MeinungBauerndemo in Deutschland: Protest wirkt – aber nur ein bisschen

Meinung / Bauerndemo in Deutschland: Protest wirkt – aber nur ein bisschen
Am Montag zogen die deutschen Landwirte noch einmal ins Regierungsviertel nach Berlin Foto: AFP/John MacDougall

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Die Bauern haben der Ampel ordentlich Feuer gemacht. Dass sich Finanzminister Christian Lindner dem Protest in Berlin stellt, ist lobenswert. Nun ist die Ampel aber am Zug, die grundsätzlichen Probleme der Landwirtschaft anzugehen. Ob sie dazu noch die Kraft hat?

Eines muss man konstatieren: Die Ampel duckt sich nicht weg, jedenfalls nicht zwei der wichtigsten Minister, wenn es um den Frust der Bauern geht. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir stellte sich bei der ersten Großdemo, Finanzminister Lindner am Montag bei der zweiten. Das hätten sie nicht machen müssen. Aber es ist die richtige Botschaft über den wütenden Bauernprotest hinaus. Die Koalition hört doch noch das eine oder andere Signal. Protest wirkt. Ein bisschen zumindest.

Lindners Worte sind allerdings verhallt oder wurden weggebuht. Der Minister hat sich redlich bemüht, die Lage und vor allem die Zwänge zu erklären, unter denen er steht. Er wird nicht ernsthaft geglaubt haben, dass dies auf Verständnis der Bauern treffen würde. Lindner ist hart geblieben. Seine Botschaft war, die Branche gewinne Zeit durch den gestaffelten Abbau des Agrardiesels, gemeinsam könne man dann groß denken. Viele Landwirte haben aber keine Zeit mehr. Und groß gedacht wurde schon oft, nur zu wenig auf den Weg gebracht.

Der Agrardiesel allein ist ja längst nicht mehr das Thema – sondern eine Landwirtschaft, der in Anbetracht steigender Kosten zunehmend die Wettbewerbsfähigkeit abhandenkommt und die unter bürokratischen Auflagen auch aus Europa wie kaum eine andere Branche leidet. Die sich aber zugleich immer wieder neu erfinden soll, weil die politischen wie gesellschaftlichen Anforderungen etwa beim Tierwohl oder der Ökologie sich stetig verändern. Ähnlich ergeht es vielen anderen Zweigen, die am Montag auch auf den Berliner Straßen unterwegs gewesen sind.

Ein Bündnis der Getriebenen

Wie der Widerspruch bei der Landwirtschaft aufgelöst werden könnte, haben zwei Kommissionen umfassend zu Papier gebracht: die Zukunftskommission Landwirtschaft und die vielfach gelobte Borchert-Kommission. Die zahlreichen Empfehlungen zum Umbau des Agrarsektors, die unter Beteiligung der Bauernschaft erarbeitet wurden, sind aber in der Umsetzung stecken geblieben. Wer zudem nun die einst von Borchert vorgeschlagene Tierwohlabgabe auf tierische Produkte vorantreiben will, sollte wissen, das zahlen am Ende die ohnehin schon von steigenden Preisen geplagten Verbraucher. Auf all das noch mal zu rekurrieren, wie es jetzt die Fraktionsvorsitzenden der Ampel nach dem Spitzengespräch mit den Bauern getan haben, ist zwar schlau. Aber was heißt das konkret? Hier muss die Ampel schleunigst liefern, sonst ebbt der Protest wohl nicht ab. Ob sie dazu freilich noch die Kraft hat, darf bezweifelt werden.

Denn die Art ihrer Beschlussfindung in Sachen Agrardiesel hat gezeigt, dass das Bündnis nicht dazulernt. Man kann einen politischen Fehler machen und ihn korrigieren. Aber denselben Fehler immer wieder zu machen, ist fatal. Schon beim Heizungsgesetz hat die Koalition einen kommunikativen Super-GAU hingelegt, der am Ende ein ganzes Land verunsichert hat. Bei der Streichung von Steuervergünstigungen für die Landwirte ist es ähnlich gewesen – erst wurde über Nacht entschieden, dann gestritten, und irgendwann einmal erklärt. Wenn sich das nicht ändert, und es sieht ehrlicherweise nicht danach aus, bleibt die Ampel ein Bündnis der Getriebenen. Vermutlich dann nur noch bis zur Bundestagswahl 2025.