich zum größten Gläubiger der USA. Durch diese gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit, so das Kalkül in Washington, würde man den gelben Riesen dauerhaft einbinden können.
Politisch traute man China nur eine regionale Rolle zu. Durch die Allianzen mit Japan, Südkorea, Indonesien und Pakistan und die „naturgegebene“ Aversion Chinas gegenüber seinen beiden großen Nachbarn Indien und Russland versuchten die USA ihre Vormachtstellung im pazifisch-asiatischen Raum aufrechtzuerhalten. Frühestens ab 2050, so das in Amerika heruntergeleierte Mantra, würde China die USA geopolitisch in Asien herausfordern können.
Beide Vorstellungen platzten innerhalb kürzester Zeit. Durch die Finanz- und Wirtschaftskrise offenbarten sich für Amerika die Gefahren des jahrelangen Handelsdefizits gegenüber China. Beide Länder bleiben aber nach wie vor wirtschaftlich voneinander abhängig, auch wenn die Beziehungen in dieser Hinsicht in Zukunft weniger harmonisch verlaufen werden.
Die USA haben aber durch ihre Fokussierung auf den Irak und Afghanistan ihre asiatischen Alliierten vernachlässigt. Und diese versuchen prompt, flügge zu werden. So richtet, um nur dieses Beispiel zu nennen, die neue japanische Administration ihre wirtschaftlichen und politischen Fühler in Richtung verstärkte Zusammenarbeit mit Südkorea und China aus.
Währenddessen hat sich das Reich der Mitte auf politischen Expansionskurs begeben und spinnt sein Beziehungsnetz bereits überregional bis nach Afrika.

Eigene politische Flügel

Obamas Entscheidung, jetzt lieber eine Tour durch Asiens Staaten zu unternehmen und den Feierlichkeiten zum Fall der Berliner Mauer fernzubleiben, wirft ein neues Licht auf Amerikas zukünftige Interessenvertretung. Das geopolitische Gewicht hat sich für die USA definitiv vom Westen, sprich Atlantik, in den Osten, sprich Pazifik, verlagert. Amerika muss sich der chinesischen Herausforderungen jetzt stellen, will es seine Vormachtstellung in der Welt noch ein Weilchen verteidigen. Die Abwendung vom alten Kontinent hingegen ist nicht unbedingt schlecht für Europa, sofern die Union sich eigene politische Flügel verleiht. Eine Perspektive, die jetzt, mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags, Realität werden könnte.

sbremer@tageblatt.lu