Tour de France Kolumne von Petz Lahure: Vom Drama überschattet …

Tour de France  / Kolumne von Petz Lahure: Vom Drama überschattet …
Das Monument von Dänemarks Nationaldichter Adam Gottlob Oehlenschläger mit rosa Helm, „Maillot jaune“, dänischer Flagge und französischem Baguette Foto: Marie-Paule Schock

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Eigentlich war an dieser Stelle eine fröhliche Kolumne geplant. Sozusagen eine Art Hochgesang auf die wunderschöne Stadt Kopenhagen und das herrliche Land Dänemark. Vor allem aber auch eine Hommage an ein außergewöhnliches Volk, das der Tour de France zum ersten Mal in der Geschichte als Gastgeber des „Grand départ“ diente.

Doch dann fielen Schüsse. Es gab mehrere Tote in Kopenhagen. Die dänische Bevölkerung wurde mit einem Schlag aus ihrer Euphorie und den schönsten Tour-Träumen auf den Boden der knallharten Realität mit ihren oft negativen und fürchterlichen Auswüchsen zurückgeholt.

Die Tat passierte im Einkaufszentrum „Field’s“ im Stadtteil Öresund, der zwischen dem Zentrum und dem Flughafen Kastrup liegt. Öresund ist nur 500 m Luftlinie oder eine Metrostation vom „Bella Center“ entfernt. Dort war das Pressezentrum der Tour de France eingerichtet. Rund 150 m daneben ragen die zwei architektonisch verrückten Türme des „AC Hotel Bella Sky Copenhagen“ in die Höhe.

Nicht auszudenken …

Bis zum Samstag war das Gelände am „Bella Center“ fest in den Händen von Mitarbeitern und Begleitern der Tour de France. Die fahrerlose Metro der Linie 1, die vom „Bella Center“ in nur neun Minuten die Innenstadt erreicht, rollte meistens proppenvoll über die Schienen. An den großen Stationen wie „Köngens Nytorv“ im Zentrum oder „Radhuspladsen“ nahe dem Rathaus und Tivoli-Garten herrschte Hochbetrieb.

Die Kopenhagener „Politi“ (Polizei) verhielt sich an all den Tour-Tagen unauffällig. Sie arbeitete so freundlich und scheinbar sorglos wie weiland die Münchner Sicherheitskräfte vor dem Attentat im Olympischen Dorf, das sich im September zum 50. Mal jährt.

Es läuft einem eiskalt den Rücken hinunter, wenn man sich auch nur ganz vage mit dem Gedanken beschäftigt, der Täter vom „Field’s“ hätte sich am Mittwoch bei der Teampräsentation oder am Freitag auf der ersten Etappe unters Volk gemischt und im Tivoli-Garten oder in einer Metrostation zur Waffe gegriffen.

Insbesondere an der Station „Radhuspladsen“, fast direkt neben dem Zielgelände und nur ein paar hundert Meter von der Startrampe entfernt, waren am Freitag beim Zeitfahren alle Ordner trotz ihres guten Willens heillos überfordert.

Des Dichters Baguette

Da wegen des Regens immer mehr Menschen Unterschlupf in den Gängen der Untergrundbahn suchten, passierte das Unumgängliche. Mit fortschreitender Zeit wussten viele Leute weder ein noch aus. Allein der Gelassenheit und Disziplin der bis auf die Haut Durchnässten war es zu verdanken, dass am Ende doch noch alles ohne größeren Zwischenfall über die Bühne ging.

Für die Dänen war der Tourstart ein riesiges Fest, an dem alle teilnehmen wollten. Dabei zeigten die Radsportfans viel Ideengeist und Humor. Auch die Monumente in der Stadt mussten dran glauben. So leuchteten beispielsweise die Säulen des Danske-Bank-Gebäudes in den Tour-Farben, die „Kleine Meerjungfrau“ hielt, als ob sie mit der Rundfahrt verlobt wäre, einen gelben Blumenstrauß in den Händen, und das Denkmal des Nationaldichters Adam Gottlob Oehlenschläger vereinigte alles in einem.

Die Bronzefigur war herausgeputzt mit einem rosa Helm (als Erinnerung an den Giro-Start 2012 in Herning, der Heimatstadt von Bjarne Riis) und einem um den Hals geknoteten „Maillot jaune“. In der linken Hand hielt die Statue des Poeten eine dänische Flagge, in der rechten ein französisches Baguette-Brot. „Qui dit mieux?“

Rad statt Tram

Die Dänen sind nicht nur ein radsportbegeistertes Volk, sondern ihre Politiker tun auch etwas für die Stadtbewohner, die sich mit dem Rad bewegen wollen. Während in Luxemburg tonnenweise Stahl für quietschende Straßenbahnen in die Prachtalleen verlegt wurde (welch scheußlicher Anblick in der avenue Emile Reuter und in der avenue de la Liberté!), stellten die Kopenhagener Verantwortlichen denselben Raum den Radfahrern zur Verfügung.

Der öffentliche Transport wurde dagegen größtenteils unter die Erdoberfläche verbannt. Die Metro mit vier Linien funktioniert wunderbar, alle paar Minuten trifft ein vollelektronisch gesteuerter, fahrerloser Zug in den verschiedenen Stationen ein. Kopenhagens Maßnahmen vermeiden auf Dauer einen Krieg zwischen Autofahrern, Radfahrern und den oft vernachlässigten Fußgängern. Während Letztere sich in Luxemburg vor allem vor den Autos hüten müssen, gilt es in Kopenhagen, aufzupassen, um nicht unters Rad zu kommen.

Weil nach dem Regen bekanntlich immer die Sonne scheint, wurden die Dänen auf den beiden Überlandetappen reichlich für ihre Gastfreundschaft und ihre Liebe zum Rad entschädigt.

Gegen- statt Seitenwind

Die Etappen erinnerten an den „Grand départ“ vor acht Jahren im englischen Yorkshire. Die Begeisterung am Wochenende kannte keine Grenzen, auch dank der verrückten Solofahrt von Magnus Cort-Nielsen (nur echt mit strammem Schnauzer), der als Träger des „Maillot à pois“ von seinen Landleuten wie ein Popstar gefeiert wurde.

Auf der zweiten Etappe von Roskilde nach Nyborg bewahrheitete es sich erneut, dass es nicht die Streckenplaner sind, die ein Rennen gestalten, sondern die Fahrer. Direktor Christian Prudhomme und die dänischen Tour-Verantwortlichen hatten darauf gepocht, die „Stoerebaeltforbindelsen“, die Verbindung zwischen der Insel Seeland und Fünen, die über eine 18 km lange Brücke führt, in die Strecke einzubauen.

Auf diesem Meisterwerk der Ingenieurskunst sollte der starke Seitenwind das Peloton auseinanderreißen und für einen „Kampf auf Biegen und Brechen“ sorgen. Was aber niemand vorausahnen konnte, war, dass am Tage X, dem Samstag, 2. Juli, auf der Brücke kein forscher Seitenwind blasen, sondern ein steifer Gegenwind die Fahrer vor jeglicher Initiative abhalten würde. Bei diesen Verhältnissen wäre ein Angriff von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Und so entschloss sich das Feld bei herrlichem Wetter zu einer Art Spazierfahrt über das Monster-Bauwerk.

Dass ausgerechnet die beiden Niederländer Fabio Jacobsen und Dylan Groenewegen, also das Opfer und der Täter des Horrorsprints vom August 2020 bei der Polen-Rundfahrt, die beiden Überlandetappen in Dänemark gewannen, bereichert das Kapitel der „unwahrscheinlichen“ Tour-Geschichten.

Nostra culpa …

Seit die Rundfahrt besteht, gibt es nichts, was es nicht gibt. Das bestätigte auch der Träger des „Maillot jaune“, der Belgier Wout Van Aert, der bei den drei ersten Etappen dreimal hintereinander auf dem zweiten Platz landete. Van Aert hatte an den drei Tagen auch zwei Supporter dabei: seine Frau Sarah De Bie und den gemeinsamen Sohn Georges.

Und da wäre noch ein Vorfall zu erwähnen, bei dem die Presse sich nicht unbedingt mit Ruhm bekleckerte. Um sowohl die Sicherheit der Fahrer als auch die Rechte der Medien zu gewährleisten, hatten die Organisatoren ein System ausgeklügelt, das es den Journalisten erlauben sollte, gleich nach der Zielankunft mit den Fahrern zu reden.

Schon am ersten Tag des Inkrafttretens der neuen Bestimmungen ging der Versuch gehörig in die Hose. Statt den vorgeschriebenen Korridor zu benutzen, sprangen undisziplinierte Presseleute am Ziel in Nyborg über die Absperrungen. Die Reaktionen des Sicherheitspersonals und die Reklamationen der Teamleitungen konnten nicht ausbleiben.

Im offiziellen Kommuniqué zeigten die Organisatoren sich fassungslos („abasourdi“) über das Benehmen Einzelner und ließen die kollektive Strafe auf dem Fuß folgen. Bei der Ankunft in Sonderborg wurde kein einziger Journalist im Zielraum zugelassen.

Weiter so, Kollegen! Der Tag wird kommen, an dem ihr bei der Tour de France nur noch in die Röhre gucken dürft …